Donnerstag, 27. April 2023

Wüst macht bei Merkel den Steinmeier

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Anlässlich der Verleihung des ‘Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, Großkreuz in besonderer Ausführung’ an Bundeskanzlerin a. D. Dr. Angela Merkel durch Bundespräsident Dr. Frank Walter Steinmeier hatten wir von einem fatalen Insichgeschäft Steinmeiers gesprochen. Umso mehr erstaunt uns, dass nun auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst Merkel am 16. Mai in Köln mit der höchsten Auszeichnung des Landes Nordrhein-Westfalen, dem 1986 gestifteten Staatspreis, auszeichnen wird. Als Laudatorin hat NRW ausgerechnet die EZB-Präsidentin Christine Lagarde gewonnen. Dies hat gestern die Staatskanzlei mitgeteilt.

Wie schon bei Steinmeier irritiert die Begründung für die Auszeichnung. In ihren 16 Jahren als Bundeskanzlerin habe Merkel unser Land und ganze Generationen geprägt, heißt es zunächst. Für ihren unermüdlichen Einsatz zum Wohl des deutschen Volkes in einer von internationalen Krisen geprägten Zeit, ihre Beiträge zur Stabilität der Europäischen Union, ihre außergewöhnlichen humanitären Leistungen und ihre herausragenden Verdienste um das Ansehen Deutschlands in der Welt werde Merkel den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen erhalten, heißt es. Sodann lässt sich Wüst zitieren: „Die Auszeichnung erfolgt auch in Anerkennung der Vorbildfunktion Angela Merkels als erste Bundeskanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die zahlreichen Frauen als Ermutigung gedient hat und weiterhin dient.“

In welche Richtung Merkel das Land geprägt hat, bleibt dabei im Dunkeln. Auch die Hervorhebung der „außergewöhnlichen humanitären Leistungen“ wirkt eigenartig. Denn zur ganzen Wahrheit gehört in diesem Fall, dass nicht Merkel im Herbst 2015 den Startschuss zur Grenzöffnung der in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge gegeben hat, sondern der damalige österreichische Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) sie dazu eindringlich aufforderte, weil es sonst zu einer humanitären Katastrophe komme. Nicht Merkel, sondern Faymann gab dann auch die Grenzöffnung offiziell bekannt. Was danach folgte, ist bekannt. Merkel hielt sich aus der Abwicklung des Managements der Flüchtlingsströme raus, erklärte aber forsch: „Wir schaffen das“. Aber sicher, ohne ihr Plazet, hätte Faymann kaum die österreichischen Grenzen öffnen können.

Dass Wüst noch besonders betont, Merkel habe mit ihrer Entscheidung im Jahr 2015, Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen, „den Abschottungstendenzen in Europa aus christlicher Grundüberzeugung Mut und Menschlichkeit entgegengesetzt“, ist besonders bemerkenswert. Der gleiche Hendrik Wüst stand noch am Montag in der Münchener Residenz neben Bayerns Ministerpräsident Dr. Markus Söder, dessen CSU gerade die Obergrenze des Horst Seehofer wieder einführen will. Söders teilweisem Abschottungskurs hat er dort jedenfalls nicht widersprochen.

Es mag gerechtfertigt sein, Merkel von Wüst dafür zu ehren, als Frau große Leistungen erbracht und damit zahlreiche Frauen ermutigt zu haben, es wirkt andererseits aber skurril. Ausgerechnet ein Spitzenfunktionär einer Partei, die sich schwertut, nach der Ära Merkel Frauen zu präsentieren, lobt deren Vorbildfunktion für Frauen. Merkel und ihrer klugen Art der Amtsführung sei zu verdanken, „dass die junge Generation in dem Bewusstsein aufgewachsen ist, dass Frauen so selbstverständlich wie Männer an der Spitze von Unternehmen oder eben unseres Landes stehen können“. Das sieht die Frauenunion wohl anders. Selbst Friedrich Merz will inzwischen testweise eine verpflichtende Frauenquote für die Union! Gegen genau diese Frauenquote hat sich Merkel im Übrigen immer gewehrt.

Eher traurig ist, dass Wüst Merkel dafür lobt, sie habe unser Land „mit Beharrlichkeit, diplomatischem Geschick und entschlossenem Handeln in herausfordernden Zeiten sicher auf Kurs gehalten“. Auf welchem Kurs denn bitte? Inzwischen sieht doch nahezu jeder, wohin dieser Kurs Deutschland geführt hat.

Bleibt die Frage, warum Wüst diese Auszeichnung jetzt vornimmt. Sicher, in der NRW-CDU gibt es unverändert viele Anhänger Merkels. Und Bündnis 90/Die Grünen in NRW werden schon gar nichts gegen die Auszeichnung haben. Aber in der gleichen NRW-CDU gibt es auch erbitterte Gegner Merkels. Man muss da nicht nur an Friedrich Merz denken. Wollte Wüst ihn bewusst demütigen? Die SPD in NRW hat die Vorlage jedenfalls begierig aufgegriffen und via Twitter schon gefragt, ob Merz Merkel zur Auszeichnung gratulieren werde. Beim Verdienstorden hatte er sich noch mit der eigenartigen Begründung davor gedrückt, dies sei eine autonome Entscheidung des Bundespräsidenten, die er nicht zu kommentieren habe. Und bei Wüst?


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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