Dienstag, 02. August 2022

Rentenreform – und täglich grüßt das Murmeltier

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Am 7. Juni 2021 hatte der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie (BMWi) seine „Vorschläge für eine Reform der gesetzlichen Rentenversicherung“ veröffentlicht. Die rentenpolitischen Entscheidungen der damaligen Großen Koalition bewertet der Beirat seinerzeit so: „Die rentenpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre haben ein rentenpolitisches Dilemma geschaffen. Einerseits sieht das geltende Recht eine Rückkehr zum Nachhaltigkeitsfaktor vor, der die finanziellen Belastungen des demographischen Wandels gleichmäßig auf die ältere und die jüngere Generation verteilt und in diesem Sinne das Fundament einer langfristig tragbaren Lösung schaffen kann. Andererseits hat die Haltelinienpolitik der Großen Koalition große Erwartungen für die Zeit nach deren Gültigkeit geweckt, die mit der Rückkehr zum alten Recht mit seinem Nachhaltigkeitsfaktor inkompatibel sind.“

Ebenso beängstigend wie frustrierend war seine Analyse der Finanzen der Rentenversicherung. Wegen der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie werde sich die finanzielle Situation noch verschärfen, allerdings, so der Beirat, „mit ein bis zwei Jahren Verzögerung, da die Rentenanpassung wie oben beschrieben nur mit Verzögerung auf Änderungen des Nettolohns bzw. des Rentnerquotienten reagiert“. Dafür blieben die Auswirkungen im System erhalten, weil „die Corona-bedingte Rezession die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler permanent, d.h. auch nach dem Projektionsende des Rentenversicherungsberichts, etwa einen halben Prozentpunkt Beitragssatz kosten wird, während das Sicherungsniveau vor Steuern langfristig um etwa einen Prozentpunkt höher liegen wird als in der Projektion aus der Zeit vor der Corona-Pandemie.“

Weil damals weder ein Krieg Wladimir Putins noch eine Inflationsrate von 8 Prozent absehbar war, hat sich die Situation insoweit also weiter verschärft. Und dennoch war für den Beirat schon im vergangenen Jahr klar, eine Erhöhung des Renteneintrittsalters sei zur Abwendung der finanziellen Risiken unabdingbar. Doch er plädierte nicht für eine starre Lösung, sondern für ein Renteneintrittsfenster, „innerhalb dessen die Menschen ihr Eintrittsalter frei wählen können und damit auch ihre Rentenhöhe bestimmen“. Dabei sei eine Untergrenze (drei Jahre) erforderlich, „da sich andernfalls Menschen mit sehr geringen Rentenansprüchen schon frühzeitig aus der solidarischen Alterssicherung verabschieden und Grundsicherung beziehen könnten.“ Als Pendant dazu sollte es auch eine Obergrenze (fünf Jahre) geben.

Eine solche Rentenreform mutmaßte der Beirat, sei dann in der Gesamtbevölkerung mehrheitsfähig, „wenn sie im Interesse derjenigen Wählerinnen und Wähler ist, deren Alter in etwa dem Median der Altersverteilung entspricht. Wenn Wählerinnen und Wähler mit diesem mittleren Alter von einer Ausgabenkürzung profitieren, dann profitieren ebenfalls alle, die jünger sind, sodass eine Mehrheit dafür ist. Wenn Wählerinnen und Wähler dieses Alters unter einer Ausgabenkürzung leiden, gilt das für alle, die älter sind, wiederum mit der Folge, dass die Medianwählerin eine Mehrheit auf ihrer Seite hat.“ Wir wagten damals die Prognose, auch diese Studie werde das Los vieler anderer Expertisen treffen: „Sie wird kaum je Eingang in die tatsächliche Politik finden. Es sei denn, es gründet sich eine Untergruppe Fridays for Future, die nicht nur Klimaschutz für überlebenswichtig erklärt, sondern auch verlässliche und bezahlbare Rentenpolitik!“

Diese Prognose wurde nur einen Tag später bestätigt, als ausgerechnet Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) neben den üblichen Verdächtigen aus dem politisch linken Lager (wie dem damaligen Bundesfinanzminister und jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz) die Forderung nach einem späteren Renteneintritt eine Abfuhr erteilte. Dabei hatte der Beirat nur eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 68 Jahre zum Jahr 2042 (!) vorgeschlagen. Als am Wochenende der Präsident des Gesamtverbandes der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie, Dr. Stefan Wolf, im Interview mit der Funke-Mediengruppe die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre forderte, war klar, was die Reaktion sein würde. Wolf hatte gesagt: „Schaut man sich die demografische Entwicklung und die Belastungen der Sozial- und Rentenkassen an, dann sind die Reserven aufgebraucht. Wir werden länger und mehr arbeiten müssen. Stufenweise werden wir auf das Renteneintrittsalter von 70 Jahren hochgehen müssen - auch weil das Lebensalter immer weiter steigt.“

Wir verzichtend darauf, die bekannten und erwartbaren, teils massiven Kritiken an diesem Vorschlag hier zu wiederholen. Sie entsprechen weitgehend den Reaktionen auf die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats beim BMWi vor einem Jahr. Bemerkenswert erscheint uns allerdings ein gänzlich neuer Zungenschlag. Tobias Peter, Hauptstadtkorrespondent beim Redaktionsnetzwerk Deutschland, zu dem auch der Kölner Stadtanzeiger (KStA) gehört, meint, Wolf dort vorhalten zu müssen, zum einen seien die Reserven noch gar nicht aufgebraucht. Das Thema stelle sich erst 2025. Schon das ist eine wahrhaft kuriose Argumentation bei einem solchen System und der Beträge, um die es geht (immerhin schon 100 Milliarden Euro Steuermittel pro Jahr). Doch noch skurriler ist sein Hinweis, die statistische Lebenserwartung in Deutschland habe sich „durch die Corona-Pandemie gerade verringert. Das bleibt hoffentlich nicht so – aber es zeigt, wie zeitlich deplatziert der Vorstoß des Gesamtmetall-Chefs ist.“ Donnerwetter, jetzt muss Corona auch noch zur Abwehr von Rentenreformen herhalten!


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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