Montag, 21. Juni 2021

Union verspricht viel, ohne zu sagen, was die Versprechungen kosten

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Bevor Armin Laschet oder Dr. Markus Söder am Montag auch nur ein Wort zum verabschiedeten Wahlprogramm der Union gesagt hatten, stand ein Verlierer schon fest: die CDU. Ihr ist nämlich wegen des späten Termins der Vorlage des Wahlprogramms eine namhafte Spende des Finanzunternehmens Flossbach von Storch entgangen. Ohne darauf einzugehen, ließ Markus Söder bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Armin Laschet aber wissen, er betrachte es „als Wettbewerbsvorteil“, das Programm „am nächsten zur Wahl“ vorgestellt zu haben.

„Wir sind der Marktführer in Politik“, so Söder, an dem sich die anderen auszurichten hätten. Man könnte auch sagen, der Vorteil bestehe darin, dass das 139 Seiten lange Programm („Das Programm für Stabilität und Erneuerung. Gemeinsam für ein modernes Deutschland.“) und seine zehn Kapitel nicht mehr so lange von Kritikern durchforstet werden kann wie andere Programme. Nun kann man sich naturgemäß alles schönreden, erst recht Markus Söder. Und so wimmelte es in seinem Vortrag wieder von den für ihn so bezeichnenden Superlativen zum Verhältnis der beiden Parteischwestern und dem gemeinsamen Parteiprogramm. Allen Söderschen Beteuerungen zum Trotz wird die CSU jedoch zusätzlich zum gemeinsamen Wahlprogramm noch einen Bayernplan vorlegen, wenn auch, so Söder, „nicht konfrontativ, sondern verstärkend“. Darin werden sich voraussichtlich Dinge finden, die außer der CSU aktuell kein politischer Akteur für sinnvoll oder finanzierbar halten wird, etwa die Verbesserung der Mütterrente.

Laut Laschet hat die Union „einen Plan gemacht, der unser Land voranbringt“. Die Diskussionen um den späten Zeitpunkt der Vorlage des Wahlprogramms konterte Laschet damit, es werde nur „auf etwas gewartet, von dem man etwas erwartet“. Damit hat er sicher recht. Erwartet worden ist zuletzt viel vom Wahlprogramm der Union, etwa von der Mittelstands-und Wirtschaftunion (MIT). Deren Bundesvorsitzender  Dr. Carsten Linnemann hatte etwa am 24. Mai im Interview mit der Welt formuliert, es gebe „schon genug Parteien, die nur noch darüber reden, wie wir in Zukunft leben wollen, aber die Union muss jetzt darüber reden, wovon wir leben können“. Wie weit das mit dem Wahlprogramm der Union gelungen ist, darüber kann man geteilter Meinung sein. Laschet betonte bei der Vorstellung die Stoßrichtung: „'Geht nicht' gibt’s nicht mehr in Deutschland“. Man wolle „ein modernes Deutschland schaffen“. Dass irgendein politischer Wettbewerber ein unmodernes Deutschland erreichen will, wäre uns allerdings neu. Derartige Gemeinplätze klingen gut, sind aber substanzlos. Leider ziehen sie sich auch durch das Wahlprogramm der Union. Geschuldet sind sie offenbar der Erkenntnis, bloß niemanden zu verprellen.

Beispiele gefällig? Wir wollen den Wandel gestalten, damit Deutschland an der Spitze bleibt. Aber unsere Vorstellung ist: Sicherheit im Wandel. Wir wollen stark aus der Krise kommen und eine neue Dynamik schaffen. Eine Dynamik, die Wirtschaft und Klimaschutz voranbringt, Arbeitsplätze sichert und neue schafft, Familien unterstützt und eine moderne  Arbeitswelt gestaltet. Dabei stürmen wir nicht blind ins Morgen, sondern halten Maß und Mitte.“ So steht es im Vorwort und viel konkreter wird es dann hinsichtlich dieser Punkte später nicht wirklich. Klar, es werden allerlei Punkte, was in der Wirtschaft wie entrümpelt und beschleunigt werden soll, später genannt, aber oft eben reichlich allgemein.

„Wir werden nichts versprechen, was wir nicht einhalten können. Durch die hohen Ausgaben zur Bekämpfung der Pandemie sind die finanziellen Spielräume des Staates deutlich eingeschränkt. Neue Schulden oder Steuererhöhungen wären aber der falsche Weg. Wir setzen auf wirtschaftliches Wachstum, das unserem Staat finanzielle Spielräume eröffnet. Diese Spielräume wollen wir für die finanzwirksamen Vorhaben dieses Programms nutzen.“ Das betont die Union gleich zu Beginn. Da die Versprechen aber im Prinzip eher vage bleiben und die finanziellen Spielräume eher gar nicht angesprochen werden, ist die Aussage so falsch nicht.

Wie sehr die Union konkrete Festlegungen meidet, wird vielfach klar. Und da, wo sie sehr konkret wird, vermeidet sie die daraus folgenden finanziellen Auswirkungen zu benennen. So heißt es beispielsweise im Kapitel 1 („Neue Verantwortung Deutschlands in der Welt – aus Überzeugung für Frieden, Freiheit und Menschenrechte“) zur NATO, die Union bekenne sich „explizit zum 2%-Ziel der NATO“. Damit sind Mehrausgaben verbunden, die aber nicht beziffert werden. Ebenso will die Union „das kostenlose Bahnfahren für Soldatinnen und Soldaten auf den öffentlichen Personennahverkehr ausweiten“, ohne zu sagen, was das in etwa kosten könnte. Auch die gewollten neuen Fähigkeiten im Weltraum werden nur als solche genannt. Was genau damit gemeint ist, was es kostet? Klar, das sind vergleichsweise Peanuts, aber es läuft auch bei den dicken Brocken nicht anders.

Nehmen wir Kapitel 2 („Neue Weltpolitik – mit Leidenschaft für ein starkes Europa“). Hier wird ein neuer „EU Klimaaußenbeauftragter zur Stärkung und Bündelung der EU-Klimaaußenpolitik“ gefordert, der eine Europäische Clean-Tech-Initiative voranbringen soll, die Partnerschaften bei modernsten Umwelttechnologien aufbaut“. Kling alles toll, aber was es kostet, wer es zahlt? Fehlanzeige. Dafür ist die Union sich sicher, sie werde „den Green Deal zu einer echten Wachstumsstrategie, einem neuen nachhaltigen Wachstumsmotor der EU, entwickeln“. Dafür soll der europäische Emissionshandel auf den Verkehrs- und Wärmesektor ausgeweitet werden, bei dem sich „ein stabiler, fairer und transparenter Preis für Treibhausgase bildet“. Nicht einmal ansatzweise wird erläutert, an welche Dimensionen die Union hier denkt.

Sehr mutig ist von der Union, eine stärkere Rolle für den „EU-Wirtschafts- und Währungskommissar“ zu fordern. Sie will damit zwar die „Durchsetzung der Stabilitätskriterien befördern“. Der Schuss könnte aber beim Blick auf die Staatsfinanzen der EU-Mitglieder leicht nach hinten losgehen. Richtig spannend verläuft Kapitel 3 („Neuer Wohlstand – mit nachhaltigem Wachstum zum klimaneutralen Industrieland“). Klimaschutz ist eigentlich ur-grünes Terrain. Aber die Union will gerade hier gegenüber den Grünen punkten, indem „nachhaltiges Wachstum, Klimaschutz und soziale Sicherheit miteinander verbunden“ werden sollen. Man kann auch sagen, Laschet will sein Modell des Kohleausstiegsplans auf dem gesamten Feld der Energiewende praktizieren. Bis 2045 soll Deutschland ein „klimaneutrales Industrieland“ sein, was immer das ist.

Die Union will ein „Modernisierungsjahrzehnt in Deutschland“, in dem alles schneller, weniger bürokratisch und digital ablaufen soll. Es soll daher ein „umfangreiches Entfesselungspaket“ auf den Weg gebracht werden. Die Lohnzusatzkosten sollen bei 40 Prozent gedeckelt werden (sehr konkret), gleichwohl soll der Slogan „Entlasten statt Belasten“ gelten, also beispielsweise der Solidaritätszuschlag für alle abgebaut werden und die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen sowie die Unternehmenssteuern gesenkt werden. Alles ohne Steuererhöhungen. Zugleich sollen die Unternehmen „von Bürokratiekosten in Milliardenhöhe entlastet“ werden. Klingt irgendwie nach ‘Wünsch-Dir-was’.

Weil das natürlich auch den Finanzpolitikern der Union Bauchschmerzen bereitet, hat Söder blumig bei der Vorstellung des Programms einen Kassensturz nach der Bundestagswahl angekündigt, um zu überprüfen, wie viel Geld in der Kasse ist und was damit finanziert werden kann. Moment mal, Kassensturz von zwei Parteien, die aktuell die Regierung stellen? Wissen die nicht, wie es um die Finanzen steht? Laut Söder habe man seit Frühjahr das Vertrauen in den Bundesfinanzminister verloren und traue deshalb seinen Zahlen nicht mehr. Nur mal zur Klarstellung: In dem Ministerium arbeiten auch Mitarbeiter mit einem Parteibuch der Union! Und wie kann eine Regierung aktuelle Ausgaben beschließen, wenn der größere Teil angeblich nicht weiß, wie es um die Finanzen bestellt ist?

Wie auch schon Bündnis 90/Die Grünen verspricht die Union, den Bürgern das Geld, das sie ihnen mit der CO2-Abgabe abnimmt, an anderer Stelle zurückzugeben. Was das kostet? Wer das organisiert? Wie bei den Grünen, Fehlanzeige! Um die Aufzählungen nicht überstrapazieren zu wollen, hier nur noch ein Hinweis. Die Union will „den Bau der notwendigen Stromleitungen beschleunigen“. Das verspricht seit 2017 ihr Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, der dafür zuständig ist und der für sein Missmanagement dafür regelmäßig vom Bundesrechnungshof kritisiert wird.

Man muss der Union zugestehen, es fehlt nichts in ihrem Wahlprogramm. Alles, was das Leben lebenswerter macht, kommt darin vor. Wo allerdings das Vertrauen herkommen soll, die Union werde nach 16 Jahren Angela Merkel plötzlich wie verwandelt auf das politische Spielfeld zurückkehren und eine völlig neue Republik erschaffen, erschließt sich uns nicht. Das Programm gibt darauf keine Antworten. Dabei hatte doch Carsten Linnemann in dem bereits angesprochenen Interview mit der Welt auf die Frage, was Kernbestand des Wahlprogramms sein solle, geantwortet: „Ich habe da eine klare Vorstellung: Erstens braucht es eine ehrliche Fehleranalyse.“

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