Freitag, 02. Juli 2021

Vermögensverteilung in Deutschland gerechter als sie gemacht wird

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Eines der Themen, die den Bundestagswahlkampf prägen, ist die vermeintlich ungerechte Verteilung der Vermögen in Deutschland. Dass es eine ungleiche Verteilung gibt, ist unstrittig. Fraglich ist allerdings, wie ungleich sie wirklich ist und was die Gründe dafür sind. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) hat aktuell eine vom Institut der Deutschen Wirtschaft/Köln (iw) in ihrem Auftrag erstellte Studie (‘Gerechtes Deutschland – Die Rolle der Vermögen’) vorgestellt, die darauf für manche sicher recht erstaunliche Antworten gibt.

So stellt vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt im Vorwort der Studie fest: „Die Vermögensverteilung ist immer wieder Anstoß für Gerechtigkeitsdebatten. Eine ungleiche Verteilung der Vermögen wird in der öffentlichen Diskussion häufig als ein Beleg für mangelnde soziale Gerechtigkeit herangezogen. Um diesem Missstand entgegenzuwirken, wird eine Umverteilung, beispielsweise durch eine Vermögen- oder Erbschaftsteuer, gefordert. Dabei werden entscheidende Einflussfaktoren auf die Vermögensverteilung häufig ignoriert.“ Auffällig sei, so Brossardt, dass im internationalen Vergleich insbesondere Länder mit einem ausgeprägten Wohlfahrts- und Sozialstaat ein höheres Maß an Vermögensungleichheit aufwiesen. Die Begründung dafür finde sich in der Art und Weise, wie international die Vermögensverteilung gemessen wird.

Die Autoren stellen dazu in ihrer Studie fest: „Entscheidend hierfür ist, dass Anwartschaften in den sozialen Sicherungssystemen nicht bei der Betrachtung der individuellen Vermögen beachtet werden und gleichzeitig eine umfangreiche Absicherung sowohl die Anreize als auch die Möglichkeiten zum individuellen Vermögensaufbau mindert. In der Studie der vbw erfolgt dagegen „eine Analyse der Einflüsse unserer sozialen Sicherungssysteme auf die Vermögensverteilung. Im Fokus stehen hierbei die Auswirkungen der Rentenversicherung sowie der betrieblichen und privaten Altersvorsorge. Es zeigt sich, dass das Maß der Ungleichverteilung der Vermögen in Deutschland um mehr als 20 Prozent zurückgeht, wenn Ansprüche an die Altersvorsorgesysteme beachtet werden.“

Die Autoren kommen anhand der von ihnen vorgenommen Berücksichtigung der Altersversorgungsansprüche zu einem ganz anderen Ergebnis als die Vorreiter der Forderung nach Umverteilung der vorhandenen Vermögen: „Die Verteilung der Nettovermögen falle erheblich gleichmäßiger aus, sofern die konventionelle Vermögensperspektive um die Ansprüche gegenüber den drei Säulen der Alterssicherung erweitert würden. Werden entsprechende Vermögensäquivalente bei der Vermögensverteilung berücksichtigt, verdoppelt sich das individuelle Nettovermögen im Durchschnitt der Bevölkerung. Gerade Personen mit konventionell geringen oder gar negativen Nettovermögen im unteren Bereich der Verteilung, wozu oft auch Jüngere gehören, verfügen meist über Anwartschaften gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung. In konventionellen Vermögensstatistiken werden diese jedoch nicht berücksichtigt, da sie nur eingeschränkt liquidierbar und übertragbar sind. Dies führt jedoch zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Wohlstandsposition vieler Menschen und zu einer Überzeichnung der (relativen) Vermögensungleichheit. Auch Ländervergleiche werden dadurch erschwert und teilweise verzerrt, da der Umfang privater und staatlicher Vermögensbildung zur Alterssicherung je nach Sozialstaatsmodell stark variiert.“

Berücksichtigt man die international unterschiedlichen Ansätze der Staaten hinsichtlich ihrer sozialen Sicherungssysteme kann nicht mehr verwundern, dass Staaten mit einem ausgeprägten Sozialstaat schlechter abschneiden als solche, bei denen die Altersvorsorge mehr oder weniger ausschließlich in die Hände der Betroffenen selbst gelegt wird. Die Studie stellt dazu fest: „Neben Deutschland weisen Länder mit umfangreichen sozialstaatlichen Sicherungssystemen wie die Niederlande, Dänemark, Schweden oder Norwegen einen ähnlich hohen Grad der Nettovermögensverteilung auf. Theoretische Überlegungen legen nahe, dass in diesen Staaten der Anreiz geringer ist, privates Vermögen aufzubauen. Denn je umfassender das Leistungsversprechen obligatorischer Sicherungssysteme ausfällt, desto weniger notwendig wird der Vermögensaufbau aus Vorsorgemotiven. Gleichzeitig reduzieren die für die Finanzierung erforderlichen Abgaben den Spielraum für Vermögensaufbau – insbesondere in steuer- oder umlagefinanzierten Sicherungssystemen und gerade bei jenen Bürgern mit geringeren Einkommen. Dieser Zusammenhang plausibilisiert, warum sich am anderen Ende des Spektrums Länder wie die Slowakei, Rumänien, Malta, Bulgarien, Bosnien und Herzegowina oder Montenegro wiederfinden, die bei einer relativ niedrigen Quote der Sozialschutzausgaben gleichzeitig eine vergleichsweise geringe Nettovermögensungleichheit aufweisen.“

Zu welcher Verzerrung es führt, die Altersvorsorgeanwartschaften beim Vermögensvergleich unberücksichtigt zu lassen, machen diese Zahlen deutlich: „Ohne Berücksichtigung der Vermögensäquivalente aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Rentenversicherung sowie den Ansprüchen aus der Beamtenversorgung lag das durchschnittliche Nettovermögen im Jahr 2012 in Deutschland bei rund 88.000 Euro. Mit Berücksichtigung der Vermögensäquivalente aus Altersvorsorge verdoppelt sich dieser Wert, sodass das durchschnittliche erweiterte Nettovermögen im Jahr 2012 rund 179.000 Euro betrug. Noch größer ist der Effekt mit Blick auf das mittlere Vermögen (Median). So erhöht sich das mittlere Vermögen von rund 18.700 Euro auf rund 108.000Euro und ist damit beinahe 6-mal so hoch. Damit reduziert sich der relative Abstand zwischen Median und Mittelwert erheblich. Machte das arithmetische Mittel der konventionell ermittelten Nettovermögen in den Jahren 2012 das 4,7-Fache des Medians aus, wurde die Verteilung unter Einbeziehung der Vermögensäquivalente der Altersvorsorge deutlich gestaucht; der Mittelwert machte nur noch knapp das 1,7-Fache aus.“

Wer sich dies vergegenwärtigt, der sollte als verantwortlicher Politiker ein Auge darauf werfen, dass die Finanzierung der Rentenversicherung in Deutschland nicht aus dem Ruder läuft. Dann sonst werden ausgerechnet die Einkommen derjenigen geschmälert, denen staatlicherseits geholfen werden soll. Leider passiert derzeit eher das Gegenteil, wie die Reaktionen maßgeblicher Politiker auf die Rentenreformpläne des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zeigen. Auch das CSU-Lieblingsthema Mütterrente gehört in diese Kategorie. Jedenfalls wäre es wünschenswert, dass sich diejenigen, die am lautesten die soziale Schieflage bei den Vermögen beklagen, die Studie zumindest einmal durchlesen, bevor sie weiter eine ständige Zunahme der ungleichen Vermögensentwicklung beklagen.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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