Mittwoch, 16. Juni 2021

Wie weit dürfen Zumutungen gehen, um ehrliche Politiker zu wählen?

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Cornelia Schmergal hat sich im Leitartikel des Spiegels dieser Woche mit dem Thema der Verlogenheit politischer Versprechungen beschäftigt. Ein Beispiel sei die Reaktion der meisten Politiker auf die Rentenreformpläne des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Statt sich mit der ökonomischen Logik auseinanderzusetzen, würde „das pralle Leben ohne Zumutungen“ versprochen. Wir hatten dies auch schon kritisiert.

Ähnliches gebe es in allen Bereichen der Sozialpolitik wie auch der Klimapolitik. Wer eine andere Energiewirtschaft wolle so Schmergal, dürfe sich nicht darauf beschränken, die Ziele zu benennen. Es müssten auch die Kosten beziffert werden, die dadurch entstehen. Und vor allem, wer diese tragen müsse. Schmergal wirft der Union vor, aus den schlechten Erfahrungen des Wahljahres 2005 mit der damals praktizierten „Ehrlichkeitsstrategie“ seitdem kein Wahlprogramm mehr verabschiedet zu haben, das diesen Namen verdiene. Schuld daran seien aber auch die Bürger: „Wir Bürger tragen eine Mitschuld am allgemeinen Hang zum Ungefähren. Weil wir uns – bislang zumindest – recht bereitwillig verschaukeln ließen, statt Politiker zu würdigen, die offen über Zumutungen sprechen.“

Die Argumentation klingt überzeugend, hat aber einen kleinen Haken: Was machen Wähler, die die Zumutung nicht mitmachen wollen, die ihnen ein Politiker konkret und ehrlich in Aussicht stellt, der sich damit also vorbildlich verhält? Sollen sie ihn dann trotzdem wählen, seine Partei, weil er so ehrlich ist? Um es an einem ganz einfachen Beispiel konkret zu machen: Angenommen, ein Wähler findet die Energiewende falsch, soll er dann Annalena Baerbock wählen, weil die ihm offen erklärt hat, der Benzinpreis werde weiter steigen? Oder sollte er doch besser CDU wählen, die zwar in der Tendenz in die gleiche Richtung läuft, aber gleichwohl die Hoffnung bietet, etwas mehr Rücksicht auf das Portemonnaie des Wählers zu nehmen, ohne ihm wirklich zu sagen, was die eigene Politik ihn konkret kosten wird. Und umgedreht: Soll, wer noch schärfere Ziele mit der Energiepolitik für richtig hält, aber keinen ehrlichen Politiker findet, der dies mit allen finanziellen Folgen konsequent vorrechnet, einen Politiker wählen, der die Ziele ablehnt, aber konkret vorrechnet, was die Gegenposition kostet?

Das sich Verschaukeln lassen der Wähler wird von diesen einfach häufig in Kauf genommen, weil die Anbieter der ehrlichen Lösung für potenzielle Wähler häufig insgesamt deutlich schlechtere Perspektiven bieten. Es ist daher kaum die richtige Lösung, die Wähler für das Ungefähre der Politiker verantwortlich zu machen. Sie sind schon selbst dafür verantwortlich, nur ungern unangenehme Wahrheiten zu sagen. Aufgabe der Journalisten ist, den Lesern die Ungenauigkeiten aufzuzeigen. Wenn dann der glückliche Fall eintritt, dass Ehrlichkeit und politische Aussagen eines Politikers zu den Wünschen des Wählers passen, dann kann und wird er dies sicher mit seiner Stimme belohnen. In allen anderen Fällen ist das Wahlverhalten aber wohl kaum der Tatsache geschuldet, sich als Wähler gerne verschaukeln lassen zu wollen.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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