Mittwoch, 26. April 2023

Rückblick auf Libra und Ausblick auf das neue Rechtsinformationssystem des Bundes

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Man darf sich den Dialog mit der Bundesregierung nicht zu einfach vorstellen. Sie ist eine Verwaltungsbehörde. Dazu noch die höchste im Staat. Da hat das Lenken oberste Priorität. Zum Denken bleibt wenig Zeit. Trotzdem kann es in der Verwaltung zu Lernprozessen kommen. Sie sind von außen bloß nicht immer leicht erkennbar. Das zeigt der Fall Libra.

Wie hier im Blog berichtet, hat die juris GmbH das von ihr aufgelegte Justiznachrichten-Portal mittlerweile abgeschaltet. Das war die richtige Entscheidung. Aber warum wurde sie erst am 3. März 2023 getroffen? Die juris GmbH hat bis dahin viel unnötiges Geld und Ehrgeiz in das Projekt gesteckt. Ihre Geschäftsführung erklärte den Aufbau eines redaktionellen Rechtsinformationsportals noch im Dezember 2022 für rechtlich unbedenklich. Mitglied der Geschäftsführung: Joachim Weichert. Der Ministerialrat wurde eigens sonderbeurlaubt, um das Interesse des Bundes im Geschäftsbetrieb der juris GmbH zu wahren. So steht es in der Bundestagsdrucksache 20/6057. Es handelt sich um die Antwort der Bundesregierung auf die „Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU 'Beteiligung des Bundes an der juris GmbH und deren Tätigkeit’“. Ihr zufolge wurde das Umdenken durch eine Presseanfrage vom 24. Dezember ausgelöst. Daraufhin habe das Bundesjustizministerium am 10. Januar 2023 ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Das Gebot der Staatsferne, so dessen Resultat, ist auf Libra anwendbar – anders als die juris-Geschäftsführung meinte. Weichert erhielt 2020 und 2021 Gesamtbezüge von jeweils über 180.000 Euro. Von der juris GmbH, nicht vom Bund. Das war offenbar keine gute Idee.

Immerhin durchliefen die Auftraggeber des Gutachtens einen schnellen Lernprozess: Einen Tag nach dessen Erhalt setzten sie die Abschaltung von Libra durch. War das ein Bauernopfer? Dafür spricht, dass Libra nicht zu halten war. Das Ausmaß an unprofessionellem Handeln war zu groß. Offenbar fehlten Instanzen zur Selbstkontrolle komplett – oder sie funktionierten nicht. Werden ähnlich eklatante Verstöße im Bereich der freien Wirtschaft aufgedeckt, müssen Verantwortliche mit drakonischen Maßnahmen rechnen. Und hier? Dr. Martin Plum (Bundestagsabgeordneter der CDU), dessen Anfragen die Ministerialbürokratie in die Enge getrieben hatten, nahm in seiner Reaktion auf die Einstellung von Libra kein Blatt vor den Mund: „Die politische Verantwortung für den monatelangen verfassungswidrigen Zustand und die dafür ‘verbrannten’Gelder trägt der Bundesjustizminister.“

Apropos: Heißt der nicht Dr. Marco Buschmann? Wie Jochen Zenthöfer nachzählte, wurde der Bundesjustizminister in den bis Anfang Januar 2023 erschienenen 36 Libra-Newslettern 46-mal namentlich erwähnt, mehr als jeder andere Politiker. Kann es sein, dass Buschmann von Libra nichts wusste? Das wäre kaum vermittelbar angesichts seines aktiven Auftretens in Medien und sozialen Netzwerken. Auf die Frage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wann der Bundesjustizminister über Libra informiert wurde, lautet die Antwort, Buschmann habe erst am 20. Dezember 2022 aus einem Pressebericht erfahren, dass es sich bei Libra „um ein Produkt der juris GmbH“ handele. Daran sieht man, wie wichtig die Presse ist. Sie schließt Schlupflöcher. Denn vor dem Vergessen kommt das Nichtwissenwollen.

Die Ministerialbürokratie hat im Fall Libra eine Schlappe einstecken müssen. Sie wurde daran erinnnert, dass die Politik durch die Presse wirksam kontrolliert werden kann. Aber was genau hat sie daraus gelernt? Das steht in der Antwort der Bundesregierung auf die juris-Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zwischen den Zeilen: Do it yourself! Der Bund setzt auf Verstaatlichung. Er will sich aus der juris GmbH komplett zurückziehen, und dies noch in der laufenden Legislaturperiode. Wer sich bei dieser Nachricht verwundert die Augen reibt, sollte wissen: Die juris GmbH steht in der Fachöffentlichkeit seit Langem in der Kritik. Experten und Praktiker aus Justiz und Verwaltung monieren seit vielen Jahren den privilegierten Zugriff der juris GmbH auf Informationen, die für alle gleichermaßen zugänglich sein müssten. Gesetze und Entscheidungen der Justiz und der Verwaltung gehören niemandem. Sie sind die Grundlage für eine regelbasierte Auseinandersetzung und deshalb aus der Marktlogik von Angebot und Nachfrage herauszuhalten. Aber wie soll das gehen? Im Zentrum der geplanten Entflechtung steht die DigitalService GmbH, ein im Alleinbesitz des Bundes befindliches Start-up-Unternehmen. Sie haben richtig gelesen: Ein Start-up soll in nicht einmal drei Jahren leisten, was einer Heerschar von Ministerialbeamten in den vergangenen 30 Jahren nicht gelungen ist. Ein lösbares Problem? Sagen wir mal so: Samuel van Oostrom, dem zweiten Geschäftsführer der juris GmbH, bereitet die Entflechtung vermutlich keine schlaflosen Nächte. Er hat eine klare Meinung: „Es ist doch keine Frage, dass Deutschland digital-technisch ein Entwicklungsland ist.“ Wir sind da ein bisschen optimistischer. Ja, der Aufbau eines modernen Rechtsinformationssystems kann gelingen. Aber nur, wenn Lernprozesse erlaubt sind. Bleiben wir wachsam.


Verfasst von: Gregor Kuntze-Kaufhold | Kommentare (0)

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