Montag, 17. April 2023

Woher der Wind weht

Gastkommentar von Dietrich W. Thielenhaus
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Die amtierende Bundesregierung betreibt zunehmend eine Politik mit unabsehbarer Tragweite. Das gilt für ihr aktives Tun ebenso wie für ihr gewolltes Unterlassen. Die Folgen zeigen sich an zahlreichen Defiziten wie der kontraproduktiven Wirtschaftspolitik, der inneren und äußeren Sicherheit, der maroden Infrastruktur, dem leistungsfeindlichen Steuersystem, der Überbürokratisierung, der außer Kontrolle geratenen Migration und den allgegenwärtigen Political-Correctness-Manipulationen. Realitätsverweigerung und ideologisch geprägtes Wunschdenken sind zum Markenzeichen der Ampel-Koalition geworden. Vor allem der absurde Ausstieg aus der Kernkraft im internationalen Alleingang legt nahe, dass insbesondere die Grünen auf dem Weg in eine andere Republik sind. Der Wind weht von links.

Globale Konjunktur

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Wachstumsprognose für die Weltkonjunktur im laufenden Jahr – nach 3,4 % in 2022 – auf nun 2,8 % gesenkt. Während die Industrieländer 2023 nur um 1,3 % zulegen sollen, prognostiziert der IWF für China und Indien Steigerungsraten von 5,2 % bzw. 5,9 %. Für die Euro-Zone sei mit einem durchschnittlichen Plus von 0,8 % zu rechnen. Zu den konjunkturellen Schlusslichtern in Europa zähle Deutschland, das mit 0,1 % Schrumpfung in die Rezession abgleiten werde. Auch für die nächsten fünf Jahre werde das durchschnittliche globale Wachstum nicht über der 3-%-Marke liegen. Die aktuelle Lage sei belastet durch die hartnäckige Inflation, die hohen Zinsen, die Verunsicherungen im Bankensektor, den Ukraine-Krieg und die Folgen der Corona-Pandemie. Weltweit erwartet der IWF für 2023 eine Geldentwertung von durchschnittlich 7 %, die sich im nächsten Jahr auf 4,9 % abschwächen soll.

Licht am Horizont?

Uneinheitlich präsentieren sich derzeit die Konjunkturdaten für Europa und die Bundesrepublik. So hat sich laut dem Einkaufsmanager-Index von S&P Global die Stimmung der Industrieunternehmen der Euro-Zone im März weiter verschlechtert. Die Unternehmen bekämen die steigende Inflation, die restriktivere Geldpolitik und den Abbau von Lagerbeständen zu spüren. Dagegen haben die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Prognosen für das laufende Jahr wegen der sinkenden Energiepreise angehoben. Das Frühjahrsgutachten erwartet einen BIP-Anstieg um 0,3 % für 2023 und um 1,5 % für 2024. Die Inflationsrate werde von 6,9 % in 2022 auf 6 % in diesem Jahr nur leicht zurückgehen. Erst für 2024 sei mit einer starken Senkung auf 2,4 % zu rechnen. In dieses insgesamt relativ positive Bild passt die Tatsache, dass die deutsche Industrieproduktion im Februar preis-, saison- und kalenderbereinigt gegenüber dem Vormonat um 2,0 % gestiegen ist. Schon im Januar hatte die industrielle Fertigung um beachtliche 3,7 % zugelegt. Spitzenreiter beim Wachstum war die Automobilindustrie mit einem Plus von 7,6 %, das Baugewerbe steigerte sich um 1,5 %. Angesichts des ebenso breiten wie komplexen Risiko-Spektrums besteht allerdings derzeit keinerlei Anlass für euphorische Hochrechnungen.

Neues „Wirtschaftswunder“?

Bei der kürzlich erfolgten Ankündigung des Bundeskanzlers, wegen der hohen Klimaschutz-Investitionen werde es hohe Wachstumsraten wie zu Zeiten des „Wirtschaftswunders“ in den 1950er und 1960er Jahren geben, dürfte der Wunsch der Vater der illusionären Prognose gewesen sein. Damals war das deutsche BIP jährlich um durchschnittlich etwa 8 % gestiegen. Für den Zeitraum bis 2027 gehen die Sachverständigen allerdings nur von einem Wachstum um 0,9 % p. a. aus. Prof. Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft fasst die Lage vor diesem Hintergrund folgendermaßen zusammen: „Die Wachstumsaussichten für die deutsche Wirtschaft gleichen einer Pferdekutsche, bei der die Zahl der Zugtiere sinkt und das Kraftfutter verringert wird, aber mehr Passagiere mitfahren sollen.“ Deshalb müsse dringend Ballast abgeworfen werden. Außerdem stellt Kooths fest: „Die Vorstellung, wir bekommen die Dekarbonisierung und ein Wachstumswunder obendrauf, ist eine Illusion.“ Grundsätzliche Kritik übt das Frühjahrsgutachten am wirtschaftspolitischen Kurs der Bundesregierung. So sei es wenig sinnvoll, die hohen Energiepreise durch Subventionen zu senken. Wichtiger sei, die Unternehmen effizienter und die Standortbedingungen besser zu gestalten. Mit Sorge blicken die Ökonomen auf den Immobilienmarkt. Banken würden in Schwierigkeiten geraten, wenn Hauskäufer wegen der gestiegenen Zinsen ihre Kredite nicht mehr bedienen könnten. Dieses Problem sei in der öffentlichen Diskussion noch „unterbelichtet“. Einer neuen EY-Umfrage zufolge rechnen bereits zwei Drittel der Banken mit zunehmenden Kreditausfällen. Auch im Unternehmensbereich zeichnen sich wachsende Finanzierungsprobleme ab, obwohl sich die Bank-Kriterien für die Vergabe von Krediten laut ifo wieder etwas entspannt haben. Der Kreditversicherer Allianz schätzt, dass es in diesem Jahr ein Fünftel mehr Firmenpleiten geben werde als 2022.

„Dramatischer Irrtum“

Gegen den Willen einer großen Bevölkerungsmehrheit sind am 15. April die letzten drei deutschen Kernkraftwerke vom Netz genommen worden. Nur 28 % der von Forsa Befragten bezeichnen die Abschaltung als richtig, 43 % wollen die Laufzeiten verlängern und weitere 25 % stillgelegte AKWs wieder hochfahren. Die FDP konnte sich mit ihrem Vorschlag, die Kraftwerke zumindest als Reserve vorzuhalten, nicht in der Ampelkoalition durchsetzen. Während die Außerdienststellung vor allem von grünen Parteigängern als Akt der Befreiung gefeiert wurde, sprach der CDU-Abgeordnete Spahn von einem „schwarzen Tag für Klimaschutz“. Der grüne Klimaminister lasse lieber Kohlekraftwerke laufen als klimaneutrale Kernkraftwerke. Habeck hat mehrfach behauptet, dass die Energieversorgung auch nach dem Atomausstieg sicher sei. Der E.On-Chef merkt zum Ende des Werks 'Isar 2' ratlos an: „Wir schalten eine der sichersten, produktivsten und besten Anlagen der Welt ab. Das verstehe, wer will – ich nicht.“ Der FDP-Vize Kubicki spricht von einem „dramatischen Irrtum und schmerzhaften ökologischen Konsequenzen“. Eine von den Grünen in Auftrag gegebene Studie kommt – nicht wirklich überraschend – zu dem Ergebnis, dass die Nutzung von Kernkraft keinen Sinn mache. Die Studie verleiht der Hoffnung Ausdruck, dass „100 Prozent erneuerbare Energiesysteme nicht nur technisch machbar, sondern auch ökonomisch kostengünstig sind“.

Ende des Atomkraft-Zeitalters?

Der Bundeswirtschaftsminister hat den Ausstieg als unumkehrbar bezeichnet. Dem hält der bayerische Ministerpräsident entgegen: „Es besteht eine große Doppelmoral darin, zu Hause aus der Kernkraft auszusteigen und gleichzeitig – wie Robert Habeck – Atomkraftwerke in der Ukraine gut zu finden und parallel Atomstrom aus Frankreich und Tschechien zu importieren. Damit entzieht sich Deutschland seiner Verantwortung. Für mich ist klar: Wenn die Union die nächste Bundestagswahl gewinnt, sollte es eine Verlängerung der Kernenergie geben.“ Und zur Frage nach dem Bau neuer Anlagen führt Söder aus: „Wir brauchen auch neue Forschung neben dem Weiterbetrieb der bisher laufenden AKWs. Zum einen sollten wir die Forschung für die sogenannte kleine Kerntechnologie forcieren. Zum anderen brauchen wir mehr Wissen über die neue Kernfusion. Der Durchbruch in den USA ist bemerkenswert. Diese Chance dürfen wir nicht verspielen und wieder nur anderen überlassen. Daher wird Bayern in die Forschung zur neuen Kernfusion einsteigen. Wir überlegen sogar, in Bayern einen Kernfusionsreaktor für Forschungszwecke zu bauen, um Wirtschaft und Wissenschaft auf den besten Weg zu bringen. Gerne auch in Partnerschaft mit anderen Bundesländern.“ Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) warnt vor Versorgungsengpässen und steigenden Energiepreisen. In den europäischen Nachbarländern herrscht allgemeine Verwunderung darüber, dass Deutschland während der größten Energiekrise im internationalen Alleingang freiwillig aus der CO2-freien Atomkraft aussteigt. Frankreich plant bis Mitte des nächsten Jahrzehnts – zusätzlich zu den über 50 bestehenden Anlagen – sechs neue Kernkraftwerke. Schweden, Polen, Italien und die Niederlande wollen ebenfalls in neue Atommeiler investieren. Für den Großteil der EU-Staaten verkörpert Kernkraft eine klimaneutrale Technologie, die daher mit EU-Geldern gefördert werden soll. Die offizielle Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums zum Ausstieg trägt die bescheidene Überschrift „Deutschland beendet das Zeitalter der Atomkraft“. Das klingt, als säße die Bundesregierung am zentralen Schaltpult der weltweiten Energieversorgung. Offenbar wähnt man sich als energiepolitischen Vorreiter, der gegen alle Widerstände einen monopolistischen Wahrheitsanspruch erhebt und unbeirrbar verteidigt. Die globale Realität sieht jedoch anders aus: Keine Spur vom Ende des Atomkraft-Zeitalters ist in Sicht. Daniel Goffart bringt das absurde Geschehen in der 'WirtschaftsWoche' in einer Headline mit der rhetorischen Frage so auf den Punkt: „Wer ist der Geisterfahrer?“

„Sieg über die Vernunft“

„Im Interesse der Bürger von Deutschland, Europa und der Welt“ haben 20 namhafte Wissenschaftler in einem offenen Brief an Bundeskanzler Scholz den Weiterbetrieb der drei letzten deutschen Atomkraftwerke gefordert. Die Verfasser weisen darauf hin, dass die Reaktoren mit ihrer Jahresproduktion von zuletzt 32,7 Mrd. Kilowattstunden über 10 Mio. Haushalte mit klimafreundlicher Energie versorgt haben. Damit könnten im Vergleich zur Kohlekraft auch weiterhin bis zu 30 Mio. Tonnen CO2 jährlich eingespart werden. Die Kernenergie könne „klar ersichtlich zur Linderung der Energiekrise und zum Erreichen der deutschen Klimaziele beitragen“. Zu den Unterzeichnern gehören neben dem Physik-Nobelpreisträger Klaus von Klitzing renommierte Klimaforscher und Umweltschützer. Als „Sieg grüner Ideologie über die Vernunft“ bezeichnet der Publizist Nikolaus Blome den Atomausstieg. Bei so viel ideologischer Verblendung könne man nur mit dem Kopf schütteln. Für einen Triumph der grünen Minderheit werde eine sichere Stromversorgung und die Reduktion von Treibhausgasen leichtfertig aus der Hand gegeben. Blome weiter: „Deutschland verpasst eine pragmatische Lösung und mauert ohne Not eine Tür zu, die man im nächsten Herbst und Winter womöglich dringend braucht. Verantwortlich sind vor allem die Grünen in der Regierung. Doch FDP und SPD samt Kanzler schauen wie ermattet zu, auch das ist ein Armutszeugnis. Den Preis zahlen wir alle.“ Der Verband der Familienunternehmer warnt, dass der Ausstieg zu einer Kettenreaktion der Wirtschaft führe. Diese Maßnahme werde im Rückblick als eine der absurdesten Entscheidungen in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Die Abschaltung des relativ günstigen Atomstroms verschärfe die Probleme: Die immens teuren deutschen Energiepreise seien für die heimische Industrie ein wichtiger Grund, um ihre Produktionskapazitäten zu verlagern und neue Fertigungsstätten außerhalb von Deutschland aufzubauen. Die AKWs würden durch deutlich teurere Kohlekraftwerke ersetzt, die das CO2-Kontingent beschleunigt verbrauchen. Wenn die energieintensive Industrie aus Deutschland abwandere, werde dies auch zahlreiche Zulieferer und Dienstleister erfassen. Deutschland könne sich eine dauerhafte und flächendeckende Subventionierung von Industriestrom finanziell nicht leisten.

Im Unfehlbarkeitswahn

Die grüne Partei, die bei der letzten Bundestagswahl 2021 gerade einmal 14,8 % der Stimmen erhalten hat, ist offenbar dabei, Weichen in Richtung auf eine andere Republik zu stellen. Erschreckend sind das Ausmaß an Realitätsverweigerung und der ideologisch reklamierte Unfehlbarkeitsanspruch. Der vermeintlich frische Wind, den Sympathieträger wie Baerbock und Habeck nach Amtsantritt in das verstaubte Berliner Machtgefüge zu bringen schienen, ist längst dem Mief einer nur eingeschränkt handlungsfähigen und kaum noch zukunftsorientierten Kaderpartei gewichen. Darüber kann auch der unverändert betont lockere und zeitgeistig-bürgerliche Auftritt des Führungspersonals nicht hinwegtäuschen. Im Spannungsfeld zwischen Ideologie und Vernunft obsiegen Wunschdenken und Realitätsverweigerung. Das demokratische Prinzip eines Wettstreits der Argumente wird nur oberflächlich gelebt. Resilienz führt selbst dann zur Unbelehrbarkeit, wenn der eingeschlagene Kurs auf die Klippen führt. Reicht die Überzeugungskraft nicht aus, setzt man auf Vorschriften, Reglementierungen und Verbote. Die 'Staatlichkeit' breitet sich weiter aus zulasten der individuellen Freiheitsspielräume. Die bei der Bildung der Ampel-Koalition gehegte Hoffnung, dass die FDP als Korrektiv schon das Schlimmste verhindern werde, erscheint zunehmend zweifelhaft. Der kleinste Koalitionspartner wird sich zwischen schnöder Machtbeteiligung und der Verantwortung für Generationen entscheiden müssen.

Der Unternehmer Dietrich W. Thielenhaus  kommentiert aktuelle Entwicklungen in Politik und Wirtschaft.


Verfasst von: Dietrich W. Thielenhaus | Kommentare (0)

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