Mittwoch, 25. Januar 2023

„Libra – das Rechtsbriefing“: Etikettenschwindel im staatlichen Auftrag

Kommentar | Kommentare (0)

Samuel van Ostroom ist ein Glückspilz. Als Geschäftsführer der juris GmbH bezog er im Jahr 2020 weit über 300.000 Euro Salär. So steht es im Beteiligungsbericht des Bundes, der Mehrheitsgesellschafter an der juris GmbH ist. Noch mehr Glück hat van Ostroom, dass er nicht im 16. Jahrhundert unter die Regierungsgewalt Karls V. geraten ist. Sonst gälte für ihn die Peinliche-Halsgerichtsordnung. Ginge es nach deren Wortlaut, hätte der juris-Geschäftsführer kein Geld, sondern Hiebe bezogen. Denn: „Welcher bößlicher und gefährlicher weiß Waag, Gewicht ... fälschet, dem soll das Land verbotten oder er soll mit Ruten ausgehauen werden.“ Damals waren Waagen für Gemüse und Fleisch gemeint. Oostrom betreibt eine Waage (lateinisch  „libra“) für die Konsumenten von Informationen. Eigentlich keine schlechte Idee. Die überhitzten Meinungsmärkte können nüchterne, fundierte Informationen gut gebrauchen. Und „Libra – das Rechtsbriefing“ liefert. Der als Newsletter daher kommende Dienst bietet Informationshäppchen aus der Welt von Politik und Recht. Schmackhaft, gut verdaulich und hübsch dekoriert. Wo ist das Problem?

Dr. Martin Plum, Bundestagsabgeordneter der CDU, sieht mehrere. Er fragte die Bundesregierung, wie ernst sie es mit dem Prinzip nehme, den Staat aus dem Pressewesen herauszuhalten. Der parlamentarische Staatssekretär Benjamin Strasser antwortete am 30.12.2022, man sei mit der juris GmbH im Austausch, um zu prüfen, ob Libra staatsfern genug ist. Leider sagte Strasser nichts darüber, wie die Prüfung abläuft. Zensiert er jeden Text, um sicherzustellen, dass die Waage ausgewogen ist? Sitzt er an seinem Schreibtisch und sinnt darüber nach, wie Formulierungen ausreichend scharf gemacht werden können, damit die Kritik an der Bundesregierung nicht zu kurz kommt? Streicht er hier ein übertriebenes Lob rot an, setzt er dort ein grünes Häkchen neben einen rhetorischen Leberhaken? Und schreibt daneben: Weiter so!? Karl V. würde sich die Augen reiben.

Jochen Zenthöfer glaubt nicht an die Bereitschaft zur staatlichen Selbstzensur. Der FAZ-Journalist hat die bislang erschienenen Libra-Newsletter durchgesehen und präsentiert Beispiele für eine parteipolitische Schlagseite. Sein Ergebnis: Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann (FDP) könnte sich eine ministerielle Pressestelle sparen – er habe ja Libra. Hat Strasser, selbst Bundestagsabgeordneter der FDP, bei seiner Textkorrektur womöglich die Stifte vertauscht?

Ich will mir ein eigenes Bild machen und schnappe mir den ersten Text, den ich auf der Webseite finden kann. Es geht um die Frage, ob Bundesfinanzminister Christian Lindner vorverurteilt wurde, als die Berliner Generalstaatsanwaltschaft auf Anfrage des Tagesspiegel bekannt gab, sie führe eine strafrechtliche Vorprüfung wegen eines Grußworts durch, das der Finanzminister bei einer Veranstaltung seiner Hausbank gesprochen hatte. Ein Thema, bei dem man eine austarierte Waage gut gebrauchen kann! In ihrem Text gibt die Autorin die Meinungen von zwei Rechtsanwälten wieder. Der erste gehe davon aus, die Generalstaatsanwaltschaft habe Lindners Persönlichkeitsrechte durch die Auskunft verletzt. Der zweite, schreibt sie, könne eine Persönlichkeitsrechtsverletzung  „beim besten Willen nicht erkennen“.

Was genau wägt die Autorin ab? Geht es ihr wirklich um das Für und Wider der Auskunft, die von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin gegeben wurde? Ich sehe genauer hin. Die Autorin leitet ihren Text mit der Replik des (FDP-) Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki ein. Der hatte gefordert, die Justizsenatorin von Berlin solle die Generalstaatsanwältin entlassen – oder selbst zurücktreten. Starker Tobak! Hier wäre Material, wie geschaffen für eine Präzisionswaage: Einer der ranghöchsten Vertreter des demokratischen Souveräns fordert Sanktionen seitens der Verwaltung gegenüber der Justiz im Zusammenhang mit einer medialen Veröffentlichung. Damit schafft es Kubicki, in einem Satz alle vier Gewalten in einen Topf zu werfen. Eine polemische Meisterleistung.

Aber wie schwer wiegt ein solcher Eingriff in die Mechanik der Gewaltenteilung? Die Autorin gibt keine Antwort auf diese Frage. Sie schreibt am Elefanten vorbei. Immerhin scheint ihr dabei nicht ganz wohl zu sein. Denn sie hält es am Ende für nötig, bei den Lesern (die als #TeamJura angesprochen werden) gut Wetter zu machen, indem sie ihnen unterstellt, sie wüssten ja, „dass die Justizsenatorin die Generalstaatsanwältin nicht einfach entlassen könnte“. Das ist eine merkwürdig ungare Halbwahrheit. Wie schnell Generalstaatsanwälte in Deutschland entlassen werden können, sah man im August 1999, als der damalige Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns, Harald Ringstorff, den Generalstaatsanwalt Alexander Prechtel Knall auf Fall rausschmiss.

Aber zurück zu Libra: Mein Urteil fällt negativer aus als die Analyse des FAZ-Kollegen. Ich glaube, Libra ist kein Ersatz für das Pressebüro eines FDP-Ministers. Es ist ein Spielplatz für liberale Seilschaften. Ich gebe zu, das ist eine äußerst primitive Einschätzung. Sie kann richtig oder falsch sein. Auf alle Fälle ist sie ungerecht, weil sie auf der Lektüre eines einzigen Beitrags beruht. Mir kommt es hier ausnahmsweise aber nicht auf wahr oder falsch an, sondern auf den Eindruck. Und der stützt sich auf Fakten: Libra veröffentlicht Texte, die vor FDP-Parteipolitik triefen. Libra ist intransparent, was das Geschäftsmodell angeht – der Newsletter ist kostenlos, eine Werbefinanzierung ist nicht erkennbar.

Libra ist ein rechtlich unselbständiger Teil der juris GmbH, die im Mehrheitsbesitz des Bundes steht. Die Kombination dieser Faktoren reicht aus, um das Projekt für das zu erklären, was es ist: Eine Gefährdung der Demokratie. Nein, lieber Herr Strasser, das sind keine zu harten Worte. Und nein, liebe Autorinnen und Autoren der Libra, diese Feststellung ist in keinster Weise gegen Euch gemünzt! Was ich meine, ist: Die Politik neigt dazu, Kumpanei mit der vierten Gewalt einzugehen. Was oft übersehen wird: Das gilt besonders für fortgeschrittene Demokratien. Denn dort sind die primitiveren Mittel – staatliche Vorzensur und unmittelbarer Druck – verpönt. Die Medien neigen ihrerseits dazu, Kumpanei mit der Politik anzustiften oder auszunutzen. Wer das nicht glauben mag, dem sei die ORF-Dokumentation über den türkisen Weg zur Macht empfohlen. Der Staat darf aufklären, wenn es – ausnahmsweise – staatlicher Aufklärung bedarf. Was er nicht tun darf, ist: Mit staatlichen Mitteln Propaganda zu betreiben. Auch keine parteipolitisch inspirierte. Der Weg von einer falsch eingestellten Waage zur Verschiebung gesellschaftlicher Gewichte ist kurz. Karl V. wusste das.


Verfasst von: Gregor Kuntze-Kaufhold | Kommentare (0)

Zurück zum Blog

Kommentar verfassen

Bitte beachten Sie bei Ihren Kommentaren unsere Netiquette