Mittwoch, 20. April 2022

Scheitert die Energiewende am Bau am Fachkräftemangel? Facharbeiter und Bauingenieure dringend gesucht

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Aufgrund des Ukrainekrieges und der dadurch stark ins Bewusstsein gerückten Energieabhängigkeit Deutschlands von Russland stehen die bisher schleppende Umsetzung der Energiewende in Deutschland und das Verfehlen der Pariser Klimaziele wieder stärker im Fokus. Neben dem Energieerzeugungs- und dem Verkehrsbereich kommt dabei auch der Bauwirtschaft eine besondere Bedeutung zu. Und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen wird der Umstieg von fossiler Energiegewinnung hin zu erneuerbaren Energien nur gelingen, sofern genügend Fachkräfte im Elektroinstallations- sowie Sanitär- und Heizungsgewerbe zur Verfügung stehen, um die entsprechenden Anlagen zu installieren. Zum anderen braucht es aber auch ausreichend Bauingenieure, um entsprechende klimafreundliche Bauten zu planen und zu errichten.

Um die Dimensionen zu verstehen, um die es bei diesen Herausforderungen geht, zunächst einige Zahlen: ● 35 Prozent der Endenergie in Deutschland wird in Gebäuden verbraucht, zwei Drittel davon in Wohngebäuden ● Es gibt 3,2 Millionen Mehrfamilienhäuser in Deutschland, in denen knapp die Hälfte der rund 43 Millionen Wohnungen bestehen. Jedes fünfte Mehrfamilienhaus hat besonders schlechte Energieeffizienzwerte ● Nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) fehlen auf das Gesamthandwerk bezogen derzeit schätzungsweise 250.000 qualifizierte Fachkräfte – Tendenz steigend. Zum einen wegen der demografischen Entwicklung und zum anderen wegen der für die anstehenden Transformations- und Modernisierungsaufgaben zusätzlich nötigen Fachkräfte. Daher warnt der ZDH, die zusätzlichen Aufgaben im Bereich Klimaschutz, Energie- und Umweltschutz, Wohnungs- und Infrastrukturausbau ließen sich mit den gegenwärtigen Fachkräften wohl nicht bewältigen.

Ein weiteres Problem, so der ZDH, sei der drohende Wegfall von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, sofern der Nachwuchs für die im Handwerk anstehenden etwa 125.000 Betriebsübergaben in den nächsten fünf Jahren fehlen sollte und deshalb die Nachfolge nicht klappen würde. Nur mit ausreichend qualifizierten Handwerkerinnen und Handwerkern könnten Klimaschutz, Energie- und Mobilitätswende sowie der Infrastrukturausbau umgesetzt und die tägliche Versorgung sichergestellt werden.

Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes teilt uns mit, im Jahresdurchschnitt 2021 seien in der Branche 919.000 Arbeitsplätze verzeichnet gewesen. Die hätten rund 320.000 neue Wohnungen gebaut. Dass dies gelungen sei, habe man aber auch den entsprechenden Rahmenbedingungen zu verdanken: „Es gab eine KfW-55-Förderung, es gab eine degressive AfA, und es gab noch das Baukindergeld. Alle drei Förderinstrumente gibt es derzeit nicht mehr.“ Mittelfristig geht der Verband davon aus, dass jedes Jahr rund 15.000 Mitarbeiter altersbedingt ausscheiden werden. Diese könnten trotz jährlich steigender Auszubildendenzahlen nicht zu 100 Prozent ersetzt werden. „Daher benötigen wir auch zukünftig ausländische Arbeitskräfte.“

Nicht anders sieht es bei den Bauingenieuren aus. Im Rahmen der aktuellen Konjunkturumfrage der Bayerischen Ingenieurkammer berichteten mit ● 60,7 Prozent beinahe doppelt so viele Büros wie im Vorjahr von Verzögerungen auf der Baustelle wegen Lieferschwierigkeiten und Personalengpässen. Aktuell hätten ● 53,6 Prozent der befragten Büros offene Stellen zu besetzen (Vorjahr 39 Prozent) ●73,5 Prozent (Vorjahr 63 Prozent) der Büros gäben an, Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Stellen mit qualifiziertem Personal zu haben. Der Einstellungsbedarf liege deutlich über den Absolventenzahlen. Bundesweit gab es 2020 insgesamt 81.375 Ingenieurbüros, die einen Umsatz von 53,36 Milliarden Euro tätigten und 508.917 Personen beschäftigten. Mit rund 10 Milliarden Euro steuern die 15.604 freiberuflich tätigen Ingenieure und Ingenieurbüros in Bayern über ein Fünftel des bundesweiten Umsatzes bei.

Welche Konzepte es für zukunftsfähiges Bauen gibt und wie sich die Personalsituation am Bau darstellt, darüber haben wir haben uns mit Jens Wixmerten-Nowak, Geschäftsführender Gesellschafter WSK Ingenieure Düsseldorf, unterhalten. WSK Ingenieure Düsseldorf und WSK Ingenieure Berlin gehören zur EDD-Holding (Engineering Digital Design), die rund 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Düsseldorf, Berlin, Köln, Zagreb und Sarajevo beschäftigt. WSK Ingenieure befassen sich in der Tragwerksplanung mit diversen Bereichen des Hochbaus, wie ● Bürogebäude/Verwaltungsgebäude ● Hotelbauten ● Hallenbau ● Sportstätten/Sporthallen ● Wohnungsbau ● Kaufhäuser/Einkaufszentren ● Schulen/Kindergärten ● Krankenhäuser/Pflegeheime● VGV-Verfahren. Das Unternehmen bearbeitet deutschlandweit sowohl Bestandsgebäude als auch Neubauten.

Zuletzt hatte Jan-Hendrik Goldbeck, Geschäftsführender Gesellschafter der GOLDBECK GmbH, auf einer Veranstaltung der Stiftung KlimaWirtschaft betont, die Bauwirtschaft befinde sich in einem massiven Umbruch. So sei beispielsweise Zement ein massiver Klimakiller. Die Branche arbeite aber intensiv an klimafreundlichen Lösungen. Insgesamt komme es darauf an, das der Branche teilweise zugeschriebene „Schmuddelimage“ loszuwerden. Es sei zwar nicht so einfach, sich als Bauunternehmen gegen das Bauen auszusprechen, aber es sei zumindest deutlich sinnvoller, bestehende Bausubstanz für neue Anforderungen umzubauen, als stereotyp auf Abriss und Neubau zu setzen. Als weiteres Beispiel nannte er die Art und Weise des Bauens. Früher sei gerne von „Massivbau“ gesprochen worden. Heute gehe es darum, nur so massiv zu bauen, wie es für die konkrete Zweckbestimmung des Gebäudes erforderlich sei.

Wixmerten-Nowak bestätigt, inzwischen sei allgemeine Erkenntnis, „dass die Baubranche ein wesentlicher Faktor für den CO₂-Ausstoß ist. In diversen Studien werden Zahlen um die 40 Prozent genannt, die direkt oder indirekt durch diese Branche den CO₂-Ausstoß verursachen. Hier müssen und wollen wir als Büro für Tragwerksplanung unseren Beitrag zu einer optimierten, ressourcenschonenden Gebäudestruktur leisten.“ Dies könne aber nur in enger Abstimmung mit den anderen Fachplanern wie Objektplanern, TGA-Planern, der Bauphysik und den Freianlagenplanern gelingen. „Kein Gewerk kann ohne die anderen Beteiligten eine optimale Lösung herbeiführen, da alles zusammenhängt. Dazu kommt, dass man sich an geltende Vorschriften und Regelwerke (z.B. Schallschutz oder Bebauungspläne) halten muss.“

Wixmerten-Nowak nennt zwei Beispiele, die exemplarisch für die Komplexität stehen. Das Thema Holz-Hybrid-Bauweise werde bei sehr vielen Neubauprojekten als nachhaltige Bauweise zu Beginn der Planung angedacht. „Bei dieser Bauweise werden Holzbalken in engen Abständen eingebaut und mit einer dünnen Betondecke (ca. 12 cm) verzahnt. Bei üblichen Spannweiten ergibt sich so ein statisches Deckenpaket von knapp 50 cm gegenüber eine Betonflachdecke von ca. 30 cm. Die Betonersparnis ist enorm und führt somit zu einer erheblichen CO₂-Reduktion.“ Allerdings benötige man dadurch ca. 20 cm mehr Geschosshöhe, damit auch mehr Fassadenfläche und mehr zu beheizendes Gebäudevolumen. Beides erzeuge CO₂-Emissionen. „Bei mehrgeschossigen Gebäuden können diese geschossweisen zusätzlichen 20 cm dazu führen, dass man weniger Geschosse bauen kann als geplant, da die Gebäudehöhe durch den Bebauungsplan begrenzt ist. Das wiederum führt zu einer ineffektiven Ausnutzung des Baugrundstücks.“

Ein zweites Beispiel zeige das Zusammenspiel zwischen der Bauphysik und der Tragwerksplanung. Bei kurzen Deckenspannweiten reiche der Statik gegebenenfalls eine sehr dünne Betondecke, die Bauphysik muss sich jedoch an geltende Vorschriften für den Schallschutz halten und die geben eine größere Mindestdeckenstärke vor. „Letztendlich trifft der Bauherr die Entscheidung für die Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Allzu oft ist hier heute noch der Tenor: Wer bezahlt mir die größere Anfangsinvestition, um nachhaltig zu bauen? Hier muss der Hebel angesetzt werden, den Bauherren die Entscheidung zu erleichtern. Dazu zählen zum Beispiel die konsequente Förderung von PV-Anlagen und Wärmepumpen. Ebenso ist die Verwendung eines nachhaltigen Dämmmaterials zielführend. Das Ermöglichen von ´Urban Gardening´ fördert die Biodiversität des Gebäudes und unterstützt somit das Stadtklima.“

Bei all dem spiele die digitale Planung eine entscheidende Rolle, in der viele Gewerke interdisziplinär an einem gemeinsamen BIM-Modell mit dem Ziel der allseitigen Optimierung zusammenarbeiten. WSK, so Wixmerten-Nowak, arbeite seit vielen Jahren mit der BIM-Methodik und entwickle diese mit der eigenen BIM-Abteilung innerhalb der Holding EDD ständig weiter. In engem Austausch bearbeiteten hier Bauingenieure und Bauingenieurinnen sowie Konstrukteure und Konstrukteurinnen Hochbauten aller Art.

Und wie sieht es mit den Fachkräften dafür aus? Die fehlen auch WSK. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, unterhalte die EDD mit den Unternehmen WSK, IDK und Contec inzwischen nicht nur drei Standorte in Deutschland, sondern ebenfalls Niederlassungen in Zagreb und Sarajevo. „Dennoch“, betont Wixmerten-Nowak, „ist es wichtig, weiterhin Ingenieure*innen und Konstrukteure*innen an deutschen Standorten für unsere Idee der Nachhaltigkeit und der digitalen Planung zu gewinnen, was immer schwieriger wird. Sowohl große öffentliche Auftraggeber wie die Bahn und der BLB als auch Baufirmen haben erheblichen Bedarf an Nachwuchs, um die vielen Baustellen wie Brückensanierungen oder Wohnbauten voranzutreiben. Überzeugen können wir als mittelständischer Unternehmensverbund mit flexibler Arbeitsplatzgestaltung, attraktiven zentralen Standorten in Düsseldorf, Berlin und Köln und dem Engagement, wie wir Nachhaltigkeit leben. Hierzu sind inzwischen sechs SDG´s (Social Development Goals) zu unserer Leitlinie geworden, die wir an den Standorten verfolgen.“


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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