Donnerstag, 24. März 2022

Wege aus dem Wirtschaftskrieg – wie geht es mit der Globalisierung nach der „Zeitenwende“ weiter?

Gastkommentar von Prof. Dr. Henning Vöpel
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Der Krieg ist zurück in Europa und bringt entsetzliches Leid über die Menschen in der Ukraine. Da ein direktes militärisches Eingreifen der NATO in diesen Krieg ausgeschlossen wird, verlagert sich die politische Reaktion auf wirtschaftliche Sanktionen, wie der SWIFT-Teilausschluss Russlands oder das Einfrieren der russischen Zentralbankreserven. In Deutschland und Europa kommt es zu massiv steigenden Energiepreisen, aber auch andere Rohstoff- und die Nahrungsmittelpreise sind betroffen. Der sich abzeichnende Wirtschaftskrieg wirft zwei Fragen auf:

  1. Welche wirtschaftlichen Sanktionen können dazu beitragen, den Krieg zu beenden, und welche Kosten hätte etwa ein Energieembargo gegen Russland für die deutsche und europäische Wirtschaft?
  2. Welche geoökonomischen Folgen hat die in Reaktion auf den Krieg angekündigte sicherheitspolitische „Zeitenwende“ für die Lieferketten der deutschen und europäischen Wirtschaft?

Zur ersten Frage:

Die Erfahrungen mit wirtschaftlichen Sanktionen werden allgemein sehr kritisch gesehen, weil es fast nie gelungen ist, dadurch den Aggressor umzustimmen. Gleichwohl können Sanktionen aus zwei anderen – eher spieltheoretischen – Erwägungen sinnvoll sein: Sie bestrafen den Aggressor und beeinflussen so das Kalkül und die Erwartungen zukünftiger Aggressionen. So wird vermutet, dass China sich sehr genau anguckt, wie der Westen auf die russische Aggression reagiert. Darüber hinaus sind Sanktionen wichtig für die Verhandlungsposition gegenüber dem Aggressor, wenn nämlich der Krieg an den Verhandlungstisch verlagert wird und über „Friedensverträge“ verhandelt wird. Dann ist es wichtig, etwas „in der Hand“ zu haben. Die wohl drängendste – auch moralische Frage – aber ist: Kann ein Embargo, vor allem ein Importstopp von Energie aus Russland, den Krieg verkürzen? Und falls ja, ist ein solches Embargo durchhaltbar, denn nichts wäre schlimmer, als einseitig verhängte Sanktionen wieder zurücknehmen zu müssen. Das Ergebnis wäre keine Schwächung, sondern im Gegenteil eine moralische Stärkung des Aggressors.

Die deutsche Bundesregierung zeigt sich bislang sehr zögerlich, weitere Sanktionen, vor allem ein Importstopp russischer Energie zu ergreifen. Zu groß ist die Angst vor einer tiefen Rezession, solange die Abhängigkeit von russischem Öl und Erdgas nicht erheblich reduziert werden kann. Nach validen Schätzungen aber würde ein sofortiges Embargo eine vergleichsweise verkraftbare Rezession auslösen – bis zu rund drei Prozent würde die deutsche Wirtschaft schrumpfen. Das moralische Argument für ein Embargo ist: Wir dürfen den Krieg Russlands in Europa nicht selbst mit europäischem Geld finanzieren, das wirtschaftliche: Mit den Devisenerlösen aus den Energieexporten – immerhin rund eine Milliarde Dollar pro Tag – finanziert Russland wesentlich den Krieg. Das Gegenargument ist, dass wir das Embargo nicht lange durchhalten und Russland es nicht stark treffen würde, weil es sich erstens darauf vorbereitet hat und zweitens das Öl und Erdgas auch an andere Länder verkaufen kann. In der Summe spricht einiges dafür, dass die moralische Pflicht zum Handeln verkraftbare ökonomische Auswirkungen hätte. Auch wenn volkswirtschaftlich die Kosten einer abrupten Energieunterversorgung getragen werden müssen, so können ihre Folgen für ärmere Haushalte und energieintensive Unternehmen fiskalisch doch abgefedert werden.

Zur zweiten Frage:

Bundeskanzler Olaf Scholz hat am 27. Februar von einer „Zeitenwende“ gesprochen. Gemeint ist, dass sich der sicherheitspolitische Kurs Deutschlands und Europas in einer multipolaren Welt mit neuen militärischen Konflikten neu ausrichten muss, die „Friedensdividende“ der letzten dreißig Jahre aufgebraucht ist und Deutschland und Europa nicht einfach weiter Geschäfte machen können, ohne sich um die eigene Sicherheit kümmern zu müssen. Die Europäische Kommission hat mittlerweile Strategien für eine größere energiepolitische Unabhängigkeit vorgelegt, die auf eine weitgehende Substitution insbesondere russischer Energieimporte ausgerichtet ist. Dieser Weg ist nicht unproblematisch. Denn Autarkie ist ökonomisch teuer und politisch gefährlich. Wohlverstandene Autonomie bedeutet strategische Handlungsfähigkeit, nicht aber ökonomische Unabhängigkeit. Sie wäre gerade für Deutschland und seinen global vernetzten Mittelstand fatal und würde Wohlstand vernichten. Stattdessen geht es darum, Wege aus dem Wirtschaftskrieg heraus und zurück zu internationaler Kooperation und regelbasierter Handelsordnung zu finden. Die jüngst vorgeschlagene Wiederbelebung eines transatlantischen Handelsabkommens wäre zumindest weit sinnvoller als die derzeit propagierten Autarkiebestrebungen.

Ausblick

Der sich abzeichnende Wirtschaftskrieg kann sich durch eine weitere militärische Eskalation schnell dramatisch verschärfen, vertiefen und ausweiten. Doch es geht über den Tag hinaus auch darum, einen Weg aus dem Wirtschaftskrieg zu finden, um das mittlerweile vielzitierte Ende der Globalisierung abzuwenden, denn sie ist – bei aller berechtigten Kritik und Notwendigkeit zu Reformen – eine weiterhin unverzichtbare Quelle von Wohlstand. Eine drohende neue Blockbildung der Weltwirtschaft mit einem transatlantischen – die USA und Europa – und einem eurasischen Block – China und Russland – hätte langwierige, vermutlich Jahrzehnte andauernde Konsequenzen.

Der Schutz der Lieferketten, die Diversifizierung ihrer Risiken durch mehr, nicht weniger Handel, ist das bestimmende Thema der deutschen und europäischen Wirtschaft in den kommenden Jahren. Denn dieser Krieg wird nicht die letzte große geopolitische Krise in diesem Jahrzehnt sein. Die Politik in Deutschland und Europa täte gut daran, die politische Entscheidung über ein vorübergehendes Embargo nicht mit der strategischen Entscheidung über eine ökonomische Autonomie zu vermischen. Die Versorgung mit Energie und Nahrungsmitteln ist und bleibt ein globales Problem. Nationale Autarkiebestrebungen und De-Globalisierungsfantasien führen in die falsche Richtung. Besonnenes Handeln wäre wichtig, im Moment aber wirkt die Politik in ihrer selbst ausgerufenen „Zeitenwende“ eher etwas orientierungslos.

Henning Vöpel ist Vorstand (CEO) der sop | Stiftung Ordnungspolitik und Direktor (Director) cep | Centrum für Europäische Politik


Verfasst von: Henning Vöpel | Kommentare (0)

Gastkommentar


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