Mittwoch, 23. März 2022

Krakeln statt Schönschrift

Kommentar | Kommentare (0)

Kennen Sie das Kirchmann'sche Diktum? Der Mann war Oberstaatsanwalt und eher nüchtern. Er meinte, es bedürfe dreier berichtigender Worte des Gesetzgebers, und ganze Bibliotheken würden zu Makulatur. Das war im Jahr 1847. Auch wenn es heute meist mehr als drei Worte sind: Kirchmanns Diktum ist immer noch aktuell – für Juristen, um sich nicht zu wichtig zu nehmen. Und für alle anderen, weil sie es in der Hand haben zu entscheiden, womit sich Juristen beschäftigen.

Und damit zu mir: Meine persönliche Bibliothek wurde makuliert. Ich muss gefühlte fünf Tonnen Kommentare wegwerfen. Die habe ich zur Doppelpublizität geschrieben, ein Thema, das mich seit gut 15 Jahren umtreibt. 'GmbH intern'-Leser wissen, dass die meisten Unternehmen, insbesondere AGs und GmbHs, ihre Jahresabschlüsse doppelt veröffentlichen müssen. Einmal im Bundesanzeiger und ein zweites Mal im Unternehmensregister. Dafür gab es nie einen triftigen Grund. Inzwischen, das ist die gute Nachricht, hat das auch der Gesetzgeber eingesehen. Die Doppelpublizität wird zum 1. August 2022 abgeschafft. Die Veröffentlichung im Unternehmensregister – bei dem die offenlegungspflichtigen Unternehmen eine Art Zwangs-Abo haben – wird dann ausreichend sein.

Ist das ein später Sieg der Vernunft? Eher nicht. Jedenfalls fühlt es sich nicht so an. Weil es kein Eingeständnis gibt. Ich meine damit nicht Sätze in der Einleitung zur Gesetzesbegründung wie: „Hiermit möchten wir uns bei Ihnen, den offenlegungspflichtigen Unternehmen, dafür entschuldigen, dass wir Sie jahrelang an der Nase herumgeführt haben. Natürlich haben wir nie ernsthaft geglaubt, die doppelte Veröffentlichung erhöhe die Transparenz. Wir haben das nur behauptet, weil wir dachten, niemand schert sich drum. 'GmbH intern' hat uns mit dieser Nummer leider nicht durchkommen lassen. Um uns an den Quenglern zu rächen, bescheren wir denen jetzt Altpapier im Gewicht von zwei Mittelklassewagen.“ Nein, damit war nicht zu rechnen. Aber die Art und Weise, wie der Gesetzgeber seine Korrektur versteckt hat, spricht Bände.

Erst wartete er ab, bis mal wieder eine EU-Richtlinie umzusetzen war. Dann bastelte er ein Gesetz, das DiRUG (Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie). Darin geht es um Verfahrensvereinfachungen für kleine und mittlere Kapitalgesellschaften, wie z. B. die Online-Gründung einer GmbH. Eine gute Sache. So verpackt, fiel die Begründung der Korrektur nicht schwer: „Aufgrund der Vorgaben der Digitalisierungsrichtlinie darf es zukünftig bei der Offenlegung von Urkunden und Informationen nicht länger auf die Offenlegung in einem separaten Amtsblatt oder Portal ankommen. Es soll daher eine Umstellung des bisherigen Bekanntmachungswesens und der bisherigen Offenlegungsstruktur dahingehend erfolgen, dass es nicht länger einer separaten Bekanntmachung von Registereintragungen in einem Bekanntmachungsportal bedarf, sondern dass Eintragungen in den Registern zukünftig dadurch bekannt gemacht werden, dass sie in dem jeweiligen Register erstmalig (online) zum Abruf bereitgestellt werden.“

Dumm nur, dass die Verfasser des Gesetzentwurfs eine gegenteilige Begründung lieferten: „Darüber hinaus erfolgt — in Umsetzung von Artikel 16 Absatz 3 Satz 1 GesRRL — eine Umstellung des Systems der Offenlegung von Rechnungslegungsunterlagen. Bislang sind die Unterlagen der Rechnungslegung beim Betreiber des Bundesanzeigers einzureichen und im Bundesanzeiger bekannt zu machen. Der Betreiber des Bundesanzeigers übermittelt die Unterlagen im Anschluss dem Unternehmensregister zur Einstellung. Künftig sind Unterlagen der Rechnungslegung direkt der das Unternehmensregister führenden Stelle zur Einstellung in das Unternehmensregister zu übermitteln. Sie sind ausschließlich im Unternehmensregister abrufbar. Dies vermeidet die nach der bisherigen Rechtslage bestehende Doppelpublizität und stärkt die Funktion des Unternehmensregisters als 'One-Stop-Shop' für Unternehmensinformationen.“

Einmal soll also die Digitalisierungsrichtlinie, ein anderes Mal die (von 2017 stammende) Gesellschaftsrechtsrichtlinie Grund für die Umstellung sein. Hauptsache einer ist nicht schuld: die deutsche Ministerialbürokratie und ihre Leitung. Sorry, so wird das nichts mit dem Sieg der Vernunft. Wer seine Fehler nicht eingesteht, dem nimmt man nicht ab – jedenfalls nicht 'GmbH intern' –, dass er bereit ist, aus ihnen zu lernen. Und da wären wir wieder bei den Tonnen Papier: Raten Sie mal, wie viele von den '50 häufigsten Irrtümern bei der Offenlegung von Jahresabschlüssen' durch das DiRUG korrigiert wurden. Richtig, es ist ein einziger! Nämlich die Nummer 9. Ein paar Dutzend Baustellen bleiben noch – die Bibliothek im Offenlegungsrecht ist immer noch (zu) groß.

Ich habe trotzdem beschlossen, mich über die Makulatur zu freuen. Es sind zwar nicht drei Wörter, sondern sechzehn. Und mit Schönschrift hat die Neuregelung rein gar nichts zu tun. Im Gegenteil. Die Bundesregierung hat den Gesetzgeber mit ihren verwackelten Begründungen zum Krakler gemacht. Aber am 1. August 2022 werde ich trotzdem eine Flasche Sekt aufmachen. Zu tun bleibt noch genug.

Gregor Kuntze-Kaufhold ist Justiziar der markt intern-Verlag GmbH


Verfasst von: Gregor Kuntze-Kaufhold | Kommentare (0)

Zurück zum Blog

Kommentar verfassen

Bitte beachten Sie bei Ihren Kommentaren unsere Netiquette