Mittwoch, 09. März 2022

Ukrainekrieg – Wie schnell sich Wahrheiten ändern und manche Kommentare daherkommen

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„Vergleiche hinken, historische allemal“, kommentierte Clemens Höges im Leitartikel des Spiegel vom 19. Februar 2022, um fortzufahren: „Putin ist kein fanatischer Massenmörder wie Hitler, und von einem Atomkrieg redet im Ukrainekonflikt niemand.“ Zwei Wochen später hat der gleiche Clemens Höges im Spiegel vom5. März 2022 im Leitartikel Folgendes formuliert: „Wie der Abgrund aussehen kann, falls sich der Westen in den Ukrainekrieg einmischt, hat Wladimir Putin gezeigt, als er seine Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzte. Nun hat sein Außenminister Sergej Lawrow nachgelegt: Der dritte Weltkrieg könne nur ein Atomkrieg sein.“

Man kann Höges gar nicht vorwerfen, sich damit selbst zu widersprechen. Zwischen beiden Kommentaren liegen die berühmten zwei Wochen, in denen sich viele Wahrheiten radikal verändert haben. Die Zitate haben zum Zeitpunkt ihres Erscheinens die Situation korrekt wiedergegeben. Gleichwohl ist dies ein Beispiel, wie selbstherrlich teilweise journalistisch argumentiert wird, Politikern Fehler vorgehalten werden, obwohl die Kommentatoren häufig selbst den gleichen Fehlvorstellungen unterlegen waren.

Ein solches Beispiel hat The Pioneer vor Kurzem geliefert. Geht es nach dessen ‘Erfinder’ Gabor Steingart, ist ThePioneer die neue Heimat der einzig wahren journalistischen Elite in Deutschland. Auch dort ist wie in zahlreichen Medien viel Kritik über das Versagen der Politik im Umgang mit Wladimir Putin zu lesen. Auch Kritik an den Putin-Verstehern, die dessen Argumente übernähmen und damit seine Propaganda betrieben. Allerdings schrieb eben jener Gabor Steingart am 25. Februar 2022 selbst im ‘Pioneer Briefing’ mit dem Titel ‘Putins Krieg – Der Irrweg des Westens’: „Die NATO-Osterweiterung wurde vorangetrieben wie eine Polar Expedition. 14 Staaten, die früher zum Warschauer Pakt gehörten, hat die NATO sich mittlerweile einverleibt.“

„Einverleibt“ klingt kaum nach freiwilligem Beitritt der Staaten, um die es dabei geht. „Einverleibt“ kommt vielmehr dem sehr nahe, was Diktator Putin über die Osterweiterung der Nato von sich gibt. Steingart mag die Osterweiterung der Nato kritisieren, weil sie die Sicherheitslage Russlands verändert habe. Allerdings ist schon dies eine insofern etwas gewagte Analyse, weil sie im Kern beinhaltet, die Nato sei bereit, Russland zu überfallen. Aber diese Kritik auch noch mit dem Siegel des Einverleibens von Staaten zu versehen, ist mehr als eine falsche Begriffsverwendung. Sie stellt die Dinge auf den Kopf. Womöglich hat ThePioneer an anderer Stelle auch die Kritik an der Haltung Angela Merkels aufgegriffen, wonach ihre Verweigerung der Nato-Mitgliedschaft der Ukraine 2008 der Ausgangspunkt allen Übels sei.

Die krisenhafte Situation, in der sich Europa derzeit befindet, ist furchtbar genug. Jeder, der sich journalistisch mit dieser unsäglichen Entwicklung beschäftigt, sollte sich daher zumindest in eigenen Kommentaren und Bewertungen eine gewisse Zurückhaltung auferlegen. Ansonsten könnten seine Feststellungen von der Realität schnell überholt werden. Und ja, wir nehmen uns da nicht aus, Kritik ist schnell geübt, wenn man selbst nicht Verantwortung für die Umsetzung der eignen Postionen übernehmen muss.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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