Mehr Fortschritt wagen

Auf diesen Titel haben sich die Koalitionäre der Ampel, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, geeinigt. Vorgestellt haben sie ihren 177 Seiten umfassenden Vertrag soeben in Berlin. Was da im Detail auf die Bürger zukommen wird, so denn der Vertrag entsprechend abgearbeitet wird, bleibt einer vertieften Analyse vorbehalten. An dieser Stelle zunächst einmal eine rein atmosphärische Einordnung.

Am auffälligsten war, dass Christian Lindner ausdrücklich Olaf Scholz‘ Führungsqualität lobte. Man habe Olaf Scholz in den Verhandlungen „neu kennengelernt“. Er habe, so Lindner, „ein inneres Geländer“, das ihn befähige, auch kontroverse Auffassungen zusammenzuführen. Das mache ihn zu einer hervorragenden Führungsperson. Dass Lindner zudem mehrfach auf die Sozial-Liberale-Koalition Bezug nahm, dürfte ein deutlicher Hinweis sein, dass die FDP sich nicht mit der Rolle des Dritten im Bunde einer quasi Rot-Grünen-Wunschehe anfreunden will. Eher dürfte der zukünftige Finanzminister Lindner bewusst schon die Nähe zum zukünftigen Kanzler Scholz gesucht und gefunden haben, um am Ende der Legislaturperiode nicht als Schuldenminister dastehen zu müssen.

Ohne auf die Details des Koalitionsvertrages schon eingehen zu können, so viel kann festgestellt werden: Die neuen Koalitionspartner haben einen besseren Start hingelegt als die letzte Groko. Der Auftritt hat Mut gemacht, dass die Bräsigkeit der letzten Jahre einer neuen Darstellungsform weichen wird. Um einmal einen Vergleich zur deutschen Nationalmannschaft zu wagen: Der Auftritt erinnert an den Wechsel von Jogi Löw zu Hansi Flick. Während Löw und seine Mannschaft zuletzt den Eindruck vermittelten, man wolle den letzten Zuschauer vergraulen, schaffte es Flick sofort, neue Begeisterung zu wecken. Allerdings hat Flick die Belastbarkeit seiner neuen Mannschaft bisher mangels ernsthafter Gegner noch nicht beweisen können. Das wird erst die Zukunft zeigen. Und das gilt auch für die neue Ampel. Deren Bewährungsprobe kommt erst.