Montag, 30. August 2021

Daniel Fuhrhop: „Der stationäre Einzelhandel in den Stadtzentren ist dramatisch in die Defensive gebracht worden“

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Im Oktober 2014 war Daniel Fuhrhop, ehemaliger Architekturverleger und Blogger, Gast der ‘markt intern’-Redaktionskonferenz. Zentrales Thema der Diskussion seinerzeit war die Situation des innerstädtischen Einzelhandels in Konkurrenz zur berühmten ‘Grünen Wiese’. Inzwischen ist Fuhrhop wissenschaftlich tätig und kandidiert als parteiloser Kandidat für Bündnis 90/Die Grünen in Oldenburg bei der Oberbürgermeisterwahl. Unverändert darf er als einer der Experten für Stadtentwicklung bezeichnet werden. Wir haben die Gelegenheit genutzt, am Rande seines Wahlkampfes mit ihm die Herausforderungen 2014 mit denen des Jahres 2021 für den innerstädtischen Handel und die Stadtentwicklung zu diskutieren.

‘mi’: Herr Fuhrhop, im Oktober 2014 waren Sie Gast der ‘markt intern’-Redaktionskonferenz. Damals als Betreiber des Blogs ‘Verbietet das Bauen’. Zuvor waren Sie 15 Jahre als Architekturverleger selbständig tätig. Grund Sie seinerzeit einzuladen, war ihre massive Kritik am ungezügelten Bauboom, insbesondere auch bei Handelsimmobilien. Inzwischen sind Sie als Wirtschaftswissenschaftler an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fachgebiet Ökologische Ökonomie, tätig und kandidieren aktuell als parteiloser Kandidat für Bündnis 90/Die Grünen bei der Oberbürgermeisterwahl in Oldenburg. Ehe wir zur Entwicklung im Einzelhandel kommen: Was hat Sie zu dieser Kandidatur bewogen?

Fuhrhop„In meiner Berufslaufbahn als Verleger, als Buchautor und schließlich als Wirtschaftswissenschaftler habe ich in Deutschland, Österreich und der Schweiz viele Städte besucht und hervorragende Beispiele nachhaltiger Stadtentwicklung kennengelernt: lebendige Stadtviertel und Stadtzentren, gute Mobilitätskonzepte, soziale Wohnprojekte. Darüber habe ich publiziert, geschrieben und geforscht – aber bei jeder Rückkehr von einer solchen Fahrt wurde mir in Oldenburg schmerzlich bewusst, dass diese besten Beispiele bei uns noch fehlen. Dabei hat Oldenburg sehr gute Ausgangsvoraussetzungen, denn es geht uns wirtschaftlich gut, und wir haben keine Probleme mit industriellem Strukturwandel, weil die Stadt traditionell auf Dienstleistungen ausgerichtet ist, etwa mit Wissenschaft, Kliniken und Justiz. Als die Grünen mich als Parteilosen fragten, ob ich kandidieren möchte, habe ich zugesagt, denn ich möchte die Chance ergreifen, in Oldenburg den Wandel zu einer klimagerechten Stadt einzuleiten, der überfällig ist, und das damit verbinden, die Stadt lebenswerter zu machen.

Ein Beispiel dafür bietet die Mobilität: Oldenburg ist bereits eine Fahrradstadt, in der mehr als vierzig Prozent der Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Allerdings hat sich dieser Anteil in den letzten zehn Jahren kaum verändert. Wenn wir nun in bessere Radwege investieren, die auch für Lastenbikes geeignet sind, wird das Menschen zum Umstieg aufs Fahrrad ermuntern, dadurch den Autoverkehr entlasten und es sorgt zugleich für weniger Lärm und weniger Feinstaub. In einigen Jahren könnte Oldenburg in einem Atemzug mit Kopenhagen als beste Fahrradstadt genannt werden.“

‘mi’: Bevor wir auf Besonderheiten in Oldenburg eingehen, lassen Sie uns erst einmal auf die allgemeine Entwicklung seit 2014 im Einzelhandel schauen. Schon damals ging es Ihnen darum, lebendige Städte zu erhalten, um nicht „die Freiheit derjenigen, die auch in Zukunft dort leben und auch Handel treiben möchten, kaputt zu machen“. 2014 analysierten Sie noch, das „enorme Flächenwachstum, durch die Shoppingcenter einerseits, aber auch durch die Discounter und die auf der Grünen Wiese in immer gigantischeren Größen errichtete Möbelmärkte andererseits“ bedrohe massiv die Innenstädte. Beides mache „das städtische Leben und die städtische Wirtschaft kaputt“. Wie bewerten Sie dies aktuell? Was ist gleichgeblieben, was hat sich geändert?

Fuhrhop: „Das Flächenwachstum bei Centern und auf der Grünen Wiese ist zurückgegangen, aber die schädlichen Folgen dieser Konkurrenz belasten den innerstädtischen Handel nach wie vor. Als zusätzliche Konkurrenz ist der Online-Handel wichtiger geworden, und dazu kommen aktuell die Folgen der Corona-Pandemie. Diese drei Herausforderungen haben den stationären Einzelhandel in den Stadtzentren dramatisch in die Defensive gebracht. Doch sollten wir dies zum Anlass für eine Offensive nehmen: Zum einen gilt es jetzt, gemeinsam zu handeln, und in der Not steigt die Bereitschaft mancher Eigentümer, von unrealistischen Mieterwartungen zurückzutreten und sich auf engere Kooperation einzulassen, sei es untereinander oder mit der Kommune. Zum anderen wandeln viele Städte derzeit die aus den 1960er Jahren stammenden übergroßen Autoschneisen und Verkehrsflächen in lebendige Stadträume mit Gastronomie und Kultur. Das kann Menschen und damit Kunden anlocken und die Innenstädte beleben, wie ich gleich am Beispiel Oldenburgs schildern werde.“

‘mi’: Prof. Gerrit Heinemann hat Anfang des Jahres infrage gestellt, ob die Innenstadt als Einkaufsstadt überhaupt für die Bürger einer Stadt wünschenswert sei. Sei sie wünschenswert, müsse sie jedenfalls auch „autofreundlich“ sein, sonst könne dies nicht funktionieren. Was halten Sie davon?

Fuhrhop„Nach wie vor ist der Handel der wichtigste Grund für einen Besuch der Innenstadt. Wir sollten zwar andere Nutzungen stärken, etwa Kultur und soweit möglich das Wohnen, fallweise auch soziale Nutzungen unterbringen, aber es muss immer das Ziel damit verbunden sein, durch eine attraktivere Innenstadt diese zu beleben und den Handel zu stärken. Das wird nicht durch mehr Autos erreicht, sondern im Gegenteil durch einen Rückbau der überdimensionierten Straßen und Kreuzungen.“

‘mi’: Aktuell werden in Rekordtempo Programme aus dem Boden gestampft, mit denen Innenstädte vor dem ‘Untergang’ bewahrt werden sollen. Als Königsweg wird dann meist postuliert, die Innenstädte müssten attraktiv und unverwechselbar für die potenziellen Nutzer sein. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit. Praktisch war es ja nie anders, funktioniert hat es aber häufig dennoch nicht. Jetzt, nach den Coronabeschränkungen und dem geänderten Verbraucherverhalten, funktioniert es vielfach noch weniger. Gehört zur ganzen Wahrheit, dass einfach viele Innenstädte gar nicht mehr attraktiv für eine ausreichende Anzahl von Nutzern werden können? Traut sich das nur keiner zu sagen?

Fuhrhop„Das würde ich optimistischer beantworten: Innenstädte auch als Handelsstandorte bleiben attraktiv, aber das Einkaufen allein reicht nicht aus. Freilich lässt sich das aus Oldenburger Sicht positiver beantworten als anderswo, weil hier das Stadtzentrum als eines der wenigen in Deutschland im zweiten Weltkrieg unzerstört blieb und daher nach wie vor den Charme des klassizistischen  Städtebaus ausstrahlt, zusammen mit den ehemaligen Wallanlagen als grünem Ring.“

‘mi’: Wie sieht denn Ihr konkretes Programm zur Innenstadt in Oldenburg aus? Kann man das verallgemeinern oder beruht dies auf Besonderheiten der Stadt und ihrer Lage?

Fuhrhop„Erstens schlage ich den Eigentümern eine gemeinsame Managementgesellschaft mit der Stadt vor, die einige Ladenflächen professionell vermarktet. In Wien Aspern gelingt dies gut, freilich in einem neu gebauten Stadtviertel. In einer bestehenden Innenstadt wäre das neu, aber die aktuellen riesigen Herausforderungen für Stadtzentren könnten eine Chance bieten, die gemeinsame Vermarktung zu wagen.

Zweitens möchte ich den Wallring um das Stadtzentrum umbauen. Dieser trennt seit den 1960er Jahren das Stadtzentrum und die historischen Wallanlagen durch bis zu sechs Fahr- und Parkspuren für den Autoverkehr. Diesen Raum sollten wir teilweise umwandeln und schaffen Platz für Gastronomie, für Schausteller (Buden und Kettenkarussell), für Sport (Bolzplatz, Basketballplatz) und für Bühnen für Theater und Musik. Das wird Menschen anlocken und diese werden vorher oder nachher einkaufen gehen. Die Erreichbarkeit bleibt gewährleistet und wird teilweise ausgebaut durch neue Park-and-Ride-Stationen am Stadtrand und einen kostenlosen Busshuttle ums Stadtzentrum.

Beide Maßnahmen sind grundsätzlich in allen Innenstädten denkbar. Vielerorts gibt es bereits Programme für autoärmere Stadtzentren und mehr Freizeitangebote im öffentlichen Raum. Wichtig ist mir aber, nicht nur an Spaß und Freizeit zu denken, sondern auch kommerzielle Chancen zu schaffen für Gastronomen, Schausteller und Kulturveranstalter, sowie – zusammen mit Verkehrsalternativen – dabei immer den innerstädtischen Handel zu beachten.“

‘mi’: Noch einmal ein ganz anderes Thema. Sie haben schon 2014 bei Ihrem Redaktionsbesuch moniert, dass der gigantische Flächenverbrauch durch die Logistikzentren der Onlineversender nicht problematisiert werde. Der Flächenverbrauch dürfte sich inzwischen um ein x-Faches gesteigert haben. Mal abgesehen davon, dass eine Rekultivierung dieser Flächen wahrscheinlich nicht realistisch ist: Wie bewerten Sie diese Entwicklung und wie sieht Ihre Lösung des Problems aus?

Fuhrhop„Es ist geradezu schizophren, dass einerseits massiv in Klimaschutz investiert wird sowie in die Stärkung von Innenstädten, und gleichzeitig das Flächenwachstum für Hallen der Onlinehändler weitergeht, was beiden Zielen entgegensteht. Meiner Einschätzung nach ist das kommunalpolitisch nicht lösbar, weil immer wieder Stadträte und Bürgermeister einen Wildwuchs von Gewerbeflächen durchwinken. Darum brauchen wir eine Lösung auf nationaler Ebene: Der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen (SRU) schlug im Umweltgutachten 2016 vor, den Flächenverbrauch für das Jahr 2030 auf netto Null festzulegen und dafür verbindliche Obergrenzen je Bundesland festzulegen, die dann auf die Kommunen runtergebrochen werden.“


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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