Donnerstag, 12. August 2021

Wie pluralistisch darf der Rundfunkrat des WDR sein?

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Über das Finanzgebaren des WDR im Zusammenhang mit der Sanierung seines Filmhauses in der Kölner Innenstadt hatten wir in den vergangenen Wochen berichtet. Heute wollen wir uns mit einer ganz anderen Frage beschäftigen, die zwar auch den WDR betrifft, aber ein anderes Problem unserer Zeit zum Gegenstand hat: Wie weit darf Pluralismus gehen und wer entscheidet das?

Hintergrund sind die Vorgänge um die Wahl eines Vertreters des Verbands kinderreicher Familien (KRFD) in den Rundfunkrat des WDR. Auf Vorschlag der CDU-Landtagsfraktion in NRW hat der Landtag beschlossen, ein Mitglied des Verbands kinderreicher Familien für die neue Wahlperiode des Rundfunkrates des WDR, die im Dezember beginnt, zu benennen.

Wo ist da das Problem? Dazu gleich mehr. Erst einmal wollen wir klären, was eigentlich die Aufgabe des Rundfunkrats des WDR ist. Die Antwort enthält § 16 Abs. 1 des WDR-Gesetzes. Dort heißt es: „Der Rundfunkrat vertritt im WDR die Interessen der Allgemeinheit; dabei berücksichtigt er die Vielfalt der Meinungen der Bürgerinnen und Bürger. Er stellt im Zusammenwirken mit den anderen Anstaltsorganen sicher, dass der WDR seine Aufgaben im Rahmen der Gesetze erfüllt.“ Er soll, so sieht es das Gesetz vor, mindestens sechsmal im Jahr zusammentreten.

Das klingt nun noch nicht gerade so, als könne die Mitarbeit eines Vertreters eines Verbandes im 55 Köpfe zählenden Rundfunkrat des WDR irgendwelche nennenswerten Krise auslösen. Aber die Zeiten sind halt politisch sehr korrekt. Und so kam, wie es kommen musste. Der Spiegel berichtete am 12. Juli über den Vorgang unter der Überschrift „Wie die CDU eine umstrittene Organisation in den WDR-Rundfunkrat hievte“. In der Text-Einleitung heißt es: „Im Beirat des Verbands kinderreicher Familien sitzen ein Wissenschaftler mit völkisch-nationalistischen Ideen und ein Opus-Dei-Mitglied. Die CDU-Fraktion im NRW-Landtag unterstützte die Organisation trotzdem, nun hat sie Einfluss auf den WDR.“ Also zwei Mitglieder im achtköpfigen Beirat des Verbandes sind angeblich politisch unkorrekt unterwegs. Und der/die eine Vertreter/in des VKRF soll also im 55-köpfigen Rundfunkbeirat „Einfluss auf den WDR haben“?

Schon das ist barer Unsinn. Allein 13 Mitglieder des Rundfunkrats werden gemäß § 15 Abs. 2 WDR-Gesetz vom Landtag in den Rundfunkrat entsandt. 38 weitere Mitglieder können nur von 37 Verbänden entsandt werden, die bereits im WDR-Gesetz in § 15 Abs. 3 genannt sind. Darunter sämtliche Kirchen, die Gewerkschaften, Handwerker, Landschaftsverbände, Wirtschaftsverbände und so weiter. Lediglich fünf Mitglieder werden durch gesellschaftlich relevante Gruppen entsandt, die in der Gesamtsicht mit den nach den Absätzen 2 und 3 bestimmten entsendeberechtigten Stellen die Vielfalt der aktuellen gesellschaftlichen Strömungen und Kräfte in Nordrhein-Westfalen widerspiegeln. Wie weit da wohl der Einfluss des Vertreters des Verbands der kinderreichen Familien auf den WDR reicht?

Doch damit nicht genug der Skandalisierung. Der Spiegel legt nach: „Die Lobbyvereinigung setzt sich für Toleranz und Anerkennung von Großfamilien ein. Das klingt zunächst harmlos und ehrenwert, allerdings agieren im Hintergrund des Verbands offenbar Personen mit erzkonservativen, fragwürdigen Positionen. Es sind Ansichten, die jenseits des Wegs von »Maß und Mitte« liegen, den Unions-Kanzlerkandidat Laschet im Bundestagswahlkampf gern propagiert.“

Wer sich die Webseite des KRFD anschaut, wird darauf nicht unbedingt kommen. Dort heißt es beispielsweise: „Der Verband kinderreicher Familien Deutschland e.V. (KRFD) fördert, schützt und stützt kinderreiche Familien. Er ist selbstlos tätig und verfolgt ausschließlich gemeinnützige Zwecke. Der KRFD ist innerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland politisch und konfessionell ungebunden. Wir sind Familien, die sich zu einem Leben in einer großen Familie mit drei Kindern und mehr entschlossen haben. Wir leben in großen Städten und kleinen Ortschaften. Wir leben ziemlich beengt in einer Metropole mit Späti um die Ecke, ohne Auto und Führerschein. Wir leben in einem Haus mit Garten, viel Platz und brauchen unser Auto dauernd, weil es kaum Läden gibt und Schule und Hobbies mit dem Bus nicht erreichbar sind. Wir leben als Patchworkfamilie mit mitgebrachten und gemeinsamen Kindern. Wir sind verheiratet und haben gemeinsame Kinder. Wir sind alleinerziehend und schultern mit den Kids allein das Leben. Wir sind alle in Deutschland geboren, genau wie unsere Eltern und Großeltern. Wir haben eine Einwanderungsgeschichte und sind in Deutschland ganz und noch nicht so richtig angekommen und freuen uns über die Gemeinschaft mit anderen großen Familien. Wir sind nicht religiös und haben einen anderen Lebenskompass. Unser Glauben ist uns wichtig und wir leben ihn im Familienalltag. Wir fühlen uns einer politischen Partei verbunden und haben dort unsere politische Heimat gefunden. Wir schauen uns die Angebote der Parteien an, entscheiden pragmatisch und situationsbedingt.“

Nun kann man sich natürlich selbst auch ein schöneres Bild verpassen als es der Wirklichkeit entspricht. Was also hat der Spiegel gegen den Verein, besser gesagt, seine politische Ausrichtung? Der Verband solle zwar nach eigener Einschätzung konfessionell ungebunden und überparteilich sein, „die Zusammensetzung seines wissenschaftlichen Beirats, der die Organisation inhaltlich anleiten soll, lässt allerdings einen anderen Schluss zu“.

Dies macht der Spiegel einerseits an Prof. Dr. Manfred Spieker fest. Der Sozialwissenschaftler sei „Mitglied bei Opus Dei, jener erzkonservativen Organisation katholischer Laien und Priester, die der Mythos eines Geheimbunds umgibt. Spieker war einst auch CDU-Mitglied, er trat 2017 aus, als die Große Koalition mit Stimmen der Union die Ehe für alle beschloss. Homosexualität bezeichnete er damals als »lebensfeindlich«. Die kirchliche Segnung homosexueller Paare, sagt er, schade der Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft. Zusammen mit AfD-Politikerinnen und AfD-Politikern trat Spieker schon bei den sogenannten »Demos für Alle« auf, deren Veranstalter gegen die Rechte sexueller Minderheiten mobil machen.“

Dies alles mag für den Spiegel eine unerträgliche Lebenseinstellung sein, aber wollen die Edelfedern in Hamburg ernsthaft behaupten, derartige Meinungen seien bereits außerhalb des gesellschaftlich hinnehmbaren? Zweiter Versuch. Ebenfalls für nicht geeignet hält der Spiegel Prof. Dr. Herwig Birg„ein emeritierter Bevölkerungswissenschaftler, gehört zum Verbandsbeirat. Den Fachkräftemangel solle Deutschland durch eine »Steigerung der Geburtenrate« und nicht »durch Zuwanderungen aus dem Ausland« bekämpfen, forderte er 2019 in einem Interview mit der Stiftung für Familienwerte. Außerdem hätten viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte »integrationsfeindliche Einstellungen«. Voriges Jahr verfasste Birg im Auftrag des Verbands kinderreicher Familien eine Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines anhängigen Verfahrens. Dabei geht es um ein Ehepaar mit mehreren Kindern, das sich durch das Beitragsrecht der Sozialversicherung benachteiligt sieht. Das Gutachten von Birg kann man so zusammenfassen: Kinderlosigkeit ist gefährlich, Zuwanderer helfen uns auch nicht weiter, und Großfamilien werden systematisch benachteiligt.“

Auch hier stellt sich die Frage, was eigentlich nach Meinung des Spiegels noch als Meinungsäußerung tolerabel sein soll? Man muss auch diese Ansichten keinesfalls teilen, aber warum sollten sie dagegen sprechen, einem Verband für kinderreiche Familien einen Sitz im Rundfunkrat des WDR zuzubilligen? Zum Verhängnis wird Birg und damit dem Verband, dass er 2015 (!) auf dem AfD-Bundesparteitag auftrat. „Manche seiner Thesen“, unken die Hamburger „tauchten in AfD-Pressemitteilungen auf. Genau wie jene des Ökonomen Bernd Raffelhüschen, der ebenfalls Mitglied im Verbandsbeirat ist. Raffelhüschen spricht sich dafür aus, dass Kinderlose und Ein-Kind-Familien für die Rente einen höheren Beitrag leisten sollten als Großfamilien.“

Mal abgesehen davon, dass Raffelhüschen aktuell gar nicht als Beiratsmitglied aufgeführt ist, wird die Skandalisierung damit endgültig auf den Höhepunkt getrieben wäre. Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen ein verkappter Nazi? Denn auf diesen unausgesprochenen Vorwurf läuft letztlich die ganze Geschichte bei allen drei Kritisierten hinaus. Dass am Ende auch die SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Wahl, die sie selbst unterstützt haben, nunmehr für bedenklich erklären, ist dann nur noch der klassische Reflex derartiger Skandalisierungen. Ein Gremium, das ausweislich des Gesetzeswortlauts die „Vielfalt der aktuellen gesellschaftlichen Strömungen und Kräfte in Nordrhein-Westfalen widerspiegeln“ soll, darf das nur, wenn es den Political-Correctness-Test der selbsternannten Demokratiewächter besteht.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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