Mittwoch, 16. Juni 2021

Die Stadt der Zukunft muss Spass machen, nicht nur Shopping bieten

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Dieses Fazit haben jedenfalls nicht nur die Mehrheit der Referenten, sondern auch der Teilnehmer der diesjährigen ‘Tagung Innenstadt’ des Netzwerks Innenstadt NRW gezogen. Wir vermuten mal, diese These wäre auch ohne Corona-Pandemie zustande gekommen, allerdings wohl nicht in dieser weitgehenden Einigkeit. Am drastischsten brachte diese Erkenntnis Prof. Dr. Frank Eckardt in seinem Vortrag ‘die Innenstadt für alle: Stadtsoziologische Reflektionen über die pandemische Stadt’ auf den Punkt. Seine Kernthese lautete: „Die Innenstädte funktionieren nicht mehr. Das ist die Erfahrung nach 15 Monaten Pandemie. Die Innenstädte waren Geisterstädte.“

Da Einkaufen während der Pandemie häufig nicht möglich war, seien die Städte ausgestorben gewesen, weil es dort kaum mehr andere Angebote gebe. Nun könnte man Eckhardt erwidern, dass sie Geisterstädte waren, weil der Staat dies angeordnet hat. Selbst Innenstädte, die der Wunschvorstellung Eckhardts entsprächen, Angebote für die Gesundheit der Besucher, Angebote für Senioren und Obdachlose, öffentliche Toiletten, öffentliche Sitzgelegenheiten sowie spezielle Angebote der Unterhaltung für die Nacht, wären Geisterstädte gewesen. Denn auch diese Nutzungen wäre untersagt gewesen. Aber das Argument an sich ist nicht zu bestreiten: Zahlreiche Innenstädte sind heute auf den innerstädtischen Filialeinzelhandel ausgerichtete. Inhabergeführte Fachgeschäfte gibt es dort ebenso selten wie attraktive Spielplätze, öffentliche Ruheräume, Sportangebote oder Ähnliches. Fällt dann die Möglichkeit oder – so möglicherweise in Zukunft –die Lust weg, in den innerstädtischen Filialunternehmen einzukaufen, dann sind die Innenstädte in der Tat schnell tot.

Eckhardt erläuterte den fatalen Trend aus seiner Sicht so: Kinder und Jugendliche hätten keinen Antrieb, eine Innenstadt aufzusuchen. Sie kauften lieber im Netz ein. Nichtkommerzielle Aufenthaltsqualität gebe es kaum. Aus seiner Sicht hat die Innenstadt nur eine Zukunft, wenn ihr Publikum die gesamte Stadt abbilde. Es brauche die Diskussion, wie die Innenstadt als öffentlicher Raum genutzt werden soll. Seinen Appell, auch innerstädtische Angebote für die Nacht anzubieten, kleidete er in den schönen Satz: „Heute enden alle Angebote mit dem Ladenschluss. Es brauche die Diskussion, warum und dass es sich wieder lohne, die Innenstadt aufzusuchen.

Bei der Vorabendveranstaltung der pandemiebedingt digital durchgeführten Tagung hatte die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, Ina Scharrenbach, den Tagungsteilnehmern (überwiegend Städteplaner, Architekten, Wirtschaftsförderer und Mitglieder aus Kommunalverwaltungen) den Rat gegeben, sich die Frage zu stellen „Was ist der USP Ihrer Innenstadt, Ihrer Stadt?“. Bürger schätzten die Einzigartigkeit ihrer Stadt. Die müsse dann aber auch entsprechend entwickelt werden. Scharrenbach referierte die unterschiedlichen Programme, die die Landesregierung NRW entwickelt hat, um Innenstadtbelebung durch die Kommunen zu betreiben. Dazu gehört auch die Möglichkeit, leerstehende Immobilien durch die Kommunen zwischenzuvermieten. Um die Mittel letztlich in Maßnahmen umzusetzen, brauche es „das mutige Herz der Kommunalpolitik, das mutige Herz der Stadtplaner“. Die Bürger machten es den Kommunen dabei leicht, weil sie „ihre Innenstadt lieben“.

Wie weit die Liebe der Bürger insoweit geht, vor allen Dingen welcher Bürger, wurde am zweiten Tag in Teilen deutlich anders gewertet, wie der angesprochene Beitrag von Prof. Eckhardt zeigt. Wer als Einzelhändler auf den Standort Innenstadt setzt, der sollte sich jedenfalls darüber im Klaren sein, dass die Innenstadt der Zukunft weniger auf reinen Einkaufstourismus und leichte Erreichbarkeit mit dem Auto setzen wird. Ob die bisherigen Kunden mehrheitlich eine mehr oder minder autofreie Innenstadt wünschen, ist zwar fraglich. Die Städteplaner, die Kommunalpolitiker, jedenfalls diejenigen, die in NRW im Netzwerk Innenstadt versammelt sind, sind aber mehrheitlich davon überzeugt, die Innenstädte sollten zu öffentlichen Erlebnisräumen werden, bei denen die Interessen der nicht Autofahrenden höher gewichtet werden als die der Autofahrer. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass auf den hierfür zuständigen Ämtern und in den Räten Menschen tätig sind, die den Grünen zumindest politisch nahestehen oder dort Mitglied sind. Scharrenbach (CDU) wird diesen Trend daher nicht aufhalten können, aber sie gab allen, die sich mit Mobilitätsfragen beschäftigten, mit auf den Weg: „Junge Leute fahren Fahrrad, aber wir haben nicht nur junge Menschen in den Innenstädten.“

Gregor Moss, Dezernent für Wirtschaft und Stadtentwicklung der Stadt Bielefeld, die gerade ein Konzept zur erweiterten Autofreiheit der Innenstadt umsetzt, wies darauf hin, es könne nicht darum gehen, private Autos aus den Innenstädten weitgehend fernzuhalten, sofern an anderer Stelle vermehrt Autoverkehr produziert werde. Der Lieferverkehr müsse ins Auge gefasst werden, ganz konkret ein spezieller Lieferverkehr. „Die Logistik des Onlinehandels ist eine gigantische Herausforderung.“ Das betrifft den Lieferverkehr auf der letzten Meile ebenso wie den gigantischen Flächenverbrauch der Logistikzentren der Onlinereisen. Bielefeld plant im Übrigen den aktuellen Anteil des innerstädtischen Individualverkehrs (Auto) von derzeit 50 Prozent bis 2030 auf 25 Prozent zu reduzieren. Wichtig für die Akzeptanz derartiger Prozesse sei, so Moss, „dass sie erlebbar werden. Die Menschen müssen erkennen könne, was bringt es mir, in der Innenstadt mehr Fläche für mich zur Verfügung zu haben.“

Und noch ein Aspekt dürfte sich zukünftig verändern, die Art und Weise der Bürgerbeteiligung bei der Planung. Moss beispielsweise wies darauf hin, wer junge Menschen beteiligen wolle, müsse auch digitale Beteiligungsmöglichkeiten schaffen: „Jugendlich, junge Menschen bekommen sie nicht analog.“ Und Robin Denstorff, Vorsitzender des Netzwerks Innenstadt NRW, betonte, wer Beteiligung wolle, der müsse den Beteiligten auch beweisen, dass die Beteiligung etwas einbringe. Würden die Anliegen derer, die sich beteiligen, am Ende alle abgebügelt, könne man nicht erwarten, Mitbürger für eine intensive Beteiligung werben zu können.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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