Freitag, 12. April 2024

Atomenergie im Bundestag: Moratorium, Ausstieg aus dem Ausstieg oder Augen zu und durch?

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Der 10. April hat wieder einmal gezeigt: Parlamentsfernsehen kann lohnend sein. Dank der Mediathek des Deutschen Bundestages ist die Aussprache über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel 'Notwendige Nutzung der Kernenergie in der Energiekrise – Rückbau stoppen, Moratorium umsetzen' als Serie mit elf Mini-Folgen zugänglich. Meine Empfehlung: Unbedingt anschauen! Die Gefahr des Binge-Watching besteht allerhöchstens beim SPD-Abgeordneten Robin Mesarosch, der anstelle eines Redemanuskripts den Antrag des politischen Gegners mit ans Pult brachte, um ihn Zeile für Zeile zu zerpflücken. Ansonsten überwiegt beim Zuschauer das Stirnrunzeln, wie dermaßen unterschiedliche Bewertungen und Berechnungen zusammenpassen mögen. Gibt es eine bessere Widerlegung der These von Neil Postman, Fernsehen erzeuge Idioten? Wer die Debatte verfolgt, amüsiert sich garantiert nicht zu Tode. Gerade deshalb ist sie sehenswert. Denn sie geht uns alle an.

Gestritten wurde um eine rationale Energiepolitik. Hört sich einfach an. Ist aber eine verflixt schwierige Übung in einem Land, das sich seit über zwei Jahrzehnten mit dem Atomausstieg abmüht. Hingewiesen wurde einerseits auf die Atomunfälle in Fukushima und Tschernobyl (von Harald Ebner), andererseits auf das neu entstandene Bündnis von 15 EU-Mitgliedstaaten zum Ausbau der Kernenergie (Steffen Bilger). Debattiert wurde über die Kosten der Atomenergie, die Carsten Träger auf 80 Cent pro Kilowattstunde veranschlagte (mit Folgekosten), während Dr. Klaus Wiener auf Grenzkosten für die letzten abgeschalteten Atomkraftwerke von 2 bis 3 Cent pro Kilowattstunde hinwies. Leider blieb es beim Fernduell, Zwischenfragen gab es nicht (bitte nicht als Kritik an den Machern der Serie verstehen). Zur Sprache kamen ferner die Kosten der Erneuerbaren Energien, die von Carsten Träger mit 2 bis 8 Cent angegeben wurden, während Dr. Rainer Kraft auf die hohen Integrationskosten (Netzausbau, Speicher, Entsorgung) hinwies. Thomas Jarzombek hielt es für keinen Zufall, dass die Bundesregierung eine Prognose für die Kosten des Netzausbaus verweigere. Jarzombek verdiente sich auch den Preis für die beste Redewendung, indem er Johannes Rau mit dessen Slogan 'Versöhnen statt Spalten' zitierte, den er auf das Ende der herkömmlichen Atomtechnologie und den Ausbau der Fusionsenergie bezog. Ein beinahe lyrischer Moment.

Nicht vergessen werden dürfen die Leistungen der Nebenakteure: Für die FDP mühte sich Prof. Dr. Stephan Seiter um einen Mittelweg. Er warb dafür, das Wissen um die Kerntechnologie zu erhalten. Dennoch lehnte er das von der CDU/CSU-Fraktion begehrte Rückbau-Moratorium für die abgeschalteten, noch bestehenden Atomkraftwerke ab. Nicht aus Begeisterung für den Ausstieg, wie er anführte, sondern aus Kosten/Nutzen-Gründen. Eine originelle Position! Sein Hinweis, der Antrag wäre in einem Bundestagsausschuss besser aufgehoben gewesen, hätte die Sache getroffen – wenn es um fraktionsübergreifende Verständigung gegangen wäre. Darum ging es aber nicht. Es ging, wie auch Seiter nicht entgangen sein dürfte, darum, unterschiedliche Positionen in der Energiepolitik zu markieren. Es ist deshalb auch kein Spoiler, wenn man verrät, dass der Antrag am Ende der Aussprache abgelehnt wurde.

Nun ist politisches Kalkül legitim. Es stellt sich aber die Frage, mit welcher Glaubwürdigkeit es ausgefüllt wird. Besonders spannend wurde das bei Dr. Andreas Lenz. Der CSU-Abgeordnete warf den Koalitionsparteien Realitätsverweigerung vor. Er schien es ehrlich zu meinen. Auch beim mehrmaligen Ansehen der Folge konnte ich kein Schmunzeln erkennen. Das ist keine kleine Leistung, hat es doch mit Bayern ein CSU-geführtes Bundesland zu vertreten, dass dem letzten funktionsfähigen Atomkraftwerk der Bundesrepublik, Isar 2, am 21. März 2024 eine Rückbaugenehmigung erteilt wurde. Eine Weisung des Bundes, Isar 2 mit einem Rückbau-Moratorium zu belegen, hätte die bayerische Landesregierung auf dem Verwaltungsweg erstreben können, notfalls gerichtlich begleitet durch ein Organstreitverfahren. Die Aussichten wären glänzend gewesen, dass auf diesem Weg bis zu den nächsten Bundestagswahlen keine rechtskräftige Entscheidung über den Rückbau vorgelegen hätte. Warum hat die CSU ein faktisches Rückbau-Moratorium aus der Hand gegeben, um ein gesetzliches Moratorium im Antrag der CDU/CSU-Fraktion einzufordern? Mir fällt dazu nur das Schwarze Peter-Spiel ein. Die CDU/CSU-Fraktion kündigt die Rückkehr zu einer rationalen Energiepolitik an – allerdings erst für die nächste Legislaturperiode, weil die Mehrheiten im Land etwas anderes angeblich nicht zulassen.

Die Kosten, mit denen das mühsame Umdenken im bürgerlichen Lager verbunden ist, wurden im mi-Expertengespräch zur Energiepolitik deutlich, das am 28. März 2024 stattfand. Beteiligt waren Dr. Klaus Wiener und der Atomenergieexperte Manfred Haferburg. Dabei wurden die volkswirtschaftlichen, technologischen und demokratischen Voraussetzungen einer pragmatischen Energiepolitik im Hinblick auf die Nutzung der Atomenergie diskutiert. Ich habe aus dem Gespräch mitgenommen, dass die Vorstellung, rationale Entscheidungen wären der Regelfall, absurd ist. Sie kommen nicht von allein, sondern entstehen aus einem Dialog, der eingeübt werden muss. Es gibt Medien, die dazu beitragen. Zum Beispiel die Mediathek des Deutschen Bundestages. Oder 'markt intern'.


Verfasst von: Gregor Kuntze-Kaufhold | Kommentare (0)

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