Dienstag, 19. Dezember 2023

Bundestagswahl 2021 muss in jedem fünften Berliner Wahlbezirk wiederholt werden

Blogeintrag | Kommentare (0)

Angesichts des schlechten Laufs der Ampel-Regierung überrascht es kaum noch, dass nun auch noch die Bundestagswahl 2021 in 455 Berliner Wahlbezirken wiederholt werden muss. Dies hat heute das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden. Für 431 Wahlbezirke hatte dies der Deutsche Bundestag selbst am 10. November 2022 schon so entschieden. Zudem hat das BVerfG den genannten Beschluss des Bundestages insoweit aufgehoben, als die Bundestagswahl in sieben Wahlbezirken und den damit verbundenen Briefwahlbezirken für ungültig erklärt wurde. Zur Ehrenrettung der Ampel muss gesagt werden, dass sie nur bedingt für die Wahlwiederholung in Anspruch genommen werden kann. Auslöser dieser Blamage war der damalige rot-rot-grüne Berliner Senat unter Führung von Franziska Giffey (SPD).

Das heute verkündete Urteil des Zweiten Senats des BVerfG geht auf die Wahlprüfungsbeschwerde der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen den Bundestagsbeschluss zurück. Der Beschluss sei, so der Senat, im Ergebnis überwiegend rechtmäßig. Der Bundestag habe das Wahlgeschehen jedoch unzureichend aufgeklärt, „da er auf die gebotene Beiziehung und Auswertung der Niederschriften der einzelnen Wahlbezirke verzichtet hat“. Dies hat das BVerfG seinerseits nachgeholt. Daraus ergebe sich, „dass einerseits die Bundestagswahl in weiteren 25 Wahlbezirken des Landes Berlin einschließlich der zugehörigen Briefwahlbezirke für ungültig zu erklären und andererseits die Ungültigerklärung der Wahl in sieben Wahlbezirken und deren Briefwahlbezirken im Beschluss des Deutschen Bundestages aufzuheben“ sei.

Daneben führten erst nach der mündlichen Verhandlung bekanntgewordene Besonderheiten der Auszählung von Briefwahlstimmen zur Ungültigerklärung der Bundestagswahl in weiteren sechs Briefwahlbezirken und den sechs mit diesen verbundenen Urnenwahlbezirken (Wahlbriefe aus für ungültig erklärten Wahlbezirken seien umverteilt worden, sodass sie nicht in das Ergebnis der vom Beschluss des Deutschen Bundestages umfassten Briefwahlbezirke, sondern in das Ergebnis anderer, nicht für ungültig erklärter Briefwahlbezirke eingegangen seien). Die Wiederholungswahl müsse mit Erst- und Zweitstimme durchgeführt werden.

Zur Besonderheit des Falles gehört, dass bereits der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen in Gänze für ungültig erklärt hat. Dagegen wurde Verfassungsbeschwerde erhoben, verbunden mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der darauf abzielte, die Wiederholungswahl bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verhindern. Den Eilantrag hat das BVerfG am 25. Januar 2023 abgelehnt; eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde steht noch aus. Die Wiederholung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen fand daher am 12. Februar 2023 statt.

Der Bundestag habe trotz seiner unzureichenden Aufklärung des Wahlgeschehens gleichwohl die in Betracht kommenden Wahlfehler ihrem Inhalt nach weitgehend zutreffend bestimmt. Ein Wahlfehler liegt immer dann vor, wenn die Regelungen des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung sowie die diese prägenden Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG    verletzt seien. Die Abläufe bei der Bundestagswahl 2021 in Berlin wiesen Wahlfehler in Bezug sowohl auf die Vorbereitung als auch auf die Durchführung der Wahl auf.

Bereits in der Phase der Vorbereitung der Bundestagswahl 2021 in Berlin seien Wahlfehler festzustellen: Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 3 BWahlO, wonach die Teilnahme an der Wahl möglichst zu erleichtern sei, wäre es erforderlich gewesen, „eine Ausstattung der Wahlräume mit Wahlkabinen und Stimmzetteln in einem Umfang zu veranlassen, der einen möglichst reibungslosen Wahlablauf ohne überlange Wartezeiten ermöglicht hätte“. Dem habe die Planung der Ausstattung der Wahllokale mit Wahlkabinen nicht genügt. Es seien keine tragfähigen Überlegungen angestellt worden, wie viele Wahlkabinen in den jeweiligen Wahlräumen erforderlich gewesen wären, „um unter den Bedingungen einer Mehrfachwahl mit sechs Entscheidungsmöglichkeiten auf fünf inhaltlich verschiedenen und unterschiedlich gestalteten Stimmzetteln überlange Wartezeiten zu vermeiden“.

Daneben sei bei der Wahlvorbereitung gegen § 49 Nr. 3 BWahlO verstoßen worden, weil die amtlichen Stimmzettel zwar beschafft, aber teilweise den Wahlvorständen der Wahlbezirke vor Beginn der Wahlhandlung nicht in genügender Zahl übergeben worden seien. Zudem seien auch bei der Durchführung zahlreiche Wahlfehler festzustellen. So seien Wahlberechtigten Stimmzettel eines anderen Wahlkreises ausgehändigt worden, sodass deren Erststimme gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit Satz 2 Halbsatz 2 BWahlG ungültig abgegeben worden sei. Eine zeitweilige völlige Schließung eines Wahllokals stelle einen Wahlfehler dar, „weil sie gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl gemäß § 54 BWahlO verstößt“. Auch Unterbrechungen der Bundestagswahl bei fortbestehender öffentlicher Zugänglichkeit des Wahllokals begründeten einen Wahlfehler. Sie verstießen gegen § 47 BWahlO, wonach die Wahl von 8 Uhr bis 18 Uhr dauere.

Aus den Niederschriften gingen einzelne Fälle hervor, in denen Personen, die nur bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung wahlberechtigt waren, Stimmzettel für die Bundestagswahl erhalten und diese eingeworfen hätten. Soweit es nicht gelungen sei, den Einwurf solcher Stimmzettel abzuwenden, lägen Wahlfehler vor (§ 56 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BWahlO).

Wichtig für zukünftige Wahlen ist die Feststellung des BVerfG, eine Stimmabgabe nach 18 Uhr begründe als solche keinen Wahlfehler. „Ein solcher liegt nur vor, wenn die Wahlberechtigten nicht rechtzeitig vor dem Ablauf der Wahlzeit erschienen und trotzdem zur Wahl zugelassen worden sind.“ Derartige Fälle seien vorliegend jedoch nicht ersichtlich.

Die für die einzelnen zusätzlichen Stimmbezirke dezidiert vom BVerfG festgestellten Wahlfehler seien weitgehend mandatsrelevant. Mandatsrelevant sei ein Wahlfehler, der Einfluss auf die Verteilung der Sitze im Parlament haben könne. Es müsse sich bei der Auswirkung des Wahlfehlers auf die Sitzverteilung „um eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung konkrete und nicht ganz fernliegende Möglichkeit handeln (Grundsatz der potentiellen Kausalität). Dabei ist das potentielle Wahlverhalten nicht im Sinne einer exakten Übertragung des Wahlergebnisses, wohl aber im Sinne einer groben Orientierung zu berücksichtigen.“

Davon ausgehend sei die Mandatsrelevanz bezogen auf das Zweitstimmenergebnis gegeben, „soweit Wahlfehler in der Form einer unzureichenden Ausstattung der Urnenwahllokale mit Wahlkabinen und Stimmzetteln vorliegen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, sondern ist vielmehr wahrscheinlich, dass die mehr als einstündigen Wartezeiten, die Unterbrechungen der Wahlhandlung, die verspäteten Öffnungen beziehungsweise die vorübergehenden oder vorzeitigen Schließungen von Wahllokalen dafür ursächlich waren, dass Wahlberechtigte nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben.“

Rechtsfolge der festgestellten mandatsrelevanten Wahlfehler sei die auf die betroffenen Wahlbezirke und die damit verbundenen Wahlbezirke beschränkte Ungültigerklärung der Wahl und deren Wiederholung als Zweistimmenwahl. Von mehreren Möglichkeiten zur Korrektur eines mandatsrelevanten Fehlers sei diejenige zu wählen, „die dem Interesse am Bestand der gewählten Volksvertretung am stärksten Rechnung trägt. Eine Nichtigerklärung der gesamten Wahl setzt Wahlfehler von einem solchen Gewicht voraus, dass der Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung unerträglich erscheint.“

Die Umverteilung von 1.080 Wahlbriefen aus fünf für ungültig erklärten Briefwahlbezirken auf sechs andere Briefwahlbezirke im Wahlkreis 81 sei wahlrechtswidrig gewesen. Soweit Wahlbriefe eines Briefwahlbezirks, in dem die Wahl für ungültig zu erklären sei, in einem anderen Briefwahlbezirk ausgezählt worden seien, der selbst nicht mit einem wahlfehlerhaften Urnenwahlbezirk verknüpft sei, würden die mit diesen Wahlbriefen abgegebenen Stimmen von der Ungültigerklärung nicht erfasst. Bei einer Wiederholungswahl blieben die im aufnehmenden Briefwahlbezirk ausgezählten Stimmen gültig. Zugleich könnte erneut eine gültige Stimme abgegeben werden. Hierdurch würde der Grundsatz der Gleichheit der Wahl verletzt. Daher sei die Wahl auch in den Briefwahlbezirken, die Wahlbriefe aus für ungültig erklärten Briefwahlbezirken übernommen und ausgezählt hätten, und den damit verbundenen Urnenwahlbezirken für ungültig zu erklären gewesen.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

Zurück zum Blog

Kommentar verfassen

Bitte beachten Sie bei Ihren Kommentaren unsere Netiquette