Mittwoch, 22. Februar 2023

Bundesverfassungsgericht erklärt Ausschluss der AfD-Stiftung bei der staatlichen Finanzierung ohne Gesetz für verfassungswidrig

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Das heute verkündete Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), wonach der Deutsche Bundestag die Alternative für Deutschland (AfD) verfassungswidrig in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb verletzt hat, weil er die Geldzuwendungen an die Stiftungen der anderen Parteien ohne gesetzliche Regelung vorgenommen hat, ist eine schallende Ohrfeige für die Parlamentarier. Noch schlimmer: Sie war auch noch absolut vorhersehbar. Denn die AfD selbst hatte schon im Juni 2018 einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, um die finanziellen Zuwendungen an die Parteistiftungen gesetzlich zu regeln!

Im Frühjahr 2021 hatte die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen einen solchen Versuch unternommen. Ausdrücklich deshalb, weil sie befürchtete, das BVerfG könne die Nichtberücksichtigung der Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) als verfassungswidrig einstufen. Auch dieser Versuch scheiterte. Das beschämende Ergebnis dieses Vorgehens liegt jetzt auf dem Tisch.

Die Nichtberücksichtigung der DES bei der Zuweisung von Globalzuschüssen für die gesellschaftspolitische und demokratische Bildungsarbeit im Bundeshaushalt 2019 greife, so das BVerfG, „in das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) ein“. Für die Rechtfertigung dieses Eingriffs bedürfe es eines besonderen Parlamentsgesetzes, schreibt das BVerfG den Parteien links der AfD ins Stammbuch.

Zur Begründung führt das BVerfG aus, der verfassungsrechtliche Status der Parteien gewährleiste das Recht, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen. „Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG garantiert den politischen Parteien nicht nur die Freiheit ihrer Gründung und die Möglichkeit der Mitwirkung an der politischen Willensbildung, sondern auch, dass diese Mitwirkung auf der Basis gleicher Rechte und gleicher Chancen erfolgt“. Damit unvereinbar sei grundsätzlich jede Einwirkung von Staatsorganen zugunsten oder zulasten einzelner am politischen Wettbewerb teilnehmender Parteien. Demgemäß sei das Recht auf Chancengleichheit im Fall unmittelbarer Zuweisung staatlicher Finanzmittel an politische Parteien regelmäßig betroffen. Dabei verbiete der Grundsatz strikt formaler Gleichheit nicht schlechthin jede Differenzierung. „Träger öffentlicher Gewalt dürfen die den Parteien gewährten Leistungen bis zu einem von der Sache her gebotenen Mindestmaß nach der Bedeutung der Parteien abstufen.“

Neben einer direkten Förderung könne auch die Zuweisung staatlicher Mittel an Dritte auf die Wettbewerbslage zwischen den Parteien einwirken. Allerdings sei in einem solchen Fall nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls gesondert festzustellen, ob die Zuwendung staatlicher Mittel an einen Dritten auf die Wettbewerbslage zwischen den politischen Parteien einwirke. Dies kommt vor allem in Betracht, wenn zwischen Leistungsempfänger und politischer Partei ein besonderes Näheverhältnis bestehe, wie es bei den Parteistiftungen der Fall ist.

Wirkten sich staatliche Leistungen – unmittelbar oder mittelbar – auf die Stellung und die Handlungsspielräume der Parteien im politischen Wettbewerb aus, sei es „wegen ihrer zentralen Rolle bei der Ausfüllung des grundgesetzlichen Demokratiegebots Sache des Gesetzgebers, selbst unter Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit die Anspruchsvoraussetzungen und Verteilungskriterien solcher Leistungen in einer besonderen gesetzlichen Grundlage zu bestimmen“.

Die staatlich unterstützte Stiftungsarbeit der Parteien, so stellt das BVerfG fest, „hat relevante Vorteile für die ihnen nahestehenden Parteien“. Auch wenn ein unmittelbarer Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Stiftungsarbeit und Wettbewerbsposition der politischen Parteien sich kaum feststellen lasse, liege es auf der Hand, „dass die Veranstaltung von Seminaren und Diskussionsforen durch politische Stiftungen, die sich an den von bestimmten Parteien vertretenen Grundwerten und -überzeugungen orientieren, zu der Verbreitung des Gedankenguts dieser Parteien beiträgt und damit auf deren Positionierung im politischen Wettbewerb zurückwirkt“.

Hinzu komme, dass die Wettbewerbslage zwischen den politischen Parteien auch mit Blick auf die Erarbeitung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Stiftungen beeinflusst werde, die es den Parteien erleichterten, ihre Aufgaben wahrzunehmen und tagespolitische Folgerungen aus längerfristigen gesellschaftlichen Entwicklungen zu ziehen. Insoweit sei davon auszugehen, „dass im Vordergrund der Forschungstätigkeit der politischen Stiftungen Themen stehen, die für die politische Arbeit der nahestehenden Partei von besonderer Relevanz sind“.

Man muss es wohl so deutlich formulieren: Es ist allein der Arroganz der übrigen Parteien geschuldet, dass die AfD diesen Erfolg vor dem BVerfG errungen hat. Die vom Gericht in der Entscheidung genannten Grundzüge sind weder besonders originell noch überraschend. Jede rechtlich beratene Fraktion im Deutschen Bundestag hätte diese Erkenntnis haben können. Allein, man hat offenbar darauf vertraut, das BVerfG könne zu einem anderen Ergebnis kommen, weil die AfD vermeintlich verfassungsfeindlich ist.

Diese Hoffnung hat zum Glück getrogen. Denn solange die AfD nicht in einem förmlichen Verfahren als verfassungswidrig eingestuft ist, darf sie von staatlichen Behörden oder dem Parlament selbst auch nicht so behandelt werden. Zuletzt – mit dem Bundeshaushaltsplan 2022 – hat das Parlament erneut versucht, die Ausreichung von Globalzuschüssen ohne formales Parteiverbot von der Verfassungstreue der Stiftungen abhängig zu machen. Dazu wurde ein Vermerk aufgenommen, wonach Globalzuschüsse zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit „nur politischen Stiftungen gewährt [werden], die nach ihrer Satzung und ihrer gesamten Tätigkeit jederzeit die Gewähr bieten, dass sie sich zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten“.

Über diese Variante hat das BVerfG in dem vorliegenden Urteil nicht entschieden, sondern das Verfahren insoweit abgetrennt, weil damit verfassungsrechtliche Fragestellungen aufgeworfen würden, „die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im bisherigen Verfahren nicht oder nur unzureichend erörtert worden sind“. Es ist schwer zu prognostizieren, wie das BVerfG letztlich diese Fragen entscheiden wird. Aber wir vermuten, es wird auch diesen Versuch, ohne ein Parteiverbot die AfD im Rahmen der Finanzierung der Stiftung als verfassungswidrig zu behandeln, am Ende scheitern lassen.

Um welche Dimensionen es bei alledem geht, machen diese Ausführungen des Gerichts klar. „Insgesamt belief sich die Förderung der politischen Stiftungen durch den Bund im Haushaltsjahr 2019 auf einen Betrag von rund 660 Millionen Euro. Damit machte sie den weitaus größten Teil der den geförderten Stiftungen zur Verfügung stehenden Finanzmittel aus. Allein auf den Bereich der – hier streitgegenständlichen – Globalzuschüsse für gesellschaftspolitische und demokratische Bildungsarbeit entfielen insgesamt rund 130 Millionen Euro.“

Nüchtern stellt das BVerfG insoweit fest: „Es wäre realitätsfern, anzunehmen, dass der Einsatz dieser Mittel keine Relevanz für den politischen Wettbewerb entfaltete.“ Die sechs geförderten Stiftungen könnten die Globalmittel in ihrem gesamten Tätigkeitsbereich einsetzen und würden dadurch in die Lage versetzt, eine große Zahl an Seminaren, Diskussionsveranstaltungen oder sonstigen Informationsangeboten durchzuführen. „Auch wenn der davon ausgehende Einfluss auf die politische Willensbildung im Einzelnen nicht messbar ist, werden durch den Einsatz der Globalzuschüsse die Reichweite der von der nahestehenden Partei vertretenen Grundüberzeugungen und Politikkonzepte jedenfalls potentiell erweitert sowie die Erarbeitung neuer beziehungsweise die Fortentwicklung bestehender Positionierungen erleichtert und damit die Stellung der nahestehenden Partei im politischen Wettbewerb verbessert.“ 

Vorsorglich gibt das BVerfG dem Gesetzgeber schon einmal Handlungsanweisungen mit, sollte er jetzt endlich die gesetzliche Grundlage für die Stiftungsförderung schaffen: „Hält der Gesetzgeber an seiner Grundentscheidung für eine staatliche Förderung parteinaher Stiftungen fest, steht ihm bei der Schaffung der erforderlichen gesetzlichen Grundlage ein Gestaltungsspielraum zu. Er hat jedoch die verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, die sich mit Blick auf die politischen Stiftungen aus Art. 3 Abs. 1 GG und mit Blick auf die diesen nahestehenden Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben.“

Dabei sei es wegen des Fehlens einer Veränderung der bestehenden politischen Wettbewerbslage verfassungsrechtlich unbedenklich, die staatliche Stiftungsförderung auf parteinahe Stiftungen zu beschränken, die eine „dauerhafte, ins Gewicht fallende politische Grundströmung“ repräsentierten, und insoweit auf die Wahlbeteiligung und die Wahlergebnisse der ihnen nahestehenden Parteien abzustellen.

Dabei dürfte es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, sondern möglicherweise sogar geboten sein, diejenigen Stiftungen von der staatlichen Förderung auszuschließen, „die kurzlebigen, den politischen Willensbildungsprozess allenfalls vorübergehend beeinflussenden Parteien nahestehen. Zugleich hat der Gesetzgeber aber der grundgesetzlich garantierten Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses Rechnung zu tragen.“


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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