Mittwoch, 09. November 2022

Gutachten des Sachverständigenrates dürfte Lindner in den Ohren klingeln

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Das heute veröffentlichte Jahresgutachten 2022/23 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist für die gesamte Bundesregierung keine leichte Kost. Für Bundesfinanzminister Christian Lindner kommt es allerdings eher einer Ohrfeige gleich. Wird doch ‘seine’ Finanzpolitik im Kapitel 3, „Deutsche Finanzpolitik vor schwierigen Herausforderungen“, besonders kritisiert. Ganz allgemein heißt es dort beispielsweise: „Der Bundeshaushalt und die ausgewiesene Nettokreditaufnahme zeichnen somit ein immer unvollständigeres Bild der tatsächlichen Ausgaben und der Verschuldungsentwicklung des Bundes. Die Sondervermögen eröffnen in den kommenden Jahren einen beträchtlichen zusätzlichen Finanzierungsspielraum. Für die Schuldenbremse sind diese Ausgaben bereits verbucht, allerdings handelt es sich weitestgehend lediglich um Kreditermächtigungen. Die tatsächliche Kreditaufnahme und damit die Veränderung des Schuldenstandes des Bundes erfolgen somit erst in den kommenden Jahren.“

Diese Vernebelung der wahren Verschuldung, die auch bereits der Bundesrechnungshof massiv kritisiert hat, moniert auch der Sachverständigenrat. Angesichts steigender Zinsen werde der Zeitpunkt der Kreditaufnahme wichtiger. Die Kosten der Verschuldung stiegen, „wenn die tatsächliche Kreditaufnahme zu einem späteren Zeitpunkt mit höheren Zinsen stattfindet. Zum Zeitpunkt der Erteilung der Kreditermächtigungen wurden diese Kosten dann jedoch möglicherweise nicht adäquat berücksichtigt.“

Konkret bemängeln die Sachverständigen auch die Notwendigkeit der Nutzung der Sondervermögen. „Im Fall des Sondervermögens Bundeswehr“, heißt es etwa, „ist kaum ersichtlich, warum diese Ausgaben nicht im regulären Haushalt zu finanzieren sind. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der langfristigen Notwendigkeit von Verteidigungsausgaben und dem Bekenntnis, nach vollständiger Verausgabung der Mittel des Sondervermögens das NATO-2 %-Ziel im regulären Haushalt einhalten zu wollen.“

Wenig überraschend rät der Sachverständigenrat zu einer zielgerichteten Unterstützung beim Umgang mit öffentlichen Mitteln. Eine Gesamtübersicht der ausgewiesenen Mittel finden Sie hier„Um die öffentlichen Ausgaben zu begrenzen und zusätzlichen Inflationsdruck zu vermeiden“fordert der Rat, „sollten die Entlastungsmaßnahmen möglichst zielgenau diejenigen privaten Haushalte adressieren, die ohne staatliche Hilfen Liquiditätsprobleme haben oder denen soziale Härten drohen. Ohne Unterstützung müssten diese Haushalte angesichts finanzieller Mehrbelastungen ihren Konsum besonders stark einschränken.“

Tatsächlich blieben aber die besonders betroffenen Haushalte mit geringem Einkommen prozentual nach Verrechnung von Belastungen und Entlastungen relativ zu ihrem Einkommen die am stärksten belasteten Gruppen.  In diesem Zusammenhang, betont der Sachverständigenrat, sei der geplante Abbau der kalten Progression im Hinblick auf die Zielgenauigkeit als kritisch anzusehen, „da diese Maßnahme überproportional einkommensstarken Haushalten zugutekommt“. Dennoch hält der Sachverständigenrat die von Lindner gewollte Maßnahme für „grundsätzlich wünschenswert“. Angesichts der finanzpolitischen Lage sei es „jedoch fraglich, ob die kalte Progression auch im Jahr 2023 wie üblich abgebaut werden sollte, nicht zuletzt aufgrund der mangelnden Zielgenauigkeit vieler Entlastungsmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund wäre es naheliegend, den Abbau der kalten Progression zeitlich zu verschieben.“

Der Bundeshaushalt könne im Jahr 2023 aus heutiger Sicht durch die Nutzung der allgemeinen Rücklage in Höhe von etwa 40 Milliarden Euro die Regelgrenzen der Schuldenbremse einhalten. Würden diese Rücklage im Jahr 2023 genutzt, stünden sie jedoch im Jahr 2024 nicht mehr zur Verfügung. Dies bleibe nicht ohne Risiko, denn die „unmittelbaren Auswirkungen von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg auf den Bundeshaushalt dürften dann zwar rückläufig sein. Die konjunkturelle Entwicklung könnte jedoch noch fragil sein. Die Einhaltung der Regelgrenzen ohne die Möglichkeit, in stärkerem Umfang auf Rücklagen zurückgreifen zu können, könnte dann zu einem hohen Konsolidierungsdruck und einem entsprechend stark negativen fiskalischen Impuls führen“, warnen die Sachverständigen.

Zudem monieren die Sachverständigen zu Recht, dass es nach wie vor „keine erprobte Möglichkeit für staatliche Einmalzahlungen an alle Bevölkerungsgruppen“ gebe. Ein solches Vorgehen würde die gezielte Unterstützung einkommensschwacher Bürger deutlich vereinfachen. Dafür aber kann Christian Lindner am wenigsten verantwortlich gemacht werden. Das müssen sich schon seine Vorgänger zurechnen lassen.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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