Mittwoch, 08. Juni 2022

Angela Merkel erklärt sich, ohne sich zu entschuldigen

Blogeintrag | Kommentare (0)

Sechs Monate hat Alt-Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel öffentlich geschwiegen. Gestern Abend hat sie sich im Gespräch mit Spiegel-Redakteur und Schriftsteller Alexander Osang erstmals nach ihrem Abschied von der Macht öffentlich zu ihrer Regierungszeit geäußert. Dabei ging es  – angesichts der aktuellen Weltlage wenig verwunderlich – weitgehend um den Konflikt mit Russland sowie Merkels Rolle bei der Entwicklung der Ukraine und ihre mögliche Mitverantwortung für den aktuellen Krieg. Osang, eigentlich Merkel durchaus kritisch gegenüber eingestellt, hatte allerdings wenig Neigung, sich in dem Gespräch auf eine Kontroverse mit Merkel einzulassen. Sinnbildlich dafür stand Merkels Korrektur von Osangs Feststellung, sie sei freiwillig zurückgetreten. „Ich habe entschieden, nicht wieder anzutreten, nicht zurückzutreten“, korrigierte ihn Merkel.

Hier, wie in dem gesamten Gespräch, zeigte sich, dass es Merkel bei dem Termin sichtlich darum ging, die Sichtweise über ihre Kanzlerschaft zu präjudizieren. Nicht andere sollen den Spin setzen, sondern sie selbst will es. Entsprechend entschieden wehrte sie sich gegen sämtliche Versuche, ihr quasi ein Mitverschulden am Krieg in der Ukraine zu geben, weil sie die Ukraine zu wenig unterstützt und Russland nicht genug in die Schranken gewiesen habe. Dazu stellte sie unmissverständlich fest: „Ich habe versucht, in die Richtung zu arbeiten, dass Unheil verhindert wird. Diplomatie ist ja nicht, wenn sie nicht gelingt, deshalb falsch gewesen. Also ich sehe nicht, dass ich jetzt sagen müsste, das war falsch, und werde deshalb mich auch nicht entschuldigen.“

Gleichzeitig kritisierte sie, dass viele Beobachter Kritik äußern würden, ohne die Umstände zum Zeitpunkt der Entscheidung zu berücksichtigen. Das gelte etwa für ihr 2008 erklärtes Nein zur potenziellen Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato (Membership Action Plan) wie für das Minsker Abkommen von 2015. Die Ukraine des Jahres 2008 sei nicht mit der heutigen Ukraine zu vergleichen. Damals sei die Ukraine in weiten Teilen von Oligarchen beherrscht gewesen. Einen solchen Staat habe man nicht in die Nato aufnehmen können. Zudem sei sie sicher gewesen, Putin hätte eine solche Entscheidung nicht hingenommen, sondern ihn schon damals zu einem Einschreiten provoziert. Das wäre zwar nicht gerechtfertigt gewesen, aber sie habe zu berücksichtigen gehabt, dass er so reagieren werde.

Ziemlich schmallippig räumte Merkel auch das Thema der zu engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland ab. „Ich habe nie geglaubt, dass Putin durch Handel gewandelt wird.“ Ihr sei es um eine friedliche Koexistenz mit Russland als Nachbarn gegangen. Wenn man sich schon mit Russland nicht auf gemeinsame politische Ziele einigen könne, dann mache es Sinn, bestimmte wirtschaftliche Beziehungen einzugehen, weil man sich nicht einfach ignorieren könne. „Das wird man auch in Zukunft nicht können.“

Wer Merkel so reden hört, wird vielleicht an Olaf Scholz erinnert und seine Aussagen zum Ukrainekrieg. Doch während Scholz dafür öffentlich permanent abgestraft wird, konnte Merkel dies alles ohne nennenswerten Widerspruch Osangs feststellen. Ob auch die CDU weiterhin nur Scholz und die SPD kritisieren will, aber Merkel außen vor lässt, wird sich zeigen. Damit soll gar nicht Merkels Feststellung widersprochen werden, dass aktuelle Kritiker historische Umstände für Entscheidungen oft schlicht ausblenden, weil sich dann leichter kritisieren lässt. Andererseits wirkt es befremdlich, dass die Altkanzlerin explizit betont, 2008 Putin nicht habe provozieren wollen, heute Olaf Scholz aber vorgeworfen wird, sich von Putin einschüchtern zu lassen. Und dass Merkel eine nahezu vollständige Abhängigkeit von russischen Energielieferungen einfach als „bestimmte wirtschaftliche Beziehungen“ kaschiert, sprich für sich.

Ach ja, am Ende ließ sich Osang nicht entgehen, nach Merkels Vermächtnis innerhalb der CDU zu fragen. Ob es sie nicht eigenartig berühre, dass ausgerechnet der Mann, den sie 2002 dezent ins politische Abseits geschoben habe, jetzt die CDU führe. Ob sie sich da nicht frage, ob das noch ihre Partei sei. Merkel reagierte erwartungsgemäß ausgesprochen professionell. Während sie bei ihrer letzten Sommer-Pressekonferenz als Bundeskanzlerin noch Schwierigkeiten hatte, ihre Mitgliedschaft in der CDU zu benennen, betonte sie nunmehr, die CDU sei immer ihre Partei gewesen und sei es auch weiterhin. „Ich bin sehr gerne in der CDU. Sie brauchen sich keine Sorgen um mein Seelenheil zu machen.“ Dass damals zwei so interessante Persönlichkeiten sich aneinander gerieben hätten, habe jetzt eine reizvolle Fortführung gefunden.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

Zurück zum Blog

Kommentar verfassen

Bitte beachten Sie bei Ihren Kommentaren unsere Netiquette