Donnerstag, 26. August 2021

Bundesverfassungsgericht ermöglicht Erhöhung des Rundfunkbeitrags

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Lange hatte sich die CDU in Sachsen-Anhalt gegen die Erhöhung des Rundfunkbeitrages um 86 Cent auf 18,36 Euro für die Beitragsperiode 2021 bis 2024 gewehrt, wie ihn die Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) vorgeschlagen hatte (die Sender hatten einen Bedarf für 19,24 Euro angemeldet). Weil dies in Sachsen-Anhalt auch eine Forderung der AfD war, drohte kurzfristig in Berlin gar eine Regierungskrise. Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (CDU) löste das Problem dann auf seine Weise: Er verhinderte, dass die Abstimmung über den Staatsvertrag im Landtag behandelt wurde (vgl. Mi 01/21). Damit fehlte die erforderliche Stimme des Landes zum Staatsvertrag aller 16 Bundesländer und die geplante Beitragserhöhung fiel zunächst aus.

Dagegen liefen ARD und ZDF sowie weite Teile der deutschen Politik Sturm. Gelegentlich klang es gerade so, als habe Sachsen-Anhalt das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks besiegelt. Davon konnte nie die Rede sein. Es ging allein darum, den maßlosen Geldhunger der öffentlich-rechtlichen Sender zu begrenzen. Immerhin erhalten sie schon aufgrund der bisherigen Beitragshöhe jährlich mehr als acht Milliarden Euro zur Programmgestaltung. In ihrer Verfassungsbeschwerde haben die Antragsteller (die Rundfunkanstalten) behauptet, durch das Unterlassen der Zustimmung“ zur Beitragserhöhung habe Sachsen-Anhalt ihren „grundrechtlichen Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung nicht erfüllt“.

Die von den Sendern begehrte einstweilige Anordnung zur Durchsetzung der Beitragserhöhung hatte das BVerfG zwar noch abgelehnt, weil die Sender nicht nachgewiesen hätten, „dass eine verfassungswidrige Verzögerung des Inkrafttretens der Änderung des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags irreversibel zu schweren Nachteilen führe“. (vgl. Mi 01/21). In der Hauptsache sind sie nun deren Wünschen gefolgt. Auf die Verfassungsbeschwerde von ARD, ZDF und Deutschlandradio verkündeten die Karlsruher Verfassungsrichter am 20. JuliDas Land Sachsen-Anhalt hat durch das Unterlassen seiner Zustimmung zum Ersten Staatsvertrag zur Änderung medienrechtlicher Staatsverträge vom 10. bis 17. Juni 2020 die Rundfunkfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt.“ Bekannt gemacht haben sie diese Entscheidung am 5. August.

Hatten die Verfassungsrichter schon im Klimaschutzbeschluss mit gewagten Spekulationen und apodiktischen Vorhersagen überrascht, ist auch ihre Argumentation zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags schwere Kost für Anhänger rechtlicher Begründungen. Man kann dem Gericht zwar noch in seiner Feststellung folgen, Verfassungsbeschwerden könnten auch gegen staatliches Unterlassen eingelegt werden, soweit sich eine entsprechende Handlungspflicht aus dem Grundgesetz herleiten lasse. Für die funktionsgerechte Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bestehe eine staatliche Gewährleistungspflicht, mit der ein grundrechtlicher Finanzierungsanspruch der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten korrespondiere.

Zustimmen können wir auch, dass aus der Rundfunkfreiheit im gegenwärtigen System auch für jedes einzelne Land“ eine Handlungspflicht folge. Wie dieser Ansatz dann allerdings konkret in diesem Fall durch das Bundesverfassungsgericht unter seinem Präsidenten Prof. Dr. Stephan Harbarth ausgelegt wird, ist – vorsichtig formuliert – bemerkenswert. Maßgeblich ist für das Gericht, die besondere Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Er habe „die Aufgabe, als Gegengewicht zu den privaten Rundfunkanbietern ein Leistungsangebot hervorzubringen, das einer anderen Entscheidungsrationalität als der der ökonomischen Anreize folgt und damit eigene Möglichkeiten der Programmgestaltung eröffnet. Er hat so zu inhaltlicher Vielfalt beizutragen, wie sie allein über den freien Markt nicht gewährleistet werden kann.“ Diese Überhöhung der Realität gipfelt dann in der Feststellung, der Gesetzgeber habe dafür zu sorgen, „dass das Gesamtangebot der inländischen Programme der bestehenden Meinungsvielfalt im Wesentlichen entspricht, dass der Rundfunk nicht einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird und dass die in Betracht kommenden Kräfte im Gesamtprogrammangebot zu Wort kommen können.“

Man ahnt schon, was bei dieser Lobpreisung der Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als nächstes kommt: der Hinweis auf die verheerende Wirkung des Internets bei der Meinungsbildung. Im Urteil liest sich dies so: Die Digitalisierung der Medien und insbesondere die Netz- und Plattformökonomie des Internet einschließlich der sozialen Netzwerke begünstigen die Konzentrations- und Monopolisierungstendenzen bei Anbietern, Verbreitern und Vermittlern von Inhalten. Sind Angebote zum größten Teil werbefinanziert, fördern sie den publizistischen Wettbewerb nicht unbedingt; auch im Internet können die für die Werbewirtschaft interessanten größeren Reichweiten nur mit den massenattraktiven Programmen erreicht werden. Hinzu kommt die Gefahr, dass – auch mit Hilfe von Algorithmen – Inhalte gezielt auf Interessen und Neigungen der Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten werden, was wiederum zur Verstärkung gleichgerichteter Meinungen führt.“

In der Konsequenz kommt das Gericht dann zum Ergebnis, es werde schwieriger, „zwischen Fakten und Meinung, Inhalt und Werbung zu unterscheiden, sowie zu neuen Unsicherheiten hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Quellen und Wertungen. Der einzelne Nutzer muss die Verarbeitung und die massenmediale Bewertung übernehmen, die herkömmlich durch den Filter professioneller Selektionen und durch verantwortliches journalistisches Handeln erfolgt. Angesichts dieser Entwicklung wächst die Bedeutung der dem beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden. Dies gilt gerade in Zeiten vermehrten komplexen Informationsaufkommens einerseits und von einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News, Deep Fakes andererseits.“

Wir wollen an dieser Stelle gar nicht diskutieren, ob dieser theoretische Ansatz zutreffend ist. Denn er wird jedenfalls durch die Praxis widerlegt. In welchen Sendungen erfüllen denn die öffentlich-rechtlichen Sender diese Anforderungen? Schafft nicht gerade erst das Internet, bei allen vorhandenen Problemen, die Öffentlichkeit für Diskussionsansätze und Fakten, die die hier so gelobten öffentlich-rechtlichen Sender häufig gar nicht mehr bieten? Ein Blick auf die Berichterstattung zur Corona-Pandemie spricht da Bände. Wie journalistisch unsauber gerade auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gearbeitet wird, haben wir erst vor Kurzem anhand eines Beitrags zum Thema Gendern der Tagesthemen gezeigt.

Weiter stellt das BVerfG fest, der Gesetzgeber habe „durch materielle, prozedurale und organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass die Beitragsfestsetzung die Rundfunkfreiheit nicht gefährdet und dazu beiträgt, dass die Rundfunkanstalten durch eine bedarfsgerechte Finanzierung ihren Funktionsauftrag erfüllen können.“ Sicher, wer beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk will, muss auch sicherstellen, dass ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stehen. Aber wie hoch müssen die Mittel sein?

Wie zweifelhaft in den Rundfunkanstalten mit den Geldern der Beitragszahler umgegangen wird, haben wir zuletzt anhand eines Bauprojekts des WDR gezeigt. Selbst die KEF hat diesen Vorgang gerügt. Und dass es sich bei den Rundfunkanstalten im Kern um Versorgungswerke mit angeschlossenem Sendebetrieb handelt (vgl. Mi 18/20), sollte sich auch bis zum BVerfG rumgesprochen haben.

Nach dem bestehenden Konzept wird der Rundfunkbeitrag in einem dreistufigen Verfahren festgesetzt. Auf der ersten Stufe melden die Rundfunkanstalten auf der Grundlage ihrer Programmentscheidungen ihren Finanzbedarf an (Bedarfsanmeldung). Auf der zweiten Stufe prüft die KEF, ob sich die Programmentscheidungen im Rahmen des Rundfunkauftrages halten und ob der daraus abgeleitete Finanzbedarf im Einklang mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ermittelt worden ist. Auf der dritten Stufe setzen die Länder den Beitrag fest (Beitragsfestsetzung). Der Beitragsvorschlag der KEF ist Grundlage für eine Entscheidung der Landesregierungen und der Landesparlamente.

Zwar konzediert das BVerfG, das gestufte und kooperative Verfahren schließe „Abweichungen von der Bedarfsfeststellung der KEF nicht aus“. Programmliche und medienpolitische Zwecke schieden in diesem Zusammenhang jedoch aus. „Als Abweichungsgrund kommt gegenwärtig etwa noch die angemessene Belastung der Rundfunkteilnehmer in Betracht. Die daraus folgende Begrenzung lässt sich jedoch nur dann wirksam sichern, wenn für solche Abweichungen nachprüfbare Gründe angegeben werden.“

Schon das ist schwer zu akzeptieren. Denn damit wird nicht mehr eine wirtschaftliche und sparsame Haushaltsführung der Sender zum Kriterium, sondern „die Belastung der Rundfunkteilnehmer“. Und geradezu auf den Kopf gestellt werden die Dinge, indem das Gericht feststellt, erfülle „ein Land seine Mitgewährleistungspflicht nicht und wird dadurch die Erfüllung des grundrechtlichen Finanzierungsanspruchs unmöglich, liegt bereits darin eine Verletzung der Rundfunkfreiheit. Denn ohne die Zustimmung aller Länder kann die länderübergreifende Finanzierung des Rundfunks derzeit nicht gewährleistet werden.“ Armes Sachsen-Anhalt. Wenn sich alle einig sind, musst Du zustimmen, ob du willst oder nicht.

Und es kommt noch ärger für Sachsen-Anhalt. Denn das Gericht hält ihm vor, es fehle bei seiner Weigerung „an einer nachprüfbaren und verfassungsrechtlich tragfähigen Begründung, um von der Feststellung der KEF abweichen zu können. Dies kann im gegenwärtigen von den Ländern vereinbarten System nur eine verfassungsrechtlich zulässige Begründung aller Länder sein. Der Vortrag des Landes Sachsen-Anhalt, dass es sich seit Jahren unter den Ländern vergeblich um eine Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bemüht habe, rechtfertigt die Abweichung von der Feststellung des Finanzbedarfs nicht.“

Einziger Trost bei der Entscheidung: Die Karlsruher Verfassungsschützer verzichten großzügig darauf, die rückwirkende Beitragserhöhung zum 1. Januar selbst festzustellen. Die Beurteilung der Auswirkungen der unterbliebenen Beitragsanpassung auf die Rundfunkanstalten könne „in dem staatsvertraglich vereinbarten Verfahren erfolgen. Sie erfordert im gegenwärtigen System allerdings eine Stellungnahme der KEF sowie einen neuen Änderungsstaatsvertrag mit Zustimmung aller Länder.“ Das kann für die Beitragszahler noch teuer werden, denn das Gericht erklärt auch, dabei seien „Kompensationserfordernisse wegen unterbliebener Beitragsanpassung zu berücksichtigen. Den Beschwerdeführern steht dem Grunde nach eine solche kompensierende Mehrausstattung zu. Bei der nächsten Festsetzung des Rundfunkbeitrags ist die Notwendigkeit der Kompensation vom Beitragsgesetzgeber zu berücksichtigen. Hierbei werden der Mehrbedarf der Rundfunkanstalten, der durch eine Verschiebung von Investitionen und die Verwendung notwendig vorzuhaltender Reserven entstanden ist, wie auch etwaige Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf den Finanzbedarf der Rundfunkanstalten und die Zumutbarkeit von Beitragserhöhungen für die Bürgerinnen und Bürger in den Blick zu nehmen sein.“


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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