Donnerstag, 18. Januar 2024

ifo Institut hat Lohnabstandsgebot mit überraschenden Ergebnissen untersucht

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Die deutliche Erhöhung des Bürgergeldes zum 1. Januar hat die Diskussion um den Abstand des Einkommens von Lohnempfängern und Bürgergeldempfängern massiv befeuert. Ein Forscherteam des Münchner ifo Instituts hat dies zum Anlass genommen, systematisch zu untersuchen, wie es darum unter Berücksichtigung der Steuer- und Sozialabgaben tatsächlich bestellt ist. Anhand von vier typischen Haushaltskonstellationen haben die Forscher analysiert, ob das Lohnabstandsgebot im Jahr 2024 eingehalten wird und wo Reformbedarf im deutschen Steuer- und Transfersystem besteht („Lohnt“ sich Arbeit noch? Lohnabstand und Arbeitsanreize im Jahr 2024 ). Das Ergebnis wird manche überraschen, positiv wie negativ.

Die vier Wissenschaftler kommen zum Ergebnis, „dass trotz der deutlichen Anhebung der Regelsätze im Bürgergeld weiterhin ein spürbarer Lohnabstand besteht“. Gleichzeitig halten sie aber auch eine Reform des bestehenden Systems aufgrund der teilweise äußerst geringen Anreize zur Ausweitung bestehender Erwerbstätigkeit oder Erhöhung des Bruttoeinkommens für niedrige und mittlere Einkommen trotz des existierenden Lohnabstands für notwendig.

Um die Ergebnisse nachvollziehen zu können, erklären die Autoren zunächst ihre Vorgehensweise. Sie haben die verfügbaren Einkommen für verschiedene Haushaltskonstellationen mit dem ifo Mikrosimulationsmodell errechnet: „Dieses fungiert hier als Brutto-Netto-Rechner unter Berücksichtigung aller Interaktionen im Steuer- und Transfersystem.“ Das sich ergebende verfügbare Einkommen entspricht dabei dem Geldbetrag, der einem Haushalt monatlich für Ausgaben zur Verfügung steht. Vom Bruttoeinkommen werden die Einkommensteuerzahlungen und Sozialversicherungsbeiträge abgezogen, Transferleistungen wie Bürgergeld oder Kindergeld werden addiert.

Vergleichen wurden vier Haushaltstypen: • Single ohne Kinder • Single mit zwei Kindern • Alleinverdiener-Ehepaar mit zwei Kindern und •Doppelverdiener-Ehepaar (Aufteilung des Bruttoeinkommens 50:50) mit zwei Kindern. Das Alter der Kinder wird jeweils mit fünf und neuen Jahren unterstellt. Damit die Beträge, die Bürgergeldempfängern zur Verfügung stehen, besser mit denen von Erwerbstätigen verglichen werden können, wurden die für die Haushaltstypen üblichen Mieten und Heizkosten abgezogen, da die Kosten der Unterkunft (Miete und Heizung) beim Bürgergeld gesondert erstattet werden. Dabei wurden die Berechnungen für Mieten mittlerer Mietstufe und hoher Mietstufen getrennt durchgeführt. Schließlich wurde noch berücksichtigt, ob die Haushalte Transferleistungen (Bürgergeld, Wohngeld, Kinderzuschlag, Unterhaltsvorschuss sowie Kindergeld) in Anspruch nehmen oder nicht.

Tatsächlich, so das Ergebnis, bleibt der Lohnabstand auch nach den für 2024 geplanten Anpassungen im deutschen Steuer- und Transfersystem erhalten. Der Lohnabstand beträgt für alle betrachteten Haushalte mehrere hundert Euro. Das wird die Befürworter des Bürgergelds erfreuen und bringt die Kritiker in gewisse Schwierigkeiten. Aber: Auch bei diesen Vergleichen kommt es auf die Feinheiten an. Denn sobald die betroffenen Erwerbstätigen keine Sozialleistungen beantragen, die ihnen zustünden, relativiert sich der Lohnabstand. Zudem kommt es stark auf die Höhe der Miete an: „Erhebliche Unterschiede im zusätzlich verfügbaren Einkommen aus Erwerbstätigkeit im Vergleich zu Arbeitslosigkeit gibt es dabei jedoch je nach Mietniveau. So hat ein Single mit 2.000 Euro Bruttoeinkommen und durchschnittlichen Mietkosten nach Abzug von Transfers und Sozialversicherungsbeiträgen 457 Euro mehr zur Verfügung als ohne Erwerbsbeteiligung. Bei hohen Mietkosten sinkt dieser Betrag auf 348 Euro.“

Es gibt auch weitere Ungereimtheiten. So führt der längere Bezug des Bürgergeldes beispielsweise dazu, dass Alleinstehende mit hohen Mietkosten ihr verfügbares Einkommen bei einer Erhöhung des Bruttoeinkommens von 1.500 auf 2.000 Euro nicht erhöhen können, da dieses Einkommen zu 100 Prozent auf das Bürgergeld angerechnet wird. Grundsätzlich ergibt sich bei höheren Mietkosten für alle Haushaltstypen ein geringerer Lohnabstand.

Besonders problematisch ist, dass sich zusätzliche Erwerbsarbeit häufig nicht auszahlt. Alleinerziehende mit mittleren Mietkosten können ihr verfügbares Einkommen durch Erwerbsbeteiligung um 936 Euro monatlich erhöhen, wenn sie ein Bruttoeinkommen von 2.000 Euro erzielen. Bei einem Alleinstehenden mit mittleren Mietkosten ist dieser Nettoeinkommenszuwachs auf 457 Euro begrenzt. Bei den betrachteten Ehepaaren liegen die Einkommenszuwächse durch den Übergang von Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit zwischen diesen beiden Werten.

Geradezu absurd ist, dass sich eine Erhöhung des Bruttoeinkommens über 2.000 Euro pro Monat für Alleinerziehende mit Transferbezug kaum auszahlt. Bei ihnen führt eine Erhöhung des Bruttoeinkommens von 2.000 auf 3.000 Euro pro Monat bei durchschnittlichen Mietkosten lediglich zu einem Anstieg des verfügbaren Einkommens um 59 Euro. Für Ehepaare mit zwei Kindern und Inanspruchnahme wirkt sich ein Mehrverdienst im Bereich zwischen 3.000 und 5.000 Euro monatlichem Bruttoeinkommen kaum aus – hier beträgt der Anstieg des verfügbaren Einkommens teilweise weniger als 100 Euro. Die Forscher erklären, dies sei ein Effekt der sehr hohen Transferentzugsraten (insbesondere im Zusammenspiel von Wohngeld und Kinderzuschlag).

Wenig überraschend lautet das Fazit der Wissenschaftler angesichts dieses Befunds daher: „Eine Reform des bestehenden Systems halten wir aufgrund der teilweise äußerst geringen Anreize zur Ausweitung bestehender Erwerbstätigkeit oder Erhöhung des Bruttoeinkommens für niedrige und mittlere Einkommen trotz des existierenden Lohnabstands für notwendig.“


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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