Mittwoch, 15. November 2023

BVerfG watscht Ampel ab

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Mit seinem heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) der Ampel eine herbe Niederlage beigebracht. Das Gericht hat entschieden, das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 sei mit Art. 109 Abs. 3, Art. 110 Abs. 2   und Art. 115 Abs. 2 Grundgesetz (GG) unvereinbar und nichtig. Insbesondere Bundesfinanzminister Christian Lindner, dem Gralshüter der Schuldenbremse, sollten die Ohren ob dieser Feststellung klingeln. Überraschend kommt das Ergebnis nicht, hatte doch schon der Bundesrechnungshof selbiges moniert. Für die Ampel ist es gleichwohl eine weitere schmerzende Niederlage in einer inzwischen beängstigenden Serie. Um mal einen Vergleich aus dem Fußball zu benutzen: Die Ampel wandelt auf den Spuren von Union Berlin.

Anlass der Entscheidung ist ein Antrag der 197 Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die sich gegen die rückwirkende Änderung des Haushaltsgesetzes und des Bundeshaushaltsplans 2021 durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 wenden. Der Union geht es dabei um die auch von ihr schon praktizierte Methode, zur Vermeidung von Verstößen gegen die Schuldenbremse, Haushaltsmittel über Sondervermögen zu beschaffen. Dem konkreten Fall liegt eine besondere Spielart dieser Methode zugrunde: die Umdeklarierung der im Bundeshaushalt 2021 als Reaktion auf die Corona-Pandemie vorgesehenen, jedoch im Haushaltsjahr 2021 nicht unmittelbar benötigte Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro in eine Zuführung an den Energie- und Klimafonds (EKF). Die Zuführung erfolgte im Februar 2022 – also rückwirkend – für das abgeschlossene Haushaltsjahr 2021. Der EKF wurde zwischenzeitlich in Klima- und Transformationsfonds (KTF) umbenannt.

Dieser Methode hat das BVerfG nunmehr die Grundlage entzogen. Der Senat stützt seine Entscheidung auf drei, „jeweils für sich tragfähige Gründe“: Erstens habe der Gesetzgeber ● den notwendigen Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen nicht ausreichend dargelegt. Zweitens ● widerspreche die zeitliche Entkoppelung der Feststellung einer Notlage gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom tatsächlichen Einsatz der Kreditermächtigungen den Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit. Die faktisch unbegrenzte Weiternutzung notlagenbedingter Kreditermächtigungen in nachfolgenden Haushaltsjahren ohne Anrechnung auf die Schuldenbremse bei gleichzeitiger Anrechnung als „Schulden“ im Haushaltsjahr 2021 sei unzulässig. Drittens ● verstoße die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 gegen den Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit aus Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG.

Die Folgen seiner Entscheidung hat das BVerfG in seiner Pressemitteilung betont nüchtern dargestellt: „Die Entscheidung hat zur Folge, dass sich der Umfang des KTF um 60 Milliarden Euro reduziert. Soweit hierdurch bereits eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden können, muss der Haushaltsgesetzgeber dies anderweitig kompensieren.“ Im Klartext: Christian Lindner muss sehen, wo er das Geld herholt.

Ohne hier auf Details der 61-seitigen Entscheidung eingehen zu wollen, fassen wir nachfolgend die aus unserer Sicht entscheidenden Gründen anhand der Pressemitteilung des Gerichts zusammen, soweit sie den originären Verstoß gegen die Schuldenbremse betreffen, da diese gerade hohes politisches Konfliktpotenzial innerhalb der Ampel birgt. Bevor also die SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse beschließen, sollten sie vorab zumindest einmal nachlesen, was eigentlich deren Kern ist.

Nach der Schuldenbremse, so das Gericht, seien im Rahmen der Haushaltswirtschaft des Bundes Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Nach Art. 109 Abs. 3 Satz 4, Art. 115 Abs. 2 Satz 2 GG dürften die Einnahmen aus Krediten 0,35 Prozent im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Hinzu trete nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG eine sogenannte „Konjunkturkomponente“, wonach bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch berücksichtigt werden können.

Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG gebe dem Bundestag zwar das Recht, die sich aus Schuldenbremse und Konjunkturkomponente ergebenden Kreditobergrenzen im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, zu überschreiten. Neben den geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 bis 8 GG sei jedoch ein sachlicher Veranlassungszusammenhang zwischen der Naturkatastrophe oder außergewöhnlichen Notsituation und der Überschreitung der Kreditobergrenzen erforderlich. Bei dessen Beurteilung komme dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu. Eine verfassungsgerichtliche Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der notlagenbedingten Kreditaufnahme scheide aus. Allerdings ergäben sich Darlegungslasten des Gesetzgebers, um eine verfassungsrechtliche Überprüfung der Nachvollziehbarkeit und Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Entscheidungen über die Kreditaufnahme zu ermöglichen.

Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 habe die beschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen der Schuldenbremse erfüllt. Der Gesetzgeber habe jedoch den Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den durch die notlagenbedingte Kreditaufnahme finanzierten Maßnahmen zur Krisenbewältigung nicht ausreichend dargelegt. Die Bundesregierung habe hierzu insbesondere auf ihre Absicht, die Förderung der pandemiebedingt geschwächten Wirtschaft mit einem weiteren politischen Anliegen – der Förderung von Klimaschutz, Transformation und Digitalisierung – zu verbinden, verwiesen.

Diese Begründung sei nicht ausreichend tragfähig. Zum Zeitpunkt der Gesetzesberatungen habe die Corona-Pandemie bereits fast zwei Jahre angedauert Je länger das auslösende Krisenereignis in der Vergangenheit liege, je mehr Zeit dem Gesetzgeber deshalb zur Entscheidungsfindung gegeben sei und je mittelbarer die Folgen der ursprünglichen Krisensituation seien, desto stärker werde der Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Haushaltsgesetzgebers eingeengt. Hiermit gehe eine Steigerung der Anforderungen an die Darlegungslast des Gesetzgebers einher. Dies gelte umso mehr, wenn der Gesetzgeber – wie hier – wiederholt innerhalb eines Haushaltsjahres oder innerhalb aufeinander folgender Haushaltsjahre von der Möglichkeit der notlagenbedingten Kreditaufnahme Gebrauch mache.

Eine Evaluation und Einordnung der bisherigen Krisenbewältigungsmaßnahmen finde sich in der Gesetzesbegründung allenfalls im Ansatz. Welche konkreten Maßnahmen der EKF schon aufgrund der ersten Zuweisung ergriffen und welche (messbaren) Folgen diese Maßnahmen hatten, blieb jedoch unerörtert. Es sei deshalb schon unklar, ob durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 letztlich die gleichen Maßnahmen finanziert werden sollten wie mit der ursprünglichen notlagenbedingten Kreditermächtigung im Jahr 2020.

Eine Begründung, weshalb die noch im (ersten) Nachtragshaushaltsgesetz 2021 für erforderlich erachteten Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro zum Ende des Haushaltsjahres 2021 entgegen der ursprünglichen Planung nicht zur Krisenbewältigung verwendet worden seien, habe der Gesetzgeber nicht gegeben.

Die Gesetzesbegründung lasse zudem die notwendige Abgrenzung einer notlagenbedingten Kreditaufnahme aus Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom Anwendungsbereich der erweiterten Kreditaufnahmemöglichkeiten aus Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG wegen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung nicht deutlich werden.

Eine Entkoppelung der notlagenbedingten Kreditermächtigungen von der tatsächlichen Verwendung der Kreditmittel sei mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen in Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG nicht vereinbar. Danach müssten sich Kreditermächtigungen, die in einem bestimmten Haushaltsjahr ausgebracht werden, auf die Deckung von Ausgaben beschränken, die für Maßnahmen zur Notlagenbekämpfung in eben diesem Haushaltsjahr anfallen.

Mit dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 seien dem KTF als unselbständigem Sondervermögen des Bundes kreditfinanzierte Mittel in Höhe von 60 Milliarden Euro zugeführt worden, die sich auf die Berechnung der zulässigen Kreditaufnahme für das Jahr 2021 auswirkten, während die vom Gesetzgeber zur Krisenbewältigung ins Auge gefassten Maßnahmen, deren Finanzierung die Kreditermächtigungen dienen sollten, für kommende Haushaltsjahre geplant seien. Tatsächlich wirksame Verschuldung entstehe für den Bund nach dieser Konzeption vor allem in den kommenden Jahren und voraussichtlich über die dann für das jeweilige Haushaltsjahr geltende verfassungsrechtliche Verschuldungsgrenze hinaus. Dabei würden die jetzt geschaffenen Kreditermächtigungen ohne Anrechnung auf die Verschuldungsgrenze des dann aktuellen Haushaltsjahres nutzbar gemacht, weil die Anrechnung bereits mit der Ermächtigung im Ausnahmejahr 2021, nicht aber mit der späteren Kreditaufnahme selbst erfolgen solle. Dies sei mit dem Grundsatz der Jährigkeit in Verbindung mit dem Grundsatz der Fälligkeit nicht zu vereinbaren.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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