Freitag, 14. Juli 2023

Scheuers Maut-Debakel muss endlich zur Strafbarkeit der Steuerverschwendung führen

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Schon seit Jahren haben wir einen eigenen Straftatbestand der Steuerverschwendung gefordert. Gerade in einem Hochsteuerland wie Deutschland ist es für die Steuermoral der Bürger elementar, nicht nur Steuerhinterziehung mit einem eignen Straftatbestand zu verfolgen, sondern auch die Steuerverschwendung. Schon im August 2014 hatte der damalige Finanzrichter Dr. Michael Balke im Interview mit ‘mi’ deutliche Worte zur Notwendigkeit eines solchen Paragrafen gefunden:

„Ein Gesetzgeber, der Steuerhinterziehung zu Recht bestraft, dagegen Steuerverschwendung zu Unrecht strafrechtlich nicht verfolgt und dazu auch noch Steuervollzahler immer mehr belastet, ohne die vielen nationalen Steueroasen (etwa ‘Steueroase Bundestag’ mit den exorbitant hohen Steuerprivilegien für die Abgeordneten) endlich abzuschaffen, ein solcher Gesetzgeber ist mitverantwortlich für den Verfall der Steuerzahlungssitten. Ich stimme dem Steuerrechtswissenschaftler Professor Dr. Klaus Tipke zu, wenn er (sinngemäß) betont, ein Gesetzgeber ohne Besteuerungsmoral erzeuge bei den Steuerbürgern keine Steuermoral; Originalton Klaus Tipke: Appelle an die Steuermoral der Bürger wirken heuchlerisch, wenn es an besteuerungsmoralischen Vorbildern fehlt."

Balke brachte das Verfehlen dieser Gleichbehandlung auf die prägnante Formel: „Hinterzieher von Steuermillionen sitzen hinter Gittern ihre Strafe ab, während Verschwender von Steuermilliarden weiterhin zu Partys gehen. Dies hat mit Steuer- und Strafgerechtigkeit wenig zu tun.“ Weitere prominente Unterstützer dieser Forderung sind etwa der langjährige Vorsitzende und heutige Ehrenpräsident der bayerischen Mittelstands-Union der CSU, Hans Michelbach, Prof. Dr. Henning Vöpel oder auch der aktuelle Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing.

Michelbach etwa sagte uns 2015 „Steuerverschwendung wird in unserer Gesellschaft immer noch viel zu stark verharmlost. So müssen wir Steuerverschwendung stärker öffentlich ächten als bisher. Bund der Steuerzahler leistet dazu mit dem Schwarzbuch einen wichtigen Beitrag. Hier würde es sicherlich auch helfen, die Steuerverschwendung in Bezug zu anderen Projekten zu setzen, die deshalb bisher nicht verwirklicht werden konnten.“

Das könnte die CSU aktuell beispielsweise im Fall der gescheiterten und maßgeblich von ihr betriebenen Autobahnmaut gerne einmal machen. Allein 243 Millionen Euro muss der Steuerzahler für dieses Projekt an Entschädigung zahlen. Anwalts- und Verfahrenskosten sind da noch gar nicht mitgerechnet.

Prof. Dr. Henning Vöpel betonte im Interview mit ‘mi’, allzu oft ende „die Verantwortung der Politik und Politiker für ihre Taten mit Ablauf der Legislaturperiode. Das setzt natürlich massive Fehlanreize und verzerrt politisches Handeln grundsätzlich zugunsten kurzfristiger und intransparenter Entscheidungen.“ Gerade das Beispiel der gescheiterten Autobahnmaut zeigt dies auf drastische Weise.

Und Volker Wissing, der jetzt eine Haftung Andreas Scheuers prüfen lässt, die, da halten wir jede Wette, unter dem bestehenden System nicht zum Tragen kommen wird, hatte uns 2015 als damaliger Spitzenkandidat der FDP für die rheinland-pfälzische Landtagswahl gesagt, „wer fahrlässig öffentliche Gelder verschwendet, sollte künftig dafür persönlich haften. Dieses einfache Prinzip gilt auch für alle Bürgerinnen und Bürger. Wenn Politiker kein Haftungsrisiko haben, neigen sie zur Fahrlässigkeit.“

Hätte die FDP dieses Thema vorangebracht, sähe es für Scheuer heute bitter aus. So aber wird es am Ende als Konsequenz dabei bleiben, dass er sich das Ergebnis seines dilettantischen Handelns „zu Herzen nimmt“. Die Ampel hätte in dieser Legislaturperiode die einmalige Chance, einmal eine ganz andere Duftmarke zu setzen und endlich einen Straftatbestand der Steuerverschwendung einzuführen. Sie braucht dabei nicht einmal bei null anzufangen. Schon 2016 hatte die FDP in Niedersachsen einen entsprechenden Entschließungsantrag „Für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Steuergeld“ in den Niedersächsischen Landtag eingebracht. Der amtierende Bundesjustizminister kommt bekanntlich aus der gleichen Partei.

Nachtrag vom 1. August 2023: Rechtsanwalt Dr. Patrick Heinemann analysiert in einem Beitrag der Legal Tribune Online (LTO) vom 19. Juli 2023, ob Aussicht bestehe, seitens des Staates (und damit der Steuerzahler) Scheuer in Haftung zu nehmen. Er verneint dies mit weitgehend überzeugender Begründung und bestätigt damit unsere Forderung, einen Straftatbestand der Verschwendung der Steuergelder zu schaffen. Heinemann ist allerdings gegen die Einführung einer Haftung für derartige „Betriebsunfälle“. Er begründet dies damit, „die mit einer ministerialen Regresshaftung einhergehende Beeinträchtigung der Entscheidungsfreude der politischen Führung könnte unter dem Strich sehr viel schädlicher sein“.

Das Argument benutzen fast alle, die sich gegen die Strafbarkeit der Steuerverschwendung aussprechen. Richtiger wird es dadurch aber nicht. Denn Scheuers Entscheidung hatte wenig mit Entscheidungsfreude, aber viel mit Lust auf persönliche und parteipolitische Profilierung zu tun. Die ist nicht schützenswert, wird aber unter dem geltenden Recht geschützt.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (2)

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#1 Rechtsanwalt/Finanzrichter a.D. Dr.
von Michael Balke, 14.07.2023 12:05

<p>Dr. Schweizer-Nürnberg hat Recht: die Schaffung des Straftatbestandes der Steuerverschwendung ist überfällig. Die Argumente dafür liegen auf dem Tisch; Dr. Schweizer-Nürnberg erinnert erneut daran. Gut so. Die (bisher straflose) Steuerverschwendung ist sogar noch ein Stück schlimmer als die (strafbare) Steuerhinterziehung, weil diese ausschließlich fremdes (nicht eigenes) Vermögen betrifft.</p>
#2 Leserkommentar
von Gregor Kuntze-Kaufhold, 01.08.2023 14:09

Ein bewährter Grundsatz lautet zu überprüfen, ob es empfindliche Strafbarkeitslücken gibt, bevor man neue Straftatbestände einführt. Eine fahrlässige Steuerverschwendung unter Strafe zu stellen, ginge für meine Begriffe zu weit. Ich meine, ein bisschen Irrtum muss bleiben dürfen, auch im politischen Raum. Was aber ist eine vorsätzliche Steuerverschwendung anderes als - bereits heute strafbare - Untreue?

In diesem Zusammenhang kommen mir ein paar Fragen, wenn ich den Abschlussbericht des Maut-Untersuchungsausschusses vom 10.6.2021 zur Hand nehme (https://dserver.bundestag.de/btd/19/305/1930500.pdf). Im besonders lesenswerten Sondervotum der Fraktionen FDP (!), Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen heißt es zu Beginn (S. 498): "Die Umsetzung der Pkw-Maut stellt auch in der skandalreichen Geschichte der CSU eine Besonderheit dar. Nach der Vernehmung von 72 Zeugen und Sachverständigen in 24 Beweisaufnahmen bleibt man fassungslos zurück und blickt in einen politischen Abgrund von Ignoranz, Verantwortungslosigkeit, Bedenkenlosigkeit und Rechtsbruch – verbunden mit einem Erschrecken über mangelhaftes Regierungshandwerk." Einige Zeilen später wurden die Parlamentarier noch deutlicher: "Der Prozess der Umsetzung ist gekennzeichnet von fehlender Verantwortung und dem gezielten Umgehen rechtlicher Vorschriften und gesetzlicher Vorgaben. Dabei war die Grenze zwischen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit fließend."

Nun waren die Ausschussmitglieder nah an den Beteiligten und den Geschehnissen dran. Sie hatten auch nicht nur den damaligen Minister im Blick, sondern obendrein (dysfunktional) leitende Beamte. Jetzt zu meinen Fragen:

1. Auf welcher Grundlage lehnte es die Staatsanwaltschaft Berlin im Jahr 2019 ab, Ermittlungsverfahren wegen Untreue im Zusammenhang mit dem Maut-Skandal abzulehnen? Könnte es sein, dass diese Entscheidung vorschnell war? Diesbezüglich vermisse ich jede Argumentation im LTO-Artikel.

2. Wie erklärt sich die Aussage von Bundesverkehrsminister Volker Wissing am 31. Juli 2023, der laut Tagesschau sagte: "Wir lassen ein externes Gutachten erstellen, um Rechtsfragen zu klären. Das ist letztlich keine politische Frage, sondern es ist eine rechtliche Frage. Dazu muss das Maß der Fahrlässigkeit untersucht werden."? Als Jurist ist Wissing klar, dass die Rechtsprechung von vorsätzlichem Handeln ausgeht, wenn jemand weiß, dass sein Handeln Schaden hervorrufen kann und er sich mit dieser Möglichkeit abfindet. Weshalb also ist der Gutachtensauftrag von vorne herein auf fahrlässiges Handeln beschränkt? Wird damit das Ergebnis nicht vorweggenommen?

3. Wie soll man Bürgermeistern landauf landab erklären, dass formale Fehler, die sie bei der Ausgabenverwaltung begehen, auch wenn sie nicht einmal eine vierstellige Höhe erreichen, zu einer Strafverfolgung wegen Untreue führen können, während es Staatssekretäre und Minister nicht einmal für nötig halten, eine Ausstiegsklausel zu taxieren, bei der es, wie sie im Nachhinein bemerken, um einen dreistelligen Millionenbetrag geht?

Antworten habe ich auf diese Fragen nicht wirklich. Aber eine Vermutung: Mit der Einführung eines neuen Straftatbestandes der Steuerverschwendung - egal ob fahrlässig oder vorsätzlich begangen - wird die politische Verantwortung nicht automatisch gestärkt.

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