Dienstag, 20. Juni 2023

Wüsts subtiler Griff nach der Kanzlerkandidatur der Union

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„Eine moderne Volkspartei entspringt der und adressiert die politische Mitte. Nach diesem Leitmotiv haben Helmut Kohl und Angela Merkel das Land und unsere Partei geführt. Wir sollten auch in Zukunft der Stabilitätsanker der Mitte sein. Die Schönheit der reinen Lehre sollen andere genießen. Wir machen pragmatische Politik, um die Probleme der Zeit anzugehen. Wer nur die billigen Punkte macht und den Populisten hinterherrennt, der legt die Axt an die eigenen Wurzeln und stürzt sich selbst ins Chaos.“ Diese Zeilen stammen von Hendrik Wüst, dem Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen und Landesvorsitzenden der dortigen CDU. Erschienen sind sie am 15. Juni in Onlineportal der FAZ. Überschrieben ist der Beitrag mit dem Bekenntnis: „Das Herz der CDU schlägt in der Mitte“.

Man geht wohl nicht falsch in der Annahme, dass dies alles keine Zufälle waren. Denn just am 16. Juni tagte der CDU-Bundesausschuss und am 17. Juni veranstaltete die CDU einen Grundsatzkonvent, auf dem es um das neue Grundsatzprogramm der CDU ging. Beides wäre eigentlich die Bühne für Friedrich Merz gewesen, Punkte als Vorsitzender der CDU zu machen und ungesagt seine Ansprüche auf die Kanzlerkandidatur zu untermauern. Aus Wüsts Sicht schien es offenbar geboten, vorab schon einmal eine Positionierung der CDU vorzunehmen, die Merz nicht unbedingt in dessen Karten spielt, ohne dass dessen Name in dem umfangreichen Beitrag auch nur einmal auftauchen würde. Dem Vernehmen nach war Merz nicht auf diesen Namensartikel vorbereitet.

Merz revanchierte sich dann auf seine Art, indem er in der ZDF-Sendung ‘Berlin Direkt’ am 18. Juni betonte, es sei derzeit zu früh für Personalentscheidungen, garniert mit dem Hinweis, es herrsche große Verunsicherung in ganz Deutschland, „übrigens auch in Nordrhein-Westfalen“. Die Unzufriedenheit mit den Landesregierungen sei fast so groß wie die mit der Bundesregierung. Adressat dieses Hinweises. Hendrik Wüst. Allerdings verfängt dieser Hinweis insoweit nicht, als gerade erst am 17. Juni die Ergebnisse des aktuellen ‘NRW-Checks’ veröffentlicht wurden, den das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag von 39 Zeitungen in NRW erhebt. Und danach hat die CDU in NRW in der Gunst der Wähler gegenüber der letzten Landtagswahl um 1,3 Prozentpunkte auf 37 Prozent zugelegt. Wüst selbst erreicht mit einem Zufriedenheitswert von 50 Prozent den höchsten persönlichen Zufriedenheitswert seit Beginn der Befragungen Ende 2021. Bei den Befragten wollen doppelt so viele lieber Wüst als Merz als Kanzlerkandidat der Union.

So sehr sich Merz mühen wird, diese Diskussion wird er so schnell nicht mehr los. Was weiland Markus Söder für Armin Laschet war, könnte zukünftig Hendrik Wüst für Friedrich Merz werden: der größte Gegner für die eigenen Ambitionen. Allerdings wird Wüst wohl nicht schon am Ziel sein, sollte er Merz die Position als Kanzlerkandidat erfolgreich streitig machen. Denn dann dürfte wahrscheinlich auch Markus Söder noch einmal ein Wörtchen mitreden wollen, der gestern großherzig wiederholte, selbst keine Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur zu haben, und Merz beim Zeitplan unterstützte: Frühestens nach der Europawahl im Juni kommenden Jahres könne man mit den Diskussionen über den richtigen Kandidaten beginnen. Doch auch Söder weiß, sie haben längst begonnen und seine Zeit kommt wie bei Laschet ziemlich am Ende des langen Rennens.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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