Dienstag, 20. Juni 2023

TUM München sieht im Mittelstand Trainingsbedarf für den digitalen Muskel

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Mittelständische Unternehmen in der Region Heilbronn-Franken haben laut dem aktuellen ‘Fortschrittsbarometer Digitale Transformation Mittelstand’, das die Technische Universität München (TUM) am Campus Heilbronn erstmals vorlegt hat, Nachholbedarf bei der Digitalisierung. Zwar würden Nutzen und Notwendigkeit des Wandels von einer deutlichen Mehrzahl der befragten Entscheider erkannt. Doch nur 38 Prozent besäßen nach eigener Aussage eine definierte Digitalisierungsstrategie. Künftig soll die Entwicklung der Digitalisierungsstrategie auf Jahresbasis anhand des Fortschrittbarometers dokumentiert und Handlungsempfehlungen daraus abgeleitet werden, teilt die Universität mit.

Materialflüsse präzise zu erfassen, Produkte zu individualisieren – oder Kundenwünsche schneller  zu erkennen als die Konkurrenz, dies alles mache digitale Technik möglich. Doch die meisten Unternehmen in der Region Heilbronn-Franken täten sich schwer, über eine strategisch verankerte Digitalisierung ihr Geschäft anzukurbeln. „Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern eine Methodenlücke“, sagt dazu Jens Förderer, Professor für Innovation & Digitalisierung am TUM Campus Heilbronn, mit Blick auf die Premiere seiner Untersuchung. Die Studie basiert auf Antworten von 373 mittelständischen Unternehmen, die den Querschnitt der Wirtschaft vor Ort spiegeln. Ergänzt wird sie durch qualitative Tiefeninterviews mit ausgesuchten Unternehmen.

Nur gut ein Drittel der Unternehmen (38 Prozent) verfüge derzeit über eine Digitalisierungsstrategie – und mehr als die Hälfte wolle nach eigener Auskunft auch in Zukunft keine definieren. Bei den Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten ändere sich das Bild. Zwei Drittel der größeren Firmen nähmen sich des Themas strategisch an. Dabei werde ● die Verantwortung von mehr als 70 Prozent in der Geschäftsleitung verortet. Mit dieser Aufgabe haben nur ● rund 14 Prozent ihre Fachbereiche federführend betraut, in lediglich ● 10 Prozent der Fälle kümmert sich vor allem die IT-Abteilung darum. „Erfolg ist auch eine Frage des Zusammenspiels im Unternehmen“, sagt Förderer. „Auch wenn es gut klingt, etwas zur Chefsache zu machen: Unternehmen sind gut beraten, ihre IT-Abteilung nicht auf die Rolle des Umsetzers zu beschränken, sondern das umfassende Wissen der Fachleute früh einzubinden.“

Noch werde Digitalisierung häufig als Pflichtaufgabe begriffen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, betont Förderer mit Blick auf das Barometer: „Wenn überhaupt digitalisiert wird, zielt knapp die Hälfte der Unternehmen heute auf Kostenreduktion oder Prozessverbesserungen. Dagegen haben erst ein Viertel der Unternehmen umsatzsteigernde Initiativen wie das Erschließen neuer Geschäftsfelder im Blick.“ Doch die Untersuchung lasse ein Umdenken erkennen, das sich bei der nächsten Auflage des Fortschrittsbarometers im kommenden Jahr manifestieren dürfte: Gefragt nach einer Zwei-Jahres-Perspektive, seien die Ziele Kostenreduktion und Umsatzsteigerung praktisch gleich stark priorisiert worden. „Die Studie zeigt, dass die hiesigen Unternehmen sehr bedacht und kostenbewusst vorgehen. Doch bei allem Effizienzstreben dürfen die Chancen der digitalen Transformation für das Neugeschäft nicht unterschätzt werden“, kommentiert Förderer dieses Ergebnis.

Gefragt nach Erfolgsfaktoren, nennen ● 87 Prozent die Rückendeckung der Unternehmensleitung an oberster Stelle. Die ● Einbindung der Beschäftigten (65 %), ● klare Ziele (64 %) und eine ● systematische Überführung von Pilotprojekten (54 %) werden ebenfalls als bedeutend erachtet. Überraschend aus Sicht der TUM-Experten ist hingegen, dass ● das Messen von Zielgrößen (36 %) und das ● Einbinden externer Kompetenzen (36 %) nur von einem guten Drittel der Verantwortlichen als erfolgskritisch betrachtet wird. „Durch fehlende Messbarkeit sinkt die Durchsetzungskraft, es mangelt zudem an Planungssicherheit und Argumenten für die Nachfinanzierung“, stellt Förderer fest. „Kräfte zu bündeln und externe Berater einzubinden, bringt in der Praxis Vorteile. Unternehmen sollten also hinterfragen, ob sie eine Transformation tatsächlich allein in die Hand nehmen wollen.“

Gefragt nach Bremsklötzen, blicken die Unternehmen auch nach innen. Die als digitale Vorreiter identifizierten Firmen beklagen bei sich selbst vor allem ● fehlende Mitarbeiterkompetenzen (28 Prozent) und ● finanzielle Hemmnisse (25 Prozent). Die meisten Digitalisierungs-Vorreiter beklagen den ● Fachkräftemangel (60 Prozent). Auch ● Bürokratie (57 Prozent) ● schlechte digitale Infrastruktur (56 Prozent) und ●rechtliche Rahmenbedingungen (48 Prozent) werden häufig kritisiert

Über die Studie: Für das ‘Fortschrittsbarometer Digitale Transformation Mittelstand 2023’ wurden im Jahr 2022 von der TUM am Campus Heilbronn 5.000 zufällig ausgewählte Mitgliedsunternehmen der IHK Heilbronn-Franken kontaktiert und auf Geschäftsführungsebene dazu befragt, ob und wie sie ihre digitale Transformation steuern. 373 antwortende Unternehmen bildeten die Stichprobe, darunter waren 54 Prozent mit bis zu neun Mitarbeitern, weitere 28 Prozent hatten bis zu 49 Mitarbeiter, weitere 12 Prozent bis zu 249 Mitarbeiter, 6 Prozent mehr als 250 Mitarbeiter. 82 Prozent der Unternehmen sind inhabergeführt. 42 Prozent der Unternehmen in der Stichprobe sind im Dienstleistungsbereich tätig, 21 Prozent in Groß- und Einzelhandel, knapp 37 Prozent im produzierenden Gewerbe. Diese Merkmale entsprechen weitgehend der Grundgesamtheit der Unternehmen im betrachteten Kammerbezirk. Das TUM-Fortschrittsbarometer wird die Veränderungen auf Jahresbasis fortschreiben, um Lerneffekte für den Mittelstand in der Region und darüber hinaus zu schaffen.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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