Freitag, 09. Juni 2023

Ehlert: „Wir brauchen Konstanz und Konsistenz der Klimapolitik – mit Technologieoffenheit und marktwirtschaftlichen Lösungen“

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Andreas Ehlert, Präsident von HANDWERK.NRW, hat diese Woche angemahnt, sowohl die Politik als auch die Wirtschaft müssten sich bei der Klimapolitik an tragfähigen ordnungspolitischen Prämissen und am Machbaren orientieren. „Der feste und planbare Industriestrompreis, nach dem derzeit viele rufen, ist ein großer Selbstbetrug“ ist eine seiner Kernforderungen. Wir haben bei ihm nachgefragt, was dies für die Wirtschaft insgesamt bedeuten könnte.

Mi:     Herr Ehlert, Sie haben massiv die Pläne zu einem garantierten Industriestrompreis kritisiert. Grundsätzlich ist zwar nachvollziehbar, eine derart kostspielige Subventionierung kritisch zu sehen, aber Hand aufs Herz: Wie soll ein Abwandern der energieintensiven Industrie ins Ausland ansonsten verhindert werden, unter der auch das Handwerk leiden würde? Ihre Ratschläge, mehr Energie zu produzieren, die Abgaben auf den Strompreis zu senken und alle Verbraucher zu entlasten, werden dies im Ergebnis kaum verhindern können. Die bisherige Praxis zeigt gerade, wie schwierig und bisher unergiebig dies ist.

Ehlert„Eine verlässliche Energieversorgung wird Grundlage für Standortentscheidungen sein. Dazu leistet ein Höchstpreis für industrielle Verbraucher überhaupt keinen Beitrag. Er kann das Missverhältnis von Energiebedarf und Energieproduktion sogar noch verschärfen. Und niemand kann sich darauf verlassen, dass eine solche massive Subventionierung über Jahre und Jahrzehnte durchgehalten werden kann. Der feste Industriestrompreis ist ein ungeeignetes Mittel zur Standortsicherung – ganz abgesehen von dem Problem, dass der nicht-industrielle Mittelstand und private Verbraucher durch ihn massiv benachteiligt würden.“

Mi:     Noch einmal nachgefragt: Erwarten Sie, dass es ohne einen subventionierten Industriestrompreis trotzdem nicht zu Abwanderungen energieintensiver Betriebe kommt oder wären diese dann aus Ihrer Sicht als geringeres Übel hinzunehmen?

Ehlert„Die Frage legt nahe, dass die Verlagerung energieintensiver Produktion durch eine Subventionierung von Industriestrom verhindert werden könnte. Ich bezweifle aber, dass das ein geeignetes Mittel ist, solche langfristigen Standortverlagerungen aufzuhalten. Solche Entscheidungen brauchen ein viel festeres Fundament. Das wird alles nur furchtbar teuer, und der nichtindustrielle Mittelstand, der durch die Industriesubventionierung benachteiligt wird, kann nicht abwandern, sondern wird still und leise schließen. Eine Lebensmittelfabrik steht ja nicht nur im internationalen Wettbewerb, sondern auch mit dem Handwerksbäcker von nebenan. Ihm gräbt man mit den Subventionen für die Industrie das Wasser ab.“

Mi:     Sie haben sich auch deutlich gegen die aktuellen Überlegungen zur kommunalen Wärmeplanung ausgesprochen. Anschluss- und Benutzungszwänge seien Angriffe auf die Wahlfreiheit der Verbraucher. Auch dem wird man im Ansatz kaum widersprechen können. Allerdings ist auch hier absehbar, dass eine Wärmewende allein mit dem Slogan der Technologieoffenheit kaum funktionieren wird. Wäre nicht ein Mix aus beidem der bessere Weg?

Ehlert„Keine Frage, Fernwärme kann einen Beitrag zur Wärmewende leisten, wenn sie tatsächlich klimaneutral erfolgt. Das Ziel der Klimaneutralität ist zwar formuliert, aber ob das bis 2045 tatsächlich gelingt, ist völlig offen. Dazu muss massiv in die Energieproduktion und in die Leitungsinfrastrukturen investiert werden. Ich habe Zweifel, ob das wirklich gelingt.

Fernwärme darf dezentrale Lösungen nicht verdrängen, die auf dem Weg zur Klimaneutralität weiterhelfen. Anschluss- und Benutzungszwänge bei der Ausweitung der Fernwärme würden uns auf Jahrzehnte auf eine Technologie festlegen und andere Technologiepfade ausschließen. Meine These ist: Wir überblicken heute noch gar nicht die Technologien, die uns in ein oder zwei Generationen klimaneutrales Wirtschaften ermöglichen. Genau deshalb brauchen wir einen Mix der Lösungen und Offenheit für die Zukunft.“

Mi:     Schließlich haben Sie moniert, die „hektischen und kleinteiligen Ansätze der Politik“ schürten ein Misstrauen und Verunsicherung bei Bürgern und Unternehmen. Dass dies inzwischen eingetreten ist, lässt sich kaum bestreiten. Allerdings tragen dazu auch die Marktteilnehmer bei, die jeweils ganz unterschiedliche Handlungsweisen präferieren – von politischen Konkurrenten mal ganz abgesehen. Wäre es nicht hilfreich, wenn sich alle Vertreter der deutschen Wirtschaft auf ein Grundsatzpapier einigen könnten, wie die Energiepolitik aktuell in etwas sicherere Fahrwasser gebracht werden kann, als sich quasi gegenseitig bei der Regierung „anzuschwärzen“?

Ehlert„Ich würde das sehr begrüßen! Ein solcher Konsens kann nur darin bestehen, dass wir uns auf das Machbare konzentrieren, dass wir vorurteilsfrei die Potenziale verschiedener Energie- und Wärmelösungen betrachten und dass wir die Konsequenzen bestimmter Entscheidungen zu Ende denken. Eine tragfähige Strategie sollte deshalb mehr auf eine Bepreisung von CO2-Verbrauch setzen und weniger dirigistisch fördern und verbieten. Und man sollte nicht diejenigen subventionieren, die am lautesten rufen.“

Mi:     Werden Sie innerhalb der Handwerksorganisation dafür werben, seitens des Handwerks einen solchen Prozess voranzutreiben?

Ehlert„Wir verstehen uns im Handwerk als Antreiber der Energiewende. Ganz viele Gewerke sind da unmittelbar im Einsatz, und viele Betriebe schauen auch, wie sie selbst effizienter und ressourcenschonender arbeiten können. Wir im Handwerk haben die Umsetzungskompetenz. Und wir kriegen als erste mit, wie viel Verunsicherung und Verzweiflung derzeit bei den Kunden herrscht. Wir sind uns im Handwerk einig: Wir brauchen Konstanz und Konsistenz der Klimapolitik – mit Technologieoffenheit und marktwirtschaftlichen Lösungen, damit wir die Klimaneutralität möglichst schnell und effizient erreichen, ohne unseren Wohlstand zu gefährden. Wir bieten jedem die Hand, der mit uns diese Generationenaufgabe anpacken will.“


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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