Mittwoch, 17. Mai 2023

BGH lehnt staatliche Entschädigung für ersten Corona-Lockdown erneut ab

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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in einer noch unveröffentlichten Entscheidung vom 11. Mai, über die Frage entschieden, „ob der Staat für Einnahmeausfälle haftet, die durch die vorübergehende landesweite Schließung von Frisörbetrieben im Frühjahr 2020 im Rahmen der Bekämpfung des SARS-CoV-2-Virus entstanden sind (>>erster Lockdown<<)“. Wer die bisherige Rechtsprechung des BGH verfolgt hat, kann nicht mehr überrascht sein, dass er die Frage erneut verneint hat.

In dem konkreten Fall geht es um eine selbständig tätige Frisörin, die einen Frisörsalon in gemieteten Räumlichkeiten betreibt. Durch Verordnungen vom 17. und 20. März 2020 untersagte das beklagte Land Baden-Württemberg vorübergehend den Betrieb zahlreicher Einrichtungen. Der Betrieb der Klägerin musste daher im Zeitraum vom 23. März bis zum 4. Mai 2020 schließen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Die Klägerin war auch nicht ansteckungsverdächtig. Sie erhielt zwar 9.000 € Soforthilfe, muss sie allerdings zurückzahlen.

Sie verlangt deshalb vom Land eine Entschädigung in Höhe von 8.000 Euro für die mit der Betriebsschließung verbundenen erheblichen finanziellen Einbußen (Verdienstausfall, Betriebsausgaben). Die Maßnahme sei aus ihrer Sicht zum Schutz der Allgemeinheit nicht erforderlich gewesen.

Das Landgericht Heilbronn und das Oberlandesgericht Stuttgart haben ihre Klage abgewiesen. Der III. Zivilsenat hat jetzt abschließend auch die dagegen gerichtet Revision zurückgewiesen. Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine flächendeckende, rechtmäßig angeordnete Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, stehen nach seiner Auffassung weder nach den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes noch nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht oder kraft Richterrechts Entschädigungsansprüche zu.

Die sechswöchige Betriebsuntersagung für Frisöre sei verhältnismäßig gewesen. Die landesrechtlichen Regelungen hätten das Ziel verfolgt, „die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und die durch die Corona-Pandemie hervorgerufenen Gefahren, insbesondere auch die der Überlastung des Gesundheitssystems, zu bekämpfen. Damit erfüllte der Staat seine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bürger und verfolgte mithin einen legitimen Zweck.“ Das Gewicht des Eingriffs in die Grundrechtspositionen der Berufsfreiheit und des Eigentums seien durch die verschiedenen und umfangreichen staatlichen Hilfsmaßnahmen für die von der Betriebsuntersagung betroffenen Unternehmen entscheidend relativiert worden.

Allein die ‘Soforthilfe Corona’, die ab dem 25. März 2020 zur Verfügung gestanden habe, und für Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigen bis zu 9.000 Euro betragen konnte, habe in Baden-Württemberg zu 245.000 Bewilligungen mit einem Gesamtvolumen von 2,1 Milliarden Euro geführt. Der Verordnungsgeber hätte zudem von Anfang an eine „Ausstiegs-Strategie“ im Blick gehabt und ein schrittweises „Öffnungskonzept“ verfolgt.

Die zuletzt erwähnten Erwägungen sind vergleichsweise überraschend. Denn die zitierte Soforthilfe ist in der Praxis vielfach zurückgefordert worden, wie der BGH für den konkreten Fall selbst feststellt. Und das „Öffnungskonzept“ ist, wenn überhaupt, in Baden-Württemberg reichlich spät erkennbar gewesen. Gleichwohl wird man vermuten müssen, dass auch das Bundesverfassungsgericht, sollte es mit diesem Fall noch beschäftigt werden, dies kaum anders entscheiden wird.

Der BGH führt weiter aus, der Umstand, dass die infektionsschutzrechtlichen Betriebsuntersagungen aus dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 nach dem geltenden Recht (§  32 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 56, 65 IfSG) keine Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche begründe, sei „auch im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden“. Der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, „für Belastungen, wie sie für die Klägerin mit der in den Betriebsuntersagungen liegenden Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG einhergingen, Ausgleichsansprüche zu regeln“. Eine Betriebsschließung von sechs Wochen sei angesichts der gesamten wirtschaftlichen, sozialen und sonstigen Auswirkungen der Pandemie und unter Berücksichtigung des grundsätzlich von der Klägerin zu tragenden Unternehmerrisikos nicht unzumutbar. Die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates sei begrenzt. Dementsprechend müsse der Staat in Pandemiezeiten sich gegebenenfalls auf seine Kardinalpflichten zum Schutz der Bevölkerung beschränken.

Man kann den Kern des Urteils wohl so zusammenfassen: Weil Entschädigungsansprüche die Finanzkraft des Staates massiv belasten würden, darf es sie nicht geben. Im Grundsatz kann man durchaus nachvollziehen, dass nicht jede Beeinträchtigung, die zum Zeitpunkt der Entscheidung wegen höherrangiger Besorgnisse getroffen wird, nach später besserer Erkenntnis entschädigt werden muss. Es kommt halt auf die Zwischentöne an. Insofern mag die Betonung des „ersten Lockdowns“ da ein vager Hoffnungsschimmer für Fälle aus dem zweiten Lockdown sein.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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