Dienstag, 06. Dezember 2022

Transparenzregister setzt EuGH-Urteil eigenmächtig um: Keine Einsicht mehr für jedermann

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Manchmal geht es schnell: Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) trat am 22. November 2022 dem EU-Gesetzgeber auf die Füße, indem er die Geldwäscherichtlinie 2018/843 für teilweise ungültig erklärte. Die Richtlinie sah vor, dass Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer, die von Unternehmen an nationale Register weitergegeben werden, für jedermann zugänglich gemacht werden. Noch am gleichen Tag reagierte das für Meldungen in Deutschland zuständige Transparenzregister und setzte die Einsichtnahme für jedermann aus.

Was ist davon zu halten? Kurz gesagt, sind ein Lob und zwei Schelten zu verteilen. Zunächst ist es lobenswert, dass der EuGH an eine einfache Wahrheit erinnert: Auch Unternehmer sind Menschen, deren Privatsphäre Schutz verdient. Daraus folgt aber schon die erste Kritik: Dass dieser Umstand überhaupt betont werden musste, ist blamabel für die EU-Kommission und das Europäische Parlament. Zwar waren in der Geldwäscherichtlinie von 2018 Ausnahmen von der Offenlegung der wirtschaftlich Berechtigten vorgesehen. Die gingen dem EuGH aber nicht weit genug. Das war kein Wunder: Die Voraussetzungen waren schwammig – es mussten „außergewöhnliche Umstände“ oder ein „unverhältnismäßiges Risiko“ vorliegen, ohne dass in der Richtlinie definiert wurde, was das heißen sollte. Außerdem war es den Mitgliedstaaten freigestellt, ob sie von den Ausnahmen Gebrauch machten oder nicht.

Nach der Richtlinie durften sogar weitere als die Mindest-Informationen jedermann zugänglich gemacht werden. In Luxemburg – wer hätte das gedacht? – war die Richtlinie besonders scharf umgesetzt worden, ohne weitergehende Leitplanken zum Schutz der von einer Offenlegung Betroffenen. Der EuGH folgte den Bedenken des Tribunal d'arrondissement de Luxembourg, das Zweifel angemeldet hatte, ob diese Rechtslage mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar sei. Ist sie nicht, urteilte der EuGH. Die Klägerin, eine luxemburgische Immobiliengesellschaft, wird das freuen. Ihr Geschäftsführer und wirtschaftlicher Eigentümer hatte vorgetragen, er müsse häufig in Länder mit politisch instabilen Regimen reisen, die einer erhöhten Kriminalität ausgesetzt seien, so dass die Offenlegung seiner Eigentümerstellung für ihn ein erhebliches Risiko von Entführung und Freiheitsberaubung mit sich bringe.

Was aber folgt aus der EuGH-Entscheidung? Die Offenlegungsregister haben ein doppeltes Problem: Das europäische Recht liefert ihnen keine Anhaltspunkte mehr für die Einschätzung, ab wann ein Risiko als „unverhältnismäßig“ zu gelten hat und die Einträge deshalb für die Öffentlichkeit gesperrt werden müssten. Gleichwohl bleiben die nationalen Umsetzungsgesetze für sie verbindlich. Bis zur Anpassung dieser Gesetze wird einiges Wasser den Rhein hinab fließen. Paradoxerweise hat die Antwort des EuGH die Rechtsfragen des Luxemburger Bezirksgerichts nicht gelöst, sondern verschärft. Einen kleinen Trost gibt es für die wackeren Luxemburger Richter: Derzeit können die Fragen offen bleiben. Das Luxemburger Transparenzregister (RBE) hat den Zugang zu Abfragen vorläufig ausgesetzt.

In Deutschland wurde die Geldwäscherichtlinie 2018/843 in den §§ 18 ff des Geldwäschegesetzes (GwG) umgesetzt. Die schwammigen Ausnahmebestimmungen ließ der deutsche Gesetzgeber weg. Stattdessen wählte er eine praktisch justiziable Abwägungsbestimmung, die dem Schutz der Privatsphäre den Platz einräumt, den sie verdient. Kein deutsches Gericht hätte sich verbiegen müssen, um der Immobiliengesellschaft im EuGH-Ausgangsverfahren das Recht auf Beschränkung des Zugangs zu gewähren – ein Blick auf § 23 GwG hätte genügt. Und hier komme ich zum zweiten Kritikpunkt: Das deutsche Transparenzregister hat entschieden, die Einsichtnahme für jedermann auszusetzen. Die Reaktion erfolgte, wie oben beschrieben, unverzüglich. Juristisch betrachtet war sie vorschnell. Aber heißt das, das Transparenzregister hat plötzlich Skrupel an seinem Auftrag bekommen? Eher nein. Auch wenn es profan klingt: Das Verhalten dürfte mit dem Wunsch nach Arbeitserleichterung zu erklären sein. Offenbar hatte man die Sorge, sich einer Vielzahl von Anträgen auf Beschränkung der Einsichtnahme ausgesetzt zu sehen. Möglicherweise wollten sich die Verantwortlichen auch nicht nachsagen lassen, in Köln reagiere man langsamer als in Luxemburg.

Das Vorpreschen des Transparenzregisters ist dennoch bedenklich. Es gilt nun einmal die Gesetzesbindung der Verwaltung. Und im GwG steht nichts von der Möglichkeit einer Aussetzung des Rechts der Einsichtnahme für jedermann. Ist das ein Eingriff in die Gewaltenteilung? Formal gesehen, nein. Das Transparenzregister wird vom Bundesanzeiger, einem privaten Unternehmen, als Beliehener geführt. Allerdings unter behördlicher Aufsicht. Schreiten weder das Bundesverwaltungsamt noch das Bundesministerium für Finanzen ein, wenn der Beliehene Spielräume nutzt, die gesetzlich nicht vorgesehen sind, kommt dies einem Eingriff in die Gewaltenteilung gleich. Der Eingriff ist auch nicht trivial. In der schwierigen aktuellen geopolitischen Lage hat das Anliegen, verbotene finanzielle Transaktionen durch Transparenz zu verhindern oder aufzudecken, eine besondere Bedeutung. Das Einsichtsrecht für Jedermann fördert dieses Anliegen. Solange das Ziel nicht verabsolutiert wird und Ausnahmen in berechtigten Fällen möglich sind und praktisch umgesetzt werden, ist die öffentliche Einsichtnahme legitim. Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil des EuGH.

Gangbar wäre ein anderer Weg gewesen: Das Transparenzregister hätte aus Gründen äußerster Vorsicht etwaigen Anträgen auf Beschränkung des Zugangs vorläufig pauschal stattgeben können. Auch das wäre eine Ausdehnung des Buchstabens des Gesetzes gewesen. Aber keine Überdehnung.

Ist das nicht zu viel Skepsis gegenüber einem Ergebnis, das rein persönlichkeitsrechtlich einen Fortschritt darstellt? Ich meine, nein. Denn wenn ein Verfahren nicht valide ist, besteht die Gefahr des Rückfalls. Das ist wie beim Laufen. Wer nicht auf sein Gleichgewicht achtet, droht hinzufallen.

Gregor Kuntze-Kaufhold ist Justiziar der markt intern-Verlag GmbH


Verfasst von: markt-intern Verlag | Kommentare (0)

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