Mittwoch, 02. Februar 2022

BGH stützt (nicht nur) COR Sitzmöbel: Markenvertrieb mit klarer Kante ist zulässig!

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Kein Schadensersatz, kein Belieferungsanspruch. Der Online-Händler Reuter ist mit seiner Klage gegen den Möbel-Hersteller COR Sitzmöbel am 9. November 2021 in letzter Instanz krachend gescheitert. Der Bundesgerichtshof (BGH) wies Reuters Beschwerde gegen die Abweisung der Klage, die vor dem Landgericht Dortmund und dem Oberlandesgericht Düsseldorf verhandelt worden war, kurz und knapp zurück. Eine Revision der Urteile sei nicht erforderlich. Es seien weder Verfahrensfehler ersichtlich noch gebe es grundsätzlichen, über den Einzelfall hinausgehenden Klärungsbedarf. Der Beschluss des BGH, der 'markt intern' vorliegt, umfasst gerade einmal eine Seite. Ist deshalb alles ganz unspektakulär? Mitnichten. Manchmal steckt die wichtige Information zwischen den Zeilen. So wie hier!

Die naheliegende Frage ist ja: Wie kam Reuter auf die Idee, von COR Schadensersatz in Höhe von über 1 Million Euro zu verlangen? COR hatte zur Ankurbelung der eigenen Umsätze auf Reuters Online-Vertrieb gesetzt, diesen Schritt später aber bereut und den zugrunde liegenden Vertrag im Jahr 2015 gekündigt. Der Online-Händler hatte die Umsätze mit Sitzmöbeln von COR zwar angekurbelt, dabei allerdings massiv auf Rabatte gesetzt. Reuter akzeptierte die Kündigung nicht. Das Unternehmen behauptete im Prozess, COR habe kartellrechtswidrig Druck ausgeübt, die unverbindliche Preisempfehlung einzuhalten. COR schulde deshalb den Ersatz des Gewinns, den Reuter im Fall einer Weiterbelieferung hätte realisieren können.

Die Argumentation Reuters wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen. In seinem Urteil vom 18. September 2019 (U (Kart) 3/19) ließ das Gericht kein gutes Haar am Prozessvortrag. So habe Reuter, folge man den eingereichten Unterlagen, Rabatte nach Belieben gewährt. Eine Preisbindung der zweiten Hand könne es daher schon rein logisch nicht geben. Auch ließen bloße Gespräche über die Preisbildung keine Rückschlüsse auf eine kartellrechtswidrige Einflussnahme zu. Das Gericht sprach von „substanzlosen Ausführungen ohne jede Begründungstiefe“, von „Belanglosigkeiten“, von einer Bezugnahme „völlig neben der Sache“ und davon, Behauptungen der Klägerseite könnten „schlechterdings nicht nachvollzogen werden“. Mehr richterliche Schelte ist schwer vorstellbar. Eben dieser Hintergrund ist es, der die Entscheidung des BGH sprechend macht: Gibt es am Urteil des OLG Düsseldorf nichts auszusetzen, war die massive Schelte offensichtlich berechtigt!

Es drängt sich die Frage auf, wer Reuter so miserabel beraten hat. Darauf gibt es eine einfache, aber unbequeme Antwort: Hinter dem Kläger steht ein weiterer Kläger – das Bundeskartellamt. Die Behörde, die den Wettbewerb schützen soll, fehlinterpretierte ihre Rolle mit Aufkommen des E-Commerce. Sie sah sich als Anwalt der Verbraucher, war aber nicht bereit, allen Formen des Wettbewerbs die gleiche Chance im Rennen um die Verbrauchergunst einzuräumen. Der Preiswettbewerb wurde absolut gesetzt. Der Qualitätswettbewerb kam unter die Räder. Maßnahmen zur Marken- und Preispflege, die Unternehmen anstrengten, gerieten ins Visier und wurden geahndet. Die Behörde (er)fand immer neue Kriterien, um ein Verhalten, das ein Mindestmaß an Vertriebsdisziplin sichern sollte, zu brandmarken. Oft genügte das Attribut 'potenziell'  vor kartellrechtswidrig, um Märkte zu verschrecken. Was die einen reute, freute die anderen. Kartellrechtsanwälte bekamen Hochkonjunktur. Sie fahndeten umso lieber nach den vom Bundeskartellamt aufgestellten Indizien, als diese windelweich waren. Am Ende schwindelte es allen. Den einen, weil sie vor lauter Abhängen keinen Grat mehr erkannten, um sicheren Tritt als Unternehmer zu fassen. Den anderen, weil sie sich wunderten, wie einfach man mit heißer Luft eine Unmenge an Geld aus verunsicherten Unternehmen ziehen kann.

Und nun? Es besteht die leise Hoffnung, dass die Absurditäten einer verfehlten Kartellrechtspolitik nach und nach ans Licht treten und zivilprozessuale Unsitten von den Gerichten korrigiert werden, bevor sie sich zu einem unkontrollierbaren Goldrausch auswachsen. Der BGH mag sich dabei weiterhin zurückhalten. Hauptsache, die Instanzgerichte erfüllen ihre Aufgabe, den Nebel zu lichten und den Grat passierbar zu machen.

Gregor Kuntze-Kaufhold ist Sprecher der ‚Initiative mittelstandsfreundliches Kartellrecht‘ und Justiziar der markt intern Verlag GmbH

Das Unternehmen COR Sitzmöbel wurde vertreten von RA Markus Nessler

Leo Lübke, geschäftsführender Gesellschafter der COR Sitzmöbel Helmut Lübke GmbH & Co. KG, sagte zum Prozesserfolg: „… es ist ein wichtiges Signal, dass sich auch ein mittelständischer Premium-Markenhersteller gegen einen markt- und nachfragemächtigen Onlinehändler erfolgreich zur Wehr setzen kann."


Verfasst von: markt-intern Verlag | Kommentare (0)

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