Dienstag, 05. Oktober 2021

Neues aus Absurdistan

Blogeintrag | Kommentare (0)

Seit Anfang Oktober müssen Tankstellen mit mehr als sechs Mehrproduktzapfsäulen ihre Kunden auf einem Plakat über die Durchschnittspreise unterschiedlicher Energieträger informieren. Betroffen davon sind nach Angaben des Zentralverbands des Tankstellengewerbes (ZTG) 1.500 der rund 14.500 Tankstellen in Deutschland. Die Regelung geht auf eine entsprechende Richtlinie der EU zurück. Beschlossen hat die Regelung am 25. Juni 2021 der Deutsche Bundestag im Rahmen der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) sowie der Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes (EnVKG). Das Ganze ist ein Sinnbild für gänzlich sinnfreie staatlich angeordnete Informationspflichten. Worüber wird informiert?

Anzugeben sind die Kosten für 100 Kilometer mit sieben verschiedenen Energieträgern – von Strom über Wasserstoff bis Superbenzin – und für zwei Fahrzeuggrößen. Wohlgemerkt, die Durchschnittskosten für zwei Fahrzeuggrößen „der jeweils drei meistverkauften Fahrzeugmodelle in den Segmenten Kleinwagen/Kompaktklasse und Mittel-/Oberklasse“. Wie viele Kunden sich darin wohl wiederfinden? Was konkret die Information beim Tankenden bewirken soll, erschließt sich uns nicht. Okay, offiziell sollen laut dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) „so den Verbraucherinnen und Verbrauchern Kosten vergleichbar aufbereitet werden und für alternative Antriebe und Energieträger für Personenkraftwagen (PKW) sensibilisieren“.

Dazu sind die Daten aber denkbar ungeeignet. Denn für alle Antriebstechniken werden nur die Messwerte der gesetzlichen Norm verglichen, die aber im Praxisbetrieb immer überschritten werden, egal ob Benziner oder Stromer. Zudem hängt der Verbrauch entscheidend von der individuellen Fahrweise ab, die aber ebenfalls naturgemäß bei dieser Information gänzlich außen vor gelassen bleiben. Schließlich machen die Treibstoffkosten nur einen Bruchteil der Gesamtkosten der jeweiligen Fahrzeuge aus.

Noch schlimmer: Die Vergleichspreise selbst leiden unter einem Konstruktionsfehler. Die Durchschnittspreise werden vom BMWi vierteljährlich in Plakatform veröffentlicht. Selbst wenn man dabei die Preisschwankungen innerhalb des Quartals unberücksichtigt lässt, zeigt sich ausgerechnet bei den Preisen für Elektromobile ein besonderer Mangel: Der angezeigte Preis ist der Durchschnittspreis für Haushaltsstrom. Laut Übersicht fährt deshalb ein ● Stromer (Mittel-/Oberklasse) 100 km für 4,84 Euro. Ein ● Benziner (Superbenzin) kostet dagegen 11,42 Euro (Super E10 11,0 Euro), ein ● Diesel 7,48 Euro ● Erdgas H kommt auf 6,39 Euro und ● Autogas auf 4,96 Euro ● Wasserstoff benötigt angeblich 7,60 Euro, ist aber kaum im Angebot (für die Rubrik Kleinwagen/Kompaktklasse gibt es erst gar keinen Wert).

Wer sein Fahrzeug nicht an der heimischen Steckdose lädt, muss allerdings einen viel höheren Preis an öffentlichen Ladestationen zahlen. Bei den Werten vom zweiten Quartal, die im dritten Quartal angezeigt werden, kostete Haushaltsstrom etwas über 30 Cent pro Kilowattstunde. Ladestrom dagegen je nach Anbieter um die 40 Cent. Beim Schnellladen erhöht sich der Preis sogar auf bis zu 79 Cent. Mit einer öffentlichen Pflichtveröffentlichung wird den Verbrauchern also eine Preiswürdigkeit des Stroms vorgegaukelt, die es in der Realität gar nicht gibt! Willkommen in Absurdistan.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

Zurück zum Blog

Kommentar verfassen

Bitte beachten Sie bei Ihren Kommentaren unsere Netiquette