Donnerstag, 25. April 2024

Mehr als 1,8 Millionen automatisierte Kontenabrufe 2023 in Deutschland

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Vor etwas mehr als 19 Jahren hat der Verfasser dieser Zeilen als damaliger Chefredakteur von Bank intern einen Aufsatz zum automatisierten Kontenabruf verfasst („Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“). Er trug den Untertitel ‘Wie der Kampf gegen Steuerhinterziehung die Freiheit zerstört’. Anlass war damals die Ablehnung der beantragten Einstweiligen Anordnung der Volksbank Raesfeld gegen das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das zwei Jahre später auch die Verfassungsbeschwerde der Volksbank abwies. Aktualität gewinnt dieser Aufsatz durch die jüngst aufgrund einer Kleinen Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion bekannt gewordenen neuen Zahlen zum automatisierten Kontoabruf.

Bevor wir auf die neuen Zahlen eingehen, kurz eine Zusammenfassung, worum es dabei geht und was der Kernpunkt meiner damaligen Kritik war. Der automatisierte Kontenabruf war ursprünglich ein Konzept der Bankenaufsicht (§ 24c des Gesetzes über das Kreditwesen, KWG) und sollte der Bekämpfung der Geldwäsche, des illegalen Schattenbankwesens und des unerlaubten Betreibens von Bankgeschäften sowie der Aufspürung „der Finanzierung einer terroristischen Vereinigung“ nach § 129a oder § 129b StGB dienen (§ 6a KWG). In der Praxis wurde dieses Mittel von der dafür zuständigen BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) nur rudimentär eingesetzt. Furore gemacht hat dagegen der automatisierte Kontenabruf nach den §§ 93 und 93b AO (Abgabenordnung), der zum 1. April 2005 eingeführt wurde, sowie die ständige Erweiterung des Kreises der Berechtigten, die einen automatisierten Kontenabruf nach § 24c KWG durchführen lassen können. Zunächst waren es Finanzämter, Polizeibehörden, Sozialämter sowie Arbeitsagenturen, seit 2013 sogar Gerichtsvollzieher, die über das Bundeszentralamt für Steuern (BStZ) derartige Abrufe machen können.

Kern meiner Kritik damals wie heute ist die Tatsache, dass mit dem automatisierten Kontenabruf die Idee des liberalen Staates, der die Freiheit der Bürger verteidigt und sich für Eingriffe rechtfertigen muss, geopfert wurde. Zur Angaben ihrer Konten sind die Bürger ohne Grund nicht einmal gegenüber dem Finanzamt verpflichtet. Sie müssen ihm lediglich eine Kontoverbindung für Erstattungsansprüche nennen. Und es gibt viele gute Gründe, warum man nicht möchte, dass Dritte wissen, bei welchen Finanzdienstleistern man ein Konto unterhält.

Nur wenn es berechtigte Gründe gibt, dürfen Finanzämter nach Kontoverbindungen fragen. Dies ist richtig und die Betroffenen können sich dagegen wehren, falls sie die Begründung der Finanzämter bezweifeln. Ähnlich verhält es sich auch mit andern Behörden. Dieses Prinzip ist unter dem Segel des Kampfes gegen Terrorismus, Steuerhinterziehung und Sozialleistungsbetrug durch den automatisierten Kontenabruf auf den Kopf gestellt worden. Der Staat, Behörden, inzwischen sogar Gerichtsvollzieher, können, falls sie der Überzeugung sind, die Voraussetzungen dafür lägen vor, einen Kontenabruf veranlassen, von dem der Bürger nichts erfährt. Sie können gleichzeitig bei allen Banken in Deutschland automatisiert sämtliche Konten einer Person abfragen. Die Befürworter berufen sich dabei meist darauf, nur die Kontenstammdaten, nicht die Kontobewegungen würden vom Abruf erfasst.

Das ist zutreffend. Wer allerdings die Konten kennt und glaubt aus der Art oder Anzahl der Konten als Abfragender auf Fehlverhalten des Abgerufenen schließen zu dürfen, kann anschließend relativ leicht auch die Kontobewegungen konkret abfragen. Alle diejenigen, die meinen, dies sei doch im Sinne der Aufdeckung von Steuerhinterziehern, Sozialleistungsbetrügern oder säumigen Schuldnern wunderbar, sollten vielleicht einmal darüber nachdenken, wozu es führen kann, wenn die automatisiert erhobenen Daten in den falschen Händen landen.

Und damit zu den Zahlen der Kontenabrufe des Jahres 2023, wie sie sich aus der Antwort der Bundesregierung ergeben: Insgesamt wurden 1.403.581 Kontenabrufe des BZSt gemäß § 93b AO durchgeführt. Davon erfolgten 342.595 nach § 93 Abs. 7 AO   (dies betrifft vorrangig steuerrechtliche Ansprüche) und 1.060.986 nach § 93 Abs. 8 AO (dies betrifft vorrangig sozialrechtliche Ansprüche und Gerichtsvollzieher). 2020 waren es erst 1.014.704 Abrufe. Das ist eine Steigerung um fast 50 Prozent in nur drei Jahren. Das Gros der Kontenabrufe (844.427) des BZSt erfolgt inzwischen für Gerichtsvollzieher. Finanzämter veranlassten dagegen nur 169.901 Abrufe.

Die BaFin, für deren Aufgaben der automatisierte Kontenabruf eingeführt wurde, hat weitere 431.843 Kontenabrufe nach § 24c KWG gemacht. Die meisten allerdings für andere (Finanzbehörden, Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften oder Zollbehörden). 2022 hatte sie für ihre eigenen Zwecke nur 693 mal zu diesem Instrumentarium gegriffen. 2023 dürften es kaum wesentlich mehr gewesen sein (die AfD hatte diese Zahl nicht abgefragt, die Bafin sie noch nicht veröffentlicht). Die Zahl ist seit Jahren mehr oder weniger konstant. Die Gesamtzahl aller 2023 durchgeführten Kontenabrufe beläuft sich damit auf 1.835.424.

Zum Schluss komme ich noch einmal auf meinen Aufsatz von 2005 zurück. Er endet mit folgender Feststellung: „Aber wer entscheidet eigentlich, wer etwas zu verbergen hat? Der Einzelne oder für ihn der Staat? Und was heißt schon verbergen? Verbirgt seine Gesinnung, wer nicht sagt, welche Partei er gewählt hat? Und wenn ja, hat er dann etwas zu befürchten, weil er es nicht tut? Es gibt viele Fragen dieser Art!“


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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