Montag, 18. März 2024

Öko-Sozialismus oder Marktwirtschaft

Gastkommentar von Dietrich W. Thielenhaus
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Der nach der Wiedervereinigung weitgehend abgekühlte Wettkampf der Systeme ist neu entfacht. Die von Parteien, Medien und NGOs angestrebte Renaissance des Sozialismus präsentiert sich allerdings jetzt im zeitgeistig grünen Gewand. Interessierte Kreise sind bemüht, Verfechter des Klima- und Umweltschutzes als quasi zwangsläufige Anhänger und Wähler linker Parteien anzusprechen und zu gewinnen. Man hofft offenbar, unter dem grünen Segel die Chancen für die schleichende Durchsetzung von Sozialismus und Planwirtschaft verbessern zu können. Diese Zielsetzung dürfte auch einigen Ampel-Koalitionären nicht unsympathisch sein.

„Wie gelähmt“

Zum zweiten Mal in kurzer Zeit hat ifo seine Wachstumsprognose für 2024 gesenkt. Ging das Institut im Dezember noch von 0,9 % und im Januar von 0,7 % aus, so liegt die Marke (derzeit) bei nur noch 0,2 %. Wenn sich die Haltbarkeit von Konjunkturprognosen derjenigen von Wasserstandsmeldungen annähert, stellen sich grundsätzliche Fragen. ifo kommentiert die aktuelle Entwicklung so: „Die Konsum-Zurückhaltung, die hohen Zinsen und Preissteigerungen, die Sparbeschlüsse der Regierung und die schwache Weltkonjunktur dämpfen derzeit die Konjunktur in Deutschland und führen erneut zu einer Winterrezession.“ Das Rekordhoch der deutschen DAX-Konzerne täusche. Das Geschäft der im MDAX notierten Unternehmen laufe schlechter. Der Auftragseingang sei rückläufig, der Bestand zu niedrig und die Unsicherheit groß. Insgesamt sei die deutsche Wirtschaft „wie gelähmt“. Auch das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat seine Erwartungen für 2024 um 0,8 % deutlich revidiert auf ein marginales Plus von 0,1 %. Die Bundesregierung geht im neuen Jahreswirtschaftsbericht nur noch von einem Wachstum um 0,2 % aus. Derzeit befindet sich die deutsche Wirtschaft weiterhin in der Rezession. Während die Forschungsinstitute mit einer Schwächung des Exports um 1,4 bis 1,5 % rechnen, erwartet der DIHK ein preisbereinigtes Wachstum um 0,5 %. Das ifo-Geschäftsklima im Wohnungsbau ist im Februar auf ein neues historisches Rekordtief abgestürzt. Der Bundeswirtschaftsminister hat die Lage kürzlich als „dramatisch schlecht“ bezeichnet. Die Ankündigung einer konjunkturellen Erholung ab Mitte 2024 klingt vor diesem Hintergrund wie das Pfeifen im dunklen Wald.

„Verwässerte Reformen“

Der amerikanische Ökonom Kenneth Rogoff sieht die Weltwirtschaft an einem Wendepunkt in der „fragilsten Situation seit 40 Jahren“. Die Welt stehe vor einem Jahr voller Risiken, insbesondere die geopolitische Lage sei extrem instabil. Man befinde sich in einer außergewöhnlich unbeständigen Ära mit dem „Decoupling“ der Globalisierung und der Rückkehr des Kalten Krieges. Das sei keine komfortable Situation für Wachstum. Zur Frage nach den weltweit größten Bedrohungen führt der Harvard-Professor in einem Interview mit der WirtschaftsWoche aus: „Chinas Griff nach Taiwan wäre das schlimmste Ereignis, aber im Moment nicht das wahrscheinlichste. Experten schätzen die Wahrscheinlichkeit in den kommenden Jahren auf 70 bis 75 Prozent. Sicher ist nur: In einem Jahr werden die Konflikte nicht weniger werden. Zwischen Russland und der Ukraine mag sich die Front 50 Kilometer in die eine oder andere Richtung bewegt haben, aber es bleibt wohl ein Stellungskrieg. Die größte unmittelbare Bedrohung wäre eine zweite Front für Israel, mit der sich der Krieg ausweitet, was die Ölpreise weltweit in die Höhe treiben könnte. Ganz zu schweigen von der menschlichen Katastrophe. Von der Krise wäre vor allem Europa betroffen.“

Die Globalisierung sieht Rogoff im Abwärtstrend. Der weltweite Handel habe sich abgeschwächt. Generell werde stärker lokalisiert. Homeshoring, Friendshoring und Sanktionen seien schädlich. Zur Rolle Chinas merkt der Ökonom an: „Chinas Wirtschaft ist vier Mal so groß wie die deutsche. Es kann also gut sein, dass es Deutschland in einigen Bereichen übertrifft, aber insgesamt zurückfällt. Das Land bleibt sehr abhängig von Immobilien und Infrastruktur. Und es ist nicht so einfach, aus dieser Abhängigkeit auszusteigen. Man muss Menschen umschulen und umsiedeln. Ja, sie bauen grüne Energie auf und stellen auf Elektroautos um. Aber diese Branchen sind noch vergleichsweise klein. Deshalb schwächelt China insgesamt. Und natürlich war das harte Durchgreifen gegen den Technologiesektor nicht gut. Das war Chinas gesündester, vielversprechendster neuer Wachstumszweig. Und jetzt setzen sie Parteimitglieder in die Vorstände ein und machen sie zu quasistaatlichen Institutionen.“ Auf die Frage, ob auch er Deutschland als „den kranken Mann Europas“ sehe, stellt Rogoff zusammenfassend fest: „Die Schröder‘schen Reformen wurden Stück für Stück verwässert, so dass die deutsche Wirtschaft nicht mehr flexibel und dynamisch genug ist.“

„Systemische Krise“

In einer tiefen Krise befinden sich die deutschen Firmen nach Einschätzung von Stefan Schaible, dem Chef der Unternehmensberatung Roland Berger. Die deutsche Wirtschaft stehe vor „der größten Transformation ihrer Geschichte“. Es handele sich um eine systemische Krise, die alle Branchen betreffe. Es müssten nicht nur Kosten und Personal abgebaut werden, sondern gleichzeitig müsse – bei hohen Zinsen – investiert werden. Schaible merkt an: „Die alte Sehnsucht, auf Zeit spielen zu können und erst einmal abzuwarten, funktioniert für niemanden mehr. Auch die frühere Regel, jetzt kürzen wir erst einmal die Kosten, und wenn wir dann wieder ordentlich Geld verdienen, investieren wir in neue Maschinen, erhöhen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung und so weiter, geht nicht mehr. Wir müssen heute alles gleichzeitig machen, weil Innovation für uns als Exportland lebensnotwendig ist.“ Bisher liege die Krise „noch im Schlafwagen“, da breite Bevölkerungsschichten noch nicht betroffen seien. Wegen des Fachkräftemangels werde es in nächster Zeit keine Massenarbeitslosigkeit mit massivem gesellschaftlichen Druck geben. Da es an Problembewusstsein fehle, seien die meisten Menschen nicht zum Verzicht bereit, um der Krise entgegenzuwirken. Die Ampel-Koalition mache mit ihrer Uneinigkeit keine gute Figur nach außen. Als Programm zur politischen Krisenbewältigung empfiehlt der Roland-Berger-Chef der Bundesregierung: „Ich würde voll auf den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Wasserstoffwirtschaft zur Dekarbonisierung der Industrie setzen, die Infrastruktur sichern, die Bürokratie wirklich reduzieren und die Künstliche Intelligenz fördern. Zudem würde ich eine Lebenslüge der vergangenen Jahrzehnte beenden, indem ich klar und ehrlich sage: Wir brauchen eine gesteuerte Zuwanderung.“

Standortschwächen

Immer mehr hiesige Unternehmen investieren verstärkt im Ausland, um die hohen Kosten am Standort Deutschland zu vermeiden. Gleichzeitig mehren sich die Klagen aus der Wirtschaft über die nachlassende Wettbewerbsfähigkeit. Firmen, die Auslandsinvestitionen planen, verweisen – einer DIHK-Befragung zufolge – zu 73 % auf die Energie- und Rohstoffpreise sowie zu 63 % auf die Arbeitskosten. Auch aus Sicht internationaler Investoren verliert der Standort Deutschland an Attraktion. Das hat eine Befragung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG bei 350 Finanzvorständen deutscher Tochtergesellschaften internationaler Konzerne ergeben. Danach rangiert die Bundesrepublik für Investoren nur noch im Mittelfeld. Als größte Standortnachteile werden überbordende Bürokratie (61 %) und hohe Energiekosten (57 %) genannt, es folgen mangelhafte Digitalisierung, Regulierungsvorgaben für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung sowie fehlende Technologieoffenheit. Als bedeutendster Vorteil wird die zentrale Lage in Europa (79 %) anerkannt. Zu den traditionellen Stärken gehören der Lebensstandard, die öffentliche Sicherheit, die politische Stabilität und die Forschungslandschaft, die allerdings im Vergleich zu früheren Umfragen deutlich an Wertschätzung verloren haben. In diesem Ranking nicht berücksichtigt worden ist die offenbar nachlassende Arbeitsmoral der Deutschen. So hat eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg ergeben, dass die Menschen in Deutschland 2023 so wenig gearbeitet haben wie seit dem Corona-Jahr 2020 nicht mehr. Das Institut fasst die Lage so zusammen: „Der höchste Krankenstand, die wenigsten Überstunden, die meiste Teilzeit.“ Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit aller deutschen Erwerbstätigen lag im vergangenen Jahr mit 1.342 Stunden erheblich unter den Werten anderer Industrienationen. Mit durchschnittlich 15,2 Arbeitstagen waren die Beschäftigten – laut IAB – 2023 so lange krankgeschrieben wie noch nie seit 1991. Das bedeutet gegenüber dem bereits ebenfalls schon krankheitsintensiven Vorjahr eine Steigerung um über 6 %. Zur Beflügelung des ohnehin rückläufigen Interesses ausländischer Investoren dürfte übrigens auch nicht die kontraproduktive Lust am Streik beitragen. Bundesweite Arbeitsniederlegungen zur Durchsetzung deutlich höherer Löhne und kürzerer Arbeitszeiten werden in den Chef-Etagen internationaler Investoren als abschreckendes Argument gegen den Standort Deutschland zur Kenntnis genommen. Dass die Investitionsverweigerung bereits deutliche Spuren hinterlässt, zeigt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Danach sind die Investitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland 2023 auf den tiefsten Stand seit zehn Jahren gesunken. Die Netto-Abflüsse, also die Differenz zwischen Investitionen deutscher Firmen im Ausland und ausländischer Unternehmen in Deutschland, lagen bei 94 Mrd. Euro. Dabei handelt es sich laut IW nicht um eine Ausnahmeerscheinung, sondern um ein „Symptom der Deindustrialisierung“, die sich bei unveränderten Rahmenbedingungen stark beschleunigen werde.

Prinzip Hoffnung

Im März 2023 hat der Bundeskanzler ein grünes Wirtschaftswunder angekündigt. Scholz erklärte: „Wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz wird Deutschland für einige Zeit Wachstumsraten erzielen können wie zuletzt in den 1950er- und 1960er-Jahren geschehen.“ Zur Erinnerung: Unter der Führung von Adenauer und Erhard konnte die junge Bundesrepublik im Durchschnitt ein BIP-Wachstum von jährlich 8 % verzeichnen. Das marktwirtschaftliche Versprechen lautete „Wohlstand für alle“. Zu den aktuellen Fakten: 2023, also im ersten Jahr des angeblichen Wirtschaftswunders, ist die deutsche Wirtschaft um 0,3 % geschrumpft, befand sich also in der Rezession. Auch für das laufende Jahr ist keine Trendwende erkennbar. Die von der Bundesregierung (noch) vertretene Wachstumsprognose um 0,2 % scheint vom Prinzip Hoffnung getragen. Die wuchernde Neigung zur ökosozialistischen Planwirtschaft fördert staatlichen Dirigismus, Bürokratie sowie die Bevormundung von Bürgern und Unternehmen. Das Land braucht dringend eine auch an dieser Stelle mehrfach geforderte Agenda 2030, die mit marktwirtschaftlich bewährten Konzepten die überfälligen Befreiungsschläge in einer zunehmend verfahrenen Gemengelage ermöglicht. Das würde allerdings Führungsstärke, Mut und Konsequenz voraussetzen, also Eigenschaften, die nicht gerade zu den hervorstechenden Merkmalen der Ampel-Koalition gehören.


Der Unternehmer Dietrich W. Thielenhaus kommentiert aktuelle Entwicklungen in Politik und Wirtschaft.


Verfasst von: Dietrich W. Thielenhaus | Kommentare (0)

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