Der ehemalige expert-Vorstandsvorsitzende Volker Müller ist ehrlich wie immer: „Natürlich habe ich Wehmut, dass ich nicht mehr im Sandkasten mitspiele!“

Zwölf Jahre stand Volker Müller an der Spitze des expert-Vorstandes. Seine Handelsexpertise gilt aber nicht nur aufgrund seiner letzten beruflichen Station in Langenhagen als unbestritten. Sein Rat und seine Meinung ist für viele auch heute noch, fast fünf Jahre nach seinem Einstieg in das verdiente 'Rentnerleben' und mit Rücksicht auf die Gesundheit, sehr gefragt. Auch Ihre 'markt intern'-Redaktion pflegt nach wie vor den Kontakt zu ihm, zuletzt in diesen Tagen. Denn Müllers Erfahrungsschatz ist riesengroß, seine unverblümten und trotzdem immer wohlbedachten Aussagen sind einmalig. Ob Lieferanten-Verhalten oder IFA, auch im heutigen Gespräch nimmt er uns gegenüber kein Blatt vor den Mund. Doch lesen Sie selbst:

'markt intern' (mi): 'Sie sind am 31. März vor fünf Jahren bei expert „mit ganz viel Wehmut und blutendem Herzen“ (vgl. CE 05/18) ausgestiegen. Insbesondere mit Rückblick auf die vergangenen drei Jahre: Sind Sie im Nachgang nicht doch ganz froh, mit all den negativen Überraschungen (Covid, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation …) nicht mehr konfrontiert worden zu sein?'

Volker Müller (VM): „Es stimmt, ich bin mit diesen Themen nicht in meiner Rolle als Vorstandsvorsitzender der expert konfrontiert worden. Privat hat mich das aber natürlich genauso wie alle anderen begleitet. Und vor diesem Hintergrund habe ich auch die Auswirkungen auf den Handel, die Branche – und dabei insbesondere auf unsere Branche – intensiv beobachtet. Und das mit zwei Herzen in meiner Brust:

Zum einen muss ich sagen, ist auch der 'Ruhestand' eine ganz nette Geschichte. Auf der anderen Seite fehlen mir die Herausforderungen und die Branche immer wieder mal. Denn in dieser Szene mitzuspielen, ist doch eine spannende und anspruchsvolle Aufgabe.“

mi: 'Wie hat sich denn aus Ihrer Sicht Ihre Kooperation bzw. die CE-Branche im Zusammenhang mit diesen vielen Herausforderungen geschlagen? Gibt es zwei, drei Erkenntnisse, die für Sie in dieser Zeit ganz besonders ersichtlich geworden sind?'

VM: „Wenn man dann also in den Ruhestand geht und die Aufgabe mit so viel Herzblut wahrgenommen hat, liegt einem an der weiteren positiven Entwicklung sehr, sehr viel. Und zwar sowohl für die eigene Firma wie auch für die Branche insgesamt. Bei letzterer insbesondere die des Fachhandels! Und da kann ich nur voller Frohsinn sagen: Meine insgeheimen Wünsche sind eingetroffen!

Volker Müller

Die expert hat sich tapfer und kontinuierlich sehr gut entwickelt – und das immer besser als der Branchenschnitt! Dies gilt gleichermaßen im Konzert mit dem gesamten Fachhandel (also auch Euronics, ElectronicPartner und telering haben sich gut entwickelt). Und das beweist, dass sich das 'Geschäftssystem Fachhandel' – also die Mischung zwischen Unternehmer und starkem Verbund – insgesamt erfolgreich weiterentwickelt. Im Umkehrschluss sehen wir das an zwei anderen Dingen: Schon zu meiner Zeit – und danach verstärkt – schwächelt der Marktführer, um es vorsichtig auszudrücken. Und auch Amazon & Co. schießen nicht mehr so in den Himmel. Das heißt: Die Fachhandelsstrategie, für die die Kooperationen stehen, nämlich auf die Bedürfnisse des Kunden zu setzen (Vertrauen, gute Beratung, guter Service), geht auf! Und das jetzt schon seit vielen Jahren. Das bereitet mir Spaß! Und ja: Natürlich habe ich Wehmut, dass ich da im Sandkasten nicht mehr mitspiele!“

mi: 'Sie haben den Handel in seinen unterschiedlichen Ausprägungen erwähnt. Ein Stichwort blieb bis dato außen vor: Die Industrie! Und die hat sich ja gerade während der Zeit geschlossener Geschäfte nicht nur mit Ruhm bekleckert. Direct to Customer ist lediglich ein Stichwort. Wie sehen Sie hier die Entwicklung?'

VM: „Also die Frage ist ja ungleich schwieriger zu beantworten als die des Handels. Denn die Handelsentwicklung liegt, das habe ich gerade gesagt, ganz offen auf der Hand. Bei der Industrie ist das viel facettenreicher:

Auf der Ebene der Beteuerung »Wir sind Eure Freunde« sagen alle das Gleiche! Alle sagen Richtung Fachhandel »Wir brauchen Dich« und und und …! Ich glaube denen teilweise nicht! Sie haben es selbst erwähnt: Bei B2C geht jeder seinen eigenen Weg. Oder wenn ich sehe, in welchen Kanälen welche Ware verramscht wird oder das Verhalten, die Ware über das Internet abzudrücken, und ich sage bewusst 'abdrücken': Das tut schon weh! Und da sind dann die Beteuerungen »Ich habe den Fachhandel lieb« teilweise einfach nur fadenscheinige Aussagen.

Das war jetzt natürlich eine Pauschal-Schelte in Richtung Industrie. Aber es gibt Ausnahmen: Es gibt zum Beispiel im Spezialisten-Bereich Ausnahmen, die konsequent ihre Wege gehen. So, wie ich das noch von weitem wahrnehme, darf ich beispielhaft Panasonic nennen, was Fachhandelstreue betrifft. Oder im Bereich HiFi-Spezialisten Michael Block, der nach wie vor im Fachhandel gut unterwegs ist. Der könnte seine Ware wie wild überall verkaufen. Und so gibt es einige, auch im 'Weiße Ware'-Bereich. Und hier ist der Fachhandel weiterhin aufgerufen, sehr sorgfältig zu überlegen, mit wem er die Allianz eingeht.“

mi: 'Sie sind innerhalb der expert und der Branche immer noch bestens vernetzt: Welche Entwicklungen bereiten Ihnen derzeit denn die größten Kopfschmerzen? Und wie würden Sie diesen begegnen?'

VM: „Die schwierige Situation des Hauptwettbewerbers MediaSaturn bereitet mir insofern Kopfschmerzen, als dass je angeschlagener jemand ist, er umso gefährlicher wird! Ich zähle nicht zu denen, die sagen: Die Zeit von denen ist vorbei! Ne ne! Das ist ein Gigant und der wird da eher immer unberechenbarer. Das ist eine Befürchtung, die ich habe.

Zum anderen hoffe ich, dass das, was ich vorhin positiv gesagt habe, Bestand hat: Dass der Endverbraucher bei knapperem Geld weiter eher auf den Fachhandel setzt! Im Positiven sieht man, dass die Aktivitäten der Verbrauchermärkte im CE-Bereich signifikant nachlassen. Ein Globus-Konzept hat heute keine CE im weiteren Sinne mehr in seinem Sortiment. Das macht Mut, weil so die Plattform zum Verramschen kleiner wird.

Große Sorgen macht mir nach wie vor das wilde Internet. Solange der Gesetzgeber hier nicht sagt, den Verpackungsmüll und die Lieferketten in den Griff kriegen zu wollen, ist das nach wie vor eine ganz große Gefahr für den Handel, da sich auch die Industrie hier schnell mal prostituiert.

Positiv sehe ich aber, dass der Fachhandel immer stärker zusammenarbeitet. Ich nenne als Beispiel die gemeinsame Kooperationsmesse von expert und Euronics in Berlin. Die halte ich für vernünftig, weil sie einerseits eine Attraktivitäts-Steigerung und andererseits eine Effizienz-Steigerung mit sich bringt. Messen kosten tierisch Geld, auch die Industrie. Und das, was die Industrie hier an Effizienz gewinnt, kann sie gerne an anderer Stelle in den Fachhandel wieder reinstecken!“

mi: 'Die IFA bzw. die Messe Berlin bzw. die gfu haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten ebenfalls nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Haben Sie eine Meinung zu den Vorgängen?'

VM: „Leider ja! Ich habe die Geschehnisse natürlich mit der privaten Brille verfolgt, aber mit großem Interesse und riesigem Ärger. Ich vergreife mich mal an der Berliner Politik: Es ist unglaublich, so einen Sumpf kann man ja kaum noch trocken legen. Und das, was sich die Politik in Bezug auf die Messe, deren Geschäftsführung, Aufsichtsrat usw. geleistet hat, da fehlen einem fast die Worte. Dass dann eine IFA in diesem Zusammenhang derartig unter die Räder kommt! Eine IFA, die sich in den Jahren durch die handelnden Personen wie Jens Heithecker und Dirk Koslowski so erfolgreich entwickelt hat … dass die so zerstört wird, ist unfassbar! Ich war ja schon im Ruhestand. Sonst hätten Sie mich bestimmt interviewen können und ich hätte geschimpft wie ein Rohrspatz!

Ich hoffe nur, dass sich jetzt nach vorne hin die aktuell Verantwortlichen rückbesinnen und sich sagen: Wo waren die Kernerfolgsfaktoren der IFA? Das ist a) das Konzept, das sind aber auch b) die Leistungsträger, die da waren und die hoffentlich auch wieder die Chance haben, Leistungsträger zu werden! Namentlich nenne ich erneut Jens Heithecker und Dirk Koslowski! Und sicherlich gibt es in diesem Team noch einige mehr! Denn die haben aus der 'lokalen' Messe IFA eine internationale und weltweit vernetzte Veranstaltung gemacht! Da hoffe ich, geht es wieder hin!“

mi: 'Sie sprachen es an, die erste KOOP vor Ort in Berlin steht an. Bewegen sich expert und Euronics aus Ihrer Sicht im richtigen Tempo aufeinander zu? Wenn Sie zu diesem Thema einen Wunsch frei hätten: Wie würde dieser ausfallen?'

VM: „Durch die leidvolle Corona-Thematik ist vieles, was die KOOP betrifft, ein bisschen unter die Räder gekommen. Ich denke, jetzt kommt ein vernünftiger und fulminanter Re-Start. Und ich glaube schon, dass sich aus dem heraus eine gescheite Zusammenarbeit entwickeln kann. Das muss man abwarten. Ich setze darauf, dass die KOOP erfolgreich wird. Und Sie wissen ja: Erfolg beflügelt auch immer! Und dann wird sicherlich intensiv darüber nachgedacht, das zu verstärken. Alles andere wäre nackte Spekulation!“

mi: 'Wenn man Sie so engagiert reden hört: Hätten Sie nicht doch Lust, noch einmal aktiv zu werden?'

VM: „Wissen Sie, ich bin jetzt 67. Und es wäre vermessen, mit 67 derartige Ansprüche zu formulieren. Dazu kommt, dass man ja auch nicht fitter wird. So schön es ist, in der Branche zu arbeiten. Da müssen Sie fit wie ein Turnschuh sein!“

Und dann fängt Müller an zu lachen: „Wenn Sie aber meine Hilfe brauchen, lieber Herr Huck: Jeden Tag, gerne!“ Wir danken nicht nur für das wie immer offene Gespräch, sondern natürlich auch für das Angebot. Und seien Sie versichert, lieber Herr Müller, wir kommen drauf zurück ;-).