Wer öffnet wieder nach über 15 Monaten? Sport-Fachhändler Heiner Flink macht Mut

Von der Flutkatastrophe betroffene Sport-, Schuh- und Orthopädie-­Fachbetriebe stehen in unserer Serie im Blickpunkt. In unserer heutigen Beilage schauen wir auf Orthopädie Wirz/Bad Münstereifel. In Ihrem Brief Sport- plus Schuh-Handel hat Heiner Flink, Sport-Fachhändler und Inhaber von Sport Flink/Stolberg, das Wort. Seit 180 Jahren ist der Familienbetrieb in der Kupfer­stadt Stolberg aktiv. Das Sport-Fachgeschäft im ­Doppelhaus an der Hauptstraße ist bei zahlreichen Sport­begeisterten, Sportvereinen bzw. bei Bewohnern aus der Stadt mit fast 60. 000 Einwohnern bestens bekannt. Am Abend des 14. Juli 2021 ahnt in Stolberg noch niemand, was in der Nacht passiert. Heiner Flink:

„Die Wassermassen, die am 14. Juli 2021 auch auf Stolberg fielen, wurden für uns erst am späten Abend bzw. in der Nacht sehr bedrohlich. Zunächst ist das Wasser langsam gestiegen. In dem uns gegenüber liegenden Juwelier-Fachgeschäft konnten wir an den Treppenstufen sehen, dass das Wasser stieg. Am Abend stieg es nicht mehr. Unser Ladenlokal befindet sich in unserem Haus. Das wird auch als Wohnhaus genutzt. Was in der Nacht ab 2 Uhr kam, damit hat keiner gerechnet. Es kamen zwei Flutwellen. Alle Keller sind vollgelaufen. In der tieferen Ebene unseres Geschäftes stand das Wasser zwei Meter hoch. In der höheren Ebene hatten wir einen Wasserstand von 1,60 Meter.“

Situation vor dem Ladenlokal (linke Bildseite) am ­Nachmittag des 14. Juli 2021, in der Nacht stieg der Wasserstand noch um 1,50 m

Der eine oder andere kennt Wassermassen höchstens in Form von Wasserrohrbrüchen. Was in der Flutnacht auch durch etliche Fachgeschäfte an Wassermassen immer höher stieg, können nur Betroffene begreifen. Heiner Flink begriff erst nicht, was auf ihn zukam:

„Als ich nach dem Abzug der braunen und stinkenden Brühe in meinem Geschäft stand, konnte ich mir das, was jetzt auf uns zukam, überhaupt nicht vorstellen. Was uns besonders getroffen hat: Wir haben unser Geschäft vor vier Jahren komplett renoviert bzw. umgebaut. Die qualitativ hochwertige Holzeinrichtung, alle Elektroleitungen, die gesamte Ware, alles war kaputt bzw. vernichtet. Wenn man mit den Gummi­stiefeln im Schlamm steht, begreift man es zunächst nicht. Man denkt: Saubermachen, renovieren und neu starten, das müsste alles schnell realisierbar sein.“

Viele Gewerbetreibende haben Schlimmes erlebt. Gisela Dieringer und Birgit Gafinen vom Schuhhaus Rollmann/Bad Neuenahr, die ebenfalls einen Totalschaden erlitten, waren froh, dass sie überlebt haben. Birgit Gafinen harrte in der Nacht fünf Stunden auf ihrem Dach aus, bis ein Bagger sie und ihre Familie rettete (s. SPS 32/21). Heiner Flink:

„Es nimmt einen sehr mit, wenn man vor den Trümmern seiner Existenz steht. Wir leben vom Verkauf von Waren. Wir hatten einen Warenverlust von mehr als 85.000 Euro. Wenn man in der Wertevernichtung steht bzw. davon betroffen ist, weil alles kaputt ist, das ist schlimm. Aber was unfassbar für uns war: Die Hilfsbereitschaft von Kunden und Fremden, teilweise über 70 Personen, die haben uns geholfen. Alle haben mit angepackt. Ein Ehepaar aus dem Saarland hat uns drei Tage lang geholfen, die waren mit Katastrophen bestens vertraut. Sie helfen immer dort, wo Hilfe benötigt wird, nehmen sich Urlaub und packen mit an. Die prophezeiten, dass die Renovierungsarbeiten bis zu einer Eröffnung mindestens ein Jahr dauern werden. Das konnte ich nicht glauben. Sie haben recht behalten.“

Zustand innerhalb der Geschäftsräume

Wer sich mit Kernsanierungen auskennt, weiß: Das dauert. Heiner Flink hatte Glück: „Wir haben in unserer Stadt zahlreiche Handwerker unter unserer Kundschaft. Und die waren bzw. sind Gold wert. Uns hat zudem ein Architekturbüro seine Hilfe angeboten. Was ich nicht geglaubt habe: Das Trocknen der Wände, nachdem der Putz abgeklopft ist, dauert sehr, sehr lange. Dennoch konnten wir die Handwerker sehr gut koordinieren. Alle haben einen tollen Job gemacht. Und wir sind sehr froh über die große Hilfe, die wir erfahren durften. Das gilt auch für den Verkauf unserer Waren. Aus unserem Geschäft können wir bis zur Eröffnung nicht verkaufen. Da wir auf Teamsport spezialisiert sind, haben wir eine große Hilfsbereitschaft aller Sportvereine aus unserer Umgebung erfahren. Die Nachfrage war sehr groß. Das Teamsport-Geschäft haben wir per Telefon und vom Computer aus durchgeführt. Viele Sportvereine haben bei uns bestellt. Es war eine Vielzahl von großen Aufträgen dabei. Z.B. eine große Anzahl von Sweat- und T-Shirts. Große Aufträge von Industriekunden waren auch dabei.

Diese große Resonanz hat uns sehr viel Mut beschert. So viele Aufträge, bei denen nicht nach dem Preis gefragt wurde, wenn man die erhält: Klasse. Das sind unsere Kunden. Das macht Mut, und den möchte ich gerne an alle Sport- und Schuh-Fachhändler weitergeben. Auch wenn man das Gefühl hat, dass es nicht mehr weitergeht: Wir haben eine sehr große Kunden­resonanz erfahren, das wollen wir allen 'markt intern'-­Lesern mitteilen. Die enge Bindung an Kunden, die durch langjährige persönliche Kontakte aufgebaut wird, ist für uns stationären Geschäfte ein unschlagbarer Vorteil.“

Heiner Flink verfügt über einen weiteren Vorteil. Und er hat Glück. Seine Söhne werden in der sechsten Generation die Tradition von Sport Flink fortführen:

„Unsere Vorfahren waren Sattler. Die haben zwischen den Weltkriegen die Vereinsgründungen miterlebt. Deshalb ist das Vereinsgeschäft für uns ein sehr wichtiger Umsatzträger. Auch heute noch profitieren wir von der Saat, die unsere Vorfahren hier am Ort und in der Umgebung gesät haben. Mein Groß­vater hat Fußbälle selbst genäht. Fußballschuhe wurden ebenfalls bei uns selbst hergestellt. Diese enge Kundenbindung auch zu vielen Einzelsportlern haben wir bis heute erhalten und werden sie auch in Zukunft pflegen. Bereits jetzt pflegen meine Söhne den Kontakt zu unseren Kunden über alle sozialen Netzwerke. Unser Neustart bleibt hier keinem verborgen.“

Planung der Architekten (Oktober 2021)

Das traditionsreiche Sport-Fachgeschäft hat zudem eine große Hilfsbereitschaft von Lieferanten erfahren. Heiner Flink: „Unsere Markenlieferanten haben uns unterstützt. Wir haben auch hier eine große Hilfsbereitschaft erfahren. Lowa und Meindl z. B. haben uns geholfen. Adidas hat uns auch unterstützt. Das Miteinander und das Partnerschaftliche unserer Lieferanten war für uns ein schönes Erlebnis nach dem schlimmen Ereignis.“

Heiner Flink freut sich auf einen Neustart. Der wird spätestens Anfang November erfolgen. Die lange Phase seines Schockzustandes kann er nicht vergessen: „Das Schlimmste für mich war, als ich registrierte: Von meinem schönen Umbau und von meiner neu eingekauften und bezahlten Ware kann ich nichts mehr retten. Alles war kaputt, vernichtet, zerstört. Was mich aufgebaut hat, waren die Erfahrungen meiner Eltern und Großeltern und deren Vorfahren. Es hat immer sehr schlimme Ereignisse gegeben. Wenn die vorbei sind, kommt was Neues. Wir freuen uns auf unseren Neustart. Hier ist was schönes Neues entstanden. Die Werkstatt meiner Großeltern haben wir in unser nun neu renoviertes Geschäft sehr schön integrieren können. So verbinden wir das Traditionelle mit dem Neuen. Auf unsere Eröffnung freuen wir uns. Unsere Kunden wieder persönlich in unserem Geschäft begrüßen zu können, das ist schon etwas Besonderes nach 15 Monaten der Schließung bzw. der langen Renovierungsarbeiten. Wir finden es klasse, dass 'markt intern' das, was wir Betroffene erlebt haben und aktuell erleben, aufgreift.“

Umsetzung der Pläne — Stand: August 2022

'mi'-Fazit: Die Fotos von Sport Flink lassen mit den Schilderungen des Inhabers nur erahnen, was der Familienbetrieb in Stolberg gemeinsam mit vielen weiteren Fachgeschäften aus und in den Flutgebieten erlebt haben. Wir selbst haben Ende Februar die Stad Bad Neuenahr besucht. Die Inhaberinnen von Schuhhaus Rollmann haben uns ihre Geschäftsräume gezeigt. Die Handwerksarbeiten ließen damals auf sich warten. Verkaufen konnten sie vorübergehend in der Pop-up-Mall auf dem Parkplatz des Kaufhauses Moses. Auch die Inhaberinnen des Schuhhauses können aktuell vermelden: „Wir freuen uns, Sie ab sofort wieder in unserem renovierten Geschäft Hauptstraße 96 begrüßen zu dürfen.“ Für uns sind diejenigen Fachhändler, die neu starten, Mutmacher. Sie zeigen mit ihrem Einsatz, dass sie in ihren stationären Fachgeschäften eine Zukunft sehen. Wir wünschen Heiner Flink, Gisela Dieringer, ­Birgit Gafinen und vielen weiteren betroffenen Händlern wie Intersport ­Heidingsfelder/Euskirchen einen gelungenen Neustart und jeden Tag viele Kunden.