Interview mit RA Wolfgang Wittmann, Inhaber der Kanzlei ADWUS Rechtsanwälte

Rechtsanwalt Wolfgang Wittmann ist Experte für Reputationsmanagement. Mit seiner Kanzlei ADUWS Rechtsanwälte (https://www.adwus.de) entschied er sich im Jahr 2018, nur noch Mandate rund um Internet-Bewertungen anzunehmen.

'mi': Für Nicht-Eingeweihte klingt Reputationsmanagement eher vage. Was macht Ihre Kanzlei genau?

Wittmann: Wir schützen die Reputation von Unternehmen und Institutionen im Internet, und zwar aus einer ganzheitlichen Perspektive. Konkret heißt das: Im Massengeschäft kümmern wir uns darum, dass Internetbewertungen, die gegen Richtlinien von Bewertungsportalen verstoßen, schnellstmöglich entfernt werden. Hier gibt es ganz unterschiedliche Interessenlagen. Kleineren Unternehmen sind einzelne relevante und textlich sehr schädliche Bewertungen ein Dorn im Auge. Dagegen geht es größeren Unternehmen mit einem hohen Bewertungsaufkommen, die hinter dem Google Account einen Onlineshop betreiben, in der Regel nicht um einzelne Bewertungen, sondern um den Bewertungsschnitt. Dieser hat - neben der Relevanz der Einzelbewertungen selbst - Auswirkungen auf die Reichweite und Sichtbarkeit der Online-Präsenz.

'mi': Das heißt, je schlechter der Bewertungsdurchschnitt meines Unternehmens, desto weiter hinten werde ich von der Suchmaschine angezeigt?

Wittmann: Im Prinzip ja. Zwar ist der Algorithmus von Google ein streng gehütetes Geheimnis. Kundenbewertungen haben aber zwischenzeitlich messbar zwischen 15-20 % Einfluss auf die Reichweite und Sichtbarkeit von Internetpräsenzen. Damit liefern wir mit dem Schutz der Unternehmensreputation einen wesentlichen Bestandteil in der organischen Reichweite – als Teil des SEO.

'mi': Also der Maßnahmen zur besseren Auffindbarkeit eines Unternehmens über Suchmaschinen. Aber wie können Sie einen Bewertungsdurchschnitt ändern? Ist das nicht viel schwieriger, als eine einzelne Bewertung anzugreifen?

Wittmann: Nein, denn auch bei uns hat sich viel getan. Wir haben die höchsten Fallzahlen in diesem Bereich. Das liegt nicht daran, dass wir extrem groß wären. Wir haben einen hohen Grad an Automatisierung, da wir sehr technologieorientiert sind. Seit sechs bis sieben Jahren setzen wir auch KI ein. Mit unseren Prozessen können wir tausende von Bewertungen analysieren, ohne jede einzelne anzufassen. Das Monitoring von Bewertungen hilft Unternehmen, aber auch der öffentlichen Hand. Wichtig dabei ist, dass alle verfügbaren Informationen an der Quelle gesammelt werden und außerdem, dass es keine pauschalen Beanstandungen gibt.

'mi': 'Pauschale Beanstandung' ist ein gutes Stichwort. Darauf, dass man das nicht machen sollte, weisen wir bei 'markt intern' immer wieder hin. Es gibt nun einmal die Freiheit der Meinungsäußerung, und da ist oft mehr erlaubt, als die Person oder das Unternehmen, die betroffen sind, wahrhaben wollen. Bei Tatsachenbehauptungen sieht es anders aus, die müssen stimmen. Aber wer hat die Zeit, sich das so genau anzuschauen?

Wittmann: Es ist so, dass Google seine Teams, die sich mit den Beanstandungen befassen, inzwischen stark aufgestockt, erweitert und mit hohem rechtlichen Know-how ausgestattet hat. Das musste auch sein, wegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

'mi': Heißt das, dass ich bei einer Fake-Bewertung gute Chancen habe, mit einer Beanstandung erfolgreich zu sein?

Wittmann: Google zu faken, ist schwer geworden! Denn Google verbessert ständig seine Instrumente. Mittlerweile ist das Unternehmen relativ gut darin geworden, Fake-Bewertungen zu erkennen. Das erkennt man daran, dass die Flut an gekauften positiven Bewertungen, die es früher gegeben hat, heute vom Markt verschwunden ist. Entsprechende Angebote finden Sie so gut wie nicht mehr. Was es häufiger gibt, sind Fake-accounts. Die können wir mit unseren Mitteln über unseren Crawler zwischenzeitlich sehr gut aufdecken. Diesbezüglich sehen wir uns als Systempartner von Google.

'mi': Ok, dann lassen Sie mich die 'Fake-Bewertung' durch eine unfaire Bewertung ersetzen. Sollte ich mich dagegen wehren?

Wittmann: Der Maßstab dafür sollte sein, wie schädlich die Bewertung ist. Wenn jemand einen Stern vergibt, weil es keinen Parkplatz vor dem Geschäft in Innenstadtlage gibt, sollte man kommentierend eingreifen. Erklären ist dann besser als Bekämpfen. Wenn aber jemand in einer Rezension für ein Fitness-Studio schreibt, dort gebe es Schamhaare in den Duschen und das Personal verhalte sich übergriffig, dann kann das den Ruin bedeuten. So etwas darf man nicht stehen lassen. Es kommt dann auf den Einzelfall an, was man da tun kann. Aber man sollte etwas tun.

'mi':  Nehmen wir mal an, die Bewertung stimmt nicht. Dann kann ich als Unternehmer ja selbst eine Beanstandung bei Google durchführen. Ist das aussichtsreich, vorausgesetzt, sie ist eben nicht pauschal, sondern ausreichend konkret?

Wittmann: Eine Beanstandung kann jeder vornehmen. Ob man das tun sollte, ist eine andere Frage. Das muss jedes Unternehmen für sich abwägen. Ich würde zum Beispiel jemandem, der emotional angegriffen ist, nicht raten, das selber zu machen. Denn dann sieht man oft nur noch die eigene Wahrnehmung. Viele Bewertungen sind aber komplex, die dahinterstehende Rechtsprechung erst recht. Wenn man hier nicht qualifiziert und vorausschauend vorgeht, kann es passieren, dass Google den Deckel drauf macht. Das Verfahren kriege ich dann oft nicht mehr auf. Auch einer Klage könnten dann Hindernisse entgegenstehen.

'mi':  Gut zu wissen. Aber was erwartet mich, wenn ich, anstatt selbst tätig zu werden, auf Ihre Kanzlei als Dienstleister zugehe?

Wittmann: Wir haben mit der Expertise unserer Kanzlei über KI eine Art Ampelsystem programmiert. Unternehmen, die wissen wollen, wie es um ihre Reputation im Netz steht, erhalten von uns kostenfrei eine Crawler basierte Auswertung der im Internet zugänglichen Negativ-Rezensionen, jeweils markiert in  der Farbe rot, gelb oder grün. Grün bedeutet, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Richtlinienverstoß vorliegt. Bei Gelb besteht weiterer Einschätzungsbedarf, bei Rot ist davon auszugehen, dass die Rezension sich nicht ohne weiteres löschen lässt. Oder dass sie jedenfalls nicht ohne weitere Überlegungen gelöscht werden sollte. Zudem bewerten wir über unseren Crawler das Eskalationsrisiko. Man muss ja bedenken, dass ein Löschungsverlangen, selbst wenn es Erfolg hat, zu negativen Folgen führen kann, beispielsweise einem shit storm. Damit ist dann niemandem geholfen.

'mi':  Ganz klar, die Fälle können unterschiedlich gelagert sein. Das macht den Bearbeitungsaufwand relativ hoch. Meine letzte Frage betrifft die Kostenseite: Mit welchem Aufwand muss ich rechnen und wie teuer kann es werden, wenn ich mich wegen einer unfairen Internet-Bewertung an Ihre Kanzlei wende?

Wittmann: Man kann eine Beanstandung zwar nicht vollautomatisiert bearbeiten. Aber die Informationen, die wir über unsere Schnittstellen bekommen, sind mittlerweile so gut, dass der überwiegende Aufwand sich mit einer eingespielten Routine und dennoch auf hohem juristischen Niveau bearbeiten lässt. Für die qualifizierte anwaltliche Beanstandung einer unzulässigen Bewertung fällt bei uns in der Regel nur ein niedriger dreistelliger, oft auch nur zweistelliger Betrag an.

'mi': Vielen Dank für Ihre detaillierten Antworten – und dafür, dass wir bei weiteren Leser-Anfragen erneut auf Sie zukommen dürfen. Denn 'mi' ist 'mehr als information' – es ist auch ein Mittelstandsnetzwerk. In diesem Sinne: Willkommen bei 'mi'!

Die Fragen stellte 'mi'-Justiziar Dr. Gregor Kuntze-Kaufhold. Das Interview wurde am 6. Juni 2023 telefonisch geführt und vom Fragesteller verschriftlicht.