Bundesrechnungshofpräsident Kay Scheller u. a. über die Umsatzsteuer und den Online-Handel sowie die Finanzierung der Bundestagsfraktionen

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markt intern: Herr Scheller, erläutern Sie doch zum Einstieg bitte einmal kurz die Arbeit des Bundesrechnungshofes.
 
Kay Scheller: Wir prüfen die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes, seine Ausgaben und seine Einnahmen, also auch ob die vorgesehenen Steuern tatsächlich erhoben werden. Wir geben Empfehlung ab und beraten damit Verwaltung und Parlament. Über die Ergebnisse unserer Prüfungen informieren wir nicht nur die betroffenen Stellen, sondern auch das Parlament und die Bürgerinnen und Bürger unseres Staates. So geschehen auch letzte Woche bei der Vorstellung unseres Jahresberichts, den Bemerkungen, in der Bundespressekonferenz in Berlin. Neue Prüfungsergebnisse und einen Einblick über das Einnahme- und das Ausgabeverhalten des Bundes bezogen auf das abgelaufene Jahr 2017. Adressat dieser Bemerkungen 2018 ist das Parlament, die Bundesregierung und natürlich die Öffentlichkeit. Der Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags berät die Bemerkungen in den nächsten Monaten. Folgt er unseren Empfehlungen, fordert er die geprüfte Stelle zu konkreten Maßnahmen auf, beispielsweise eine Förderpraxis zu ändern oder ein Programm vielleicht mit reduziertem Ausgabevolumen fortzuführen. In 9 von 10 Fällen folgt uns der Ausschuss. 

mi: Uns und unseren Lesern liegt die Funktion des Bundesrechnungshofes als Kontrollinstanz des staatlichen Ausgabeverhaltens am Herzen. Wir haben den Eindruck, Sie und die Landesrechnungshöfe verwenden wirklich sehr viel Energie darauf, Fehlverhalten darzulegen und Vorschläge zur Verbesserung zu machen. Wir haben aber häufig auch den Eindruck, die Angesprochenen würden es nicht ganz so ernst nehmen, was die Rechnungshöfe sagen. Es gibt bestimmte Felder, wo quasi immer wieder das gleiche moniert wird. Wie empfinden Sie das?

Scheller: Das könnten wir jetzt anhand der finanzwirtschaftlichen Lage des Bundes diskutieren. Wir empfehlen, den Haushalt zu konsolidieren, alte Schulden zu tilgen, die uns belasten, wenn die Zinsen wieder hochgehen. Das macht der Bund aber nicht. Und wir fordern, mehr zu investieren. Die Investitionsquote verharrt bei  10 Prozent des Bundeshaushaltes. Das ist für unsere Republik eigentlich zu wenig, gerade auch angesichts der Herausforderungen, die vor uns stehen. Wir haben eine expansive Ausgabensituation. Darauf habe ich letzte Woche bei der Vorstellung unseres Jahresberichts noch einmal hingewiesen. Manchmal brauchen wir einen langen Atem. Ich kann Ihnen aber auch von vielen Fällen berichten, wo man uns folgt. Ein Beispiel ist der Steuervollzug im Onlinehandel. Das ist für ihre Leser sicherlich ein wichtiges Thema. Wir haben es hier mit großen finanziellen Dimensionen zu tun. Auf diese Steuerausfälle haben wir die Politik immer wieder hingewiesen. Und siehe da, es tat sich etwas. Wir sind jetzt am Ende eines Gesetzgebungsprozesses mit einer entsprechenden Regelung, die ab Januar 2019 in Kraft treten soll. Für den fairen Wettbewerb ist es Gift, wenn Unternehmen aus Drittstaaten die Umsatzsteuer einfach nicht in Rechnung stellen. Sie haben damit um 19 % günstigere Verkaufspreise und dem Staat entgehen diese Einnahmen. Mit unseren Empfehlungen, dieses Problem anzugehen, haben wir die Diskussion sicherlich mitangeschoben. Wir thematisieren das Thema übrigens auch auf europäischer Ebene im Kreis der Rechnungshofkollegen aus den 28 EU-Ländern – da es ja ein internationales Problem ist.
Oder nehmen wir den Straßenbau. Zahlreiche Straßen, Brücken oder Unterführungen wurden aufgrund unserer Prüfungsergebnisse nicht gebaut, weil sie völlig unsinnig gewesen wären. Ortsumgehungen oder Verkehrsanlagen, die aus dem Bundeshaushalt finanziert werden sollten, verkehrstechnisch aber nicht erforderlich sind. Aber zur Wahrheit gehört auch: Wir leben in einer Demokratie. Die externe Finanzkontrolle gibt keine Weisungen, sondern muss durch Argumente überzeugen. In vielen Fällen folgt man uns, bei anderen bleiben wir hartnäckig. Das Bohren dicker Bretter ist Teil unseres Geschäfts.
Der Wildwuchs beim ermäßigten Umsatzsteuersatz ist so ein Beispiel – allein beim Weihnachtsbaum gibt es vier verschiedene Sätze, je nachdem wo man ihn kauft. Hier ist noch nichts passiert. Es geht nicht darum, ihn komplett abzuschaffen. Wir halten es aber für angebracht, dass wieder mehr Klarheit in das System kommt: Eine kritische Überprüfung, welche der Vergünstigungen eigentlich noch die Ziele erreichen, für die sie ursprünglich geschaffen wurden.

mi-Herausgeber Olaf Weber, Kay Scheller und Mi-Chefredakteur Dr. Frank Schweizer-Nürnberg (v.l.n.r.)

mi: Unsere Leser beschäftigt der Umsatzsteuerbetrug im Onlinehandel über Drittplattformen in der Tat sehr. Wir bekommen dazu auch immer wieder redaktionelle Anfragen. Die Leser stören sich daran, dass die EU-Regelung erst 2021 in Kraft treten soll. Wie bewerten Sie konkret die Fortschritte bei diesem Thema, was ist da in den nächsten Monaten zu erwarten?

Scheller: Das nationale Gesetzgebungsverfahren wurde gerade abgeschlossen. Das Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet schafft  ab Januar 2019 eine Regelung, die die Handelsplattformen in den Blick nimmt. Sofern der Drittstaatenanbieter über einen elektronischen Marktplatz agiert, was ja meistens der Fall ist, trifft zukünftig den Betreiber der Plattform ein steuerliches Haftungsrisiko. Die Betreiber haften so für nicht entrichtete Steuern aus Lieferungen, die über den eigenen elektronischen Marktplatz vertrieben wurden Den Betrag können sie sich natürlich von dem Anbieter aus dem Drittstaat zurückholen und den steuerunehrlichen Händler von der Plattform ausschließen. In diese Richtung gingen auch unsere Empfehlungen, um Umsatzsteuerausfälle beim Handel mit Waren im Internet zu vermeiden. Auf EU-Ebene sollen ab 2021 weitere Maßnahmen folgen. Dann sollen auch entsprechende europäische Regelungen existieren, die die Handelsplattformen für die Abführung der Umsatzsteuer in Haftung nehmen. Wir als Bundesrechnungshof haben hier Erkenntnisse gewonnen und die Politik damit beliefert. Letztlich hat der Gesetzgeber auf unsere Prüfungsergebnisse aufsetzen können. Offen bleibt noch die Konstellation, wenn der Drittstaatenunternehmer keine Handelsplattform nutzt. Wie kann er sich dann steuerehrlich in Deutschland verhalten? Hier empfehlen wir, obligatorisch einen sogenannten Fiskalvertreter einzusetzen, der für ihn die steuerlichen Dinge regelt. Das gilt vor allem für Unternehmen aus Drittländern ohne Abkommen über gegenseitige Amtshilfe. Um Ihnen einmal die Dimensionen zu verdeutlichen: Die Einnahmen des Bundes aus der Umsatzsteuer im Jahr 2013 - von Unternehmern aus Nicht-EU-Staaten - beliefen sich auf gerade einmal 28 Mio. Euro. Diese Unternehmen versteuerten in Deutschland also lediglich einen Umsatz von 151 Mio. Euro. Da es sich ja hier um einen Milliardenmarkt handelt, kann man erahnen, dass die Steuerausfälle erheblich sind.

mi: Ein Finanzprüfer eines Vereins prüft die Bilanz des Vereins im Interesse und für die Mitglieder des Vereins. Er empfiehlt ihnen dann, den Vorstand zu entlasten oder nicht zu entlasten. Wer sind nach dem Selbstverständnis des Bundesrechnungshofs ihre Mitglieder? Der Deutsche Bundestag oder die Bürger?

Scheller: Unser Verfassungsauftrag steht in Artikel 114 GG: die Rechnungslegung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes zu prüfen. 1950 kam der Bundesrechnungshof mit dem Bundesrechnungshofgesetz ins Leben. Unsere Existenz und unseren Auftrag in der Verfassung zu verankern, war gut und wichtig und zeigt, welche Bedeutung man einer unabhängigen externen Finanzkontrolle beimaß. Der Bundesrechnungshof soll den Bund und sein Handeln genau im Auge haben. Zwar können wir nicht jeden Bundeseuro prüfen, wir wollen aber auch keine weißen Flecken, keine prüfungsfreien Räume. Jeder Bereich des Bundeshaushalts, jedes Ressort wird gesondert betrachtet. Wir haben eine Abteilung für die Belange der Verteidigung, eine Abteilung für den Hochbau und eine für den Tiefbau. Wir haben eine Einnahmeabteilung, die sich mit Steuern und Zöllen beschäftigt. Wir schauen uns die Sozialversicherungssysteme an: Rente, Gesundheit, Pflege, Arbeit, Unfallversicherung.  Uns interessiert, was dort mit den Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt passiert. Schließlich haben wir auch die europäische Haushalts- und Finanzpolitik im Blick. Was passiert in der Eurozone? Was passiert in Europa und vor allem, welche Auswirkungen kann das für den Bundeshaushalt haben? Wie steht es um die Mitwirkungsrechte des Bundestags? All das schauen wir uns von außen, unbefangen, unabhängig an. Unabhängig heißt, kein Minister oder Behördenleiter kann uns sagen, diesen Bereich prüft ihr bitte nicht, und kein Abgeordneter kann uns vorschreiben, etwas Bestimmtes zu prüfen. Wir entscheiden selbst, was wir prüfen.

mi: Wie weit geht denn die Legitimation des Grundgesetzes? Schlagen Sie die Entlastung der Bundesregierung vor?Scheller: Die Entlastung erfolgt durch den Bundestag. Wir liefern ihm die dafür notwendige Expertise.

Bundesrechnungshofpräsident Kay Scheller

mi: Kann das so weit gehen vorzuschlagen, die Entlastung zu verweigern?

Scheller: Ich glaube, in den 60er Jahren gab es einmal eine solche Situation. Da waren unser Staat und unsere Gesellschaft noch nicht daran gewöhnt, Politik mit Schulden zu machen. 

mi: Viele unserer Leser treibt auch das Thema elektronische Registrierkassen um. Das ist vom damaligen nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans medienwirksam mit enormen Steuerausfällen, von fünf bis zehn Milliarden Euro war die Rede, gefordert worden. Wir sind sehr dafür, genau hinzuschauen, dass alle die erforderlichen Steuern zahlen. Bei der Umstellung der Registrierkassen stört uns aber, dass die Zahlen, wie viel tatsächlich von wem hinterzogen wird, gar nicht erhoben werden. Es wird eine hohe Summe in den Raum gestellt und ganze Branchen werden verunglimpft, ohne dass die Datenbasis hinterfragt wird. Schon gar nicht wird gefragt, was am Ende eines Prozesses denn vom Gericht festgestellt wird. Festgesetzte und gerichtlich bestätigte Steuernachforderungen klaffen weit auseinander. Hat der Bundesrechnungshof sich inzwischen mal mit dem Bereich beschäftigt und geschaut, wie sich das Steueraufkommen entwickelt?

Scheller: Uns interessiert das System, nicht so sehr die politische Bewertung etwaiger Volumina. Deshalb sind wir hier seit 2003 am Ball und fordern eingriffssichere, moderne elektronische Kassensysteme, die möglichst nicht manipulierbar sind.  Nur so wird die Abführung von Umsatzsteuer transparent, kann vom Staat erhoben und Steuerbetrug wirksam bekämpft werden. Und natürlich gibt es in Fällen von Laufkundschaft auch offene Ladenkassen, wo das alles sehr schwierig wird. Seit Dezember 2016 haben wir erfreulicherweise ein Gesetz zum Schutz vor Manipulation an digitalen Grundaufzeichnungen - wie das so schön heißt - in dem unsere wesentlichen Empfehlungen umgesetzt wurden. Wir haben keine eigenen Erkenntnisse, wonach große Anbieter im Einzelfall oder in großem Maße Umsatzsteuer hinterziehen. Es gibt aber ein Einzelbeispiel aus Rheinland-Pfalz, das wasserfest belegt ist. Dort gab es eine Eisdiele, die über mehrere Jahre hinweg mit einer manipulierten Kasse einen Betrag von 1,6 Millionen Euro hinterzogen hat. Das ist sicher die Spitze des Eisberges, aber es illustriert das Hinterziehungspotenzial. Wir sind aber nicht die „Finanzpolizei“, sondern interessieren uns für die Fehler im System. Dieses haben wir untersucht und festgestellt: es wird nicht überall gesetzestreu agiert. Wenn wir uns das Systemische nicht anschauen, weil es keine konkreten Zahlen gibt, hätten wir ein Problem. Denn im Steuerbereich gibt es viele Dunkelfelder, bei denen wir nicht wissen, wie hoch der Ausfall tatsächlich ist. Unsere Prüfer machen bei der Auswahl der Prüfungsthemen Bewertungen, wo die Risiken besonders hoch sind, ohne immer genau zu wissen, ob dem Staat zwei, drei oder fünf Milliarden Euro entgehen. 

mi: Die Politik schwankt immer zwischen dem Besitzstand wahrenden Elementen der Gesellschaft und denjenigen, die versuchen, bestimmte Einnahmen oder Vermögen zu sozialisieren. Für Letztere stellt sich die Frage, kann nicht irgendwo ein weiterer Steuereuro eingetrieben werden. Der Bundesrechnungshof sieht das aufgrund seiner Stellung völlig neutral. ‘markt intern’ steht dafür, sich nicht immer nur auf die Steuererhebung zu konzentrieren, sondern sich um die Vermeidung unnötiger Ausgaben zu kümmern. Wir bräuchten weniger Einnahmen, wenn es nicht so viele Ausgaben gäbe, während gleichzeitig notwendige Investitionen unterbleiben. Es wird viel Geld für Projekte ausgegeben, deren Sinnhaftigkeit sich nur wenigen erschließt.

Scheller: Unser Maßstab ist nicht die politische Gestaltung oder die politische Diskussion. Unsere Maßstäbe sind Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit. Also das Gesetz,  die Vorschriften und ihre Einhaltung oder Nichteinhaltung. Die Vorgaben, die der Gesetzgeber macht, sind für uns verbindlich. Deshalb kommentiere ich auch nicht, ob zu viel Geld, wie Sie sagen, sozialisiert wird. Wir schauen, ob die Gesetze so angewandt werden, wie es das Parlament im Auftrag der Wähler beschlossen hat. Und ob Verwaltungshandeln wirtschaftlich ist. Also, ob z. B. Fördermaßnahmen,  für die enorm viel Geld aufgewendet wird, auch tatsächlich den Zweck erfüllen, den Regierung und Gesetzgeber angedacht haben. Hier haben wir häufig die Situation, dass diese Effekte und Ziele eben nicht eintreten, vor allem langfristig nicht. Dann werden wir aktiv, schreiben etwa einen Sonderbericht zur Energiewende. Darin haben wir ein Steuerungs- und Koordinierungsdefizit der Bundesregierung, des Bundeswirtschaftsministers festgestellt. Es gibt beispielsweise ein Energieeffizienzprogramm für Unternehmen, Step up, für das die Planer im Wirtschaftsministerium, tausend Anträge prognostiziert haben. Ganze drei wurden gestellt. Wenn dann das Ministerium darauf nicht reagiert, nicht umplant, dann mahnen wir das an. Vor allem bei der aktuellen CO2-Situation, die nicht gut ist. Ich prüfe in einem Nebenamt auch die Vereinten Nationen und habe  mit dem Klimasekretariat in Bonn zu tun. Dort habe ich neulich mit meinen Kolleginnen und Kollegen, den Rechnungshofpräsidentinnen und -präsidenten aus den Ländern Fragen des Klimaschutzes erörtert. Das Sekretariat hat hier besorgniserregende Fakten vorgestellt. 

mi: Aus unserer Sicht wäre es einen Streit in Deutschland wert, welchen Anteil Private von ihren Einkünften sollten behalten dürfen und was der Staat seinerseits wirklich übernehmen muss. Sie haben gesagt, zehn Prozent Investitionen des Bundeshaushaltes sind zu wenig. Da sind wir einer Meinung. Die Nettoinvestitionen des Staates sind in Wahrheit sogar negativ, weil die Abschreibungen viel höher sind als die Neuinvestitionen. Was aber macht der Staat eigentlich mit dem ganzen Geld, das er einnimmt? Wir haben einen Spitzensteuersatz, der beim verfügbaren Einkommen bei Ledigen mit 42 Prozent ab einem Einkommen von 54.950 Euro erhoben wird. Und dann diskutieren wir darüber, ob der Solidaritätszuschlag abgeschafft werden kann oder die Steuerausfälle dadurch zu hoch wären, ob wir eine verbesserte Mütterrente aus Steuermitteln zahlen können oder nicht.

Scheller: Sie haben politische Bewertungen vorgenommen und politische Fragen gestellt. Bitte gestatten Sie mir eine Rechnungshofantwort. Natürlich gibt es einen Wettbewerb um die begrenzten finanziellen Ressourcen, denn der Druck auf den Haushalt wächst.  Trotzdem haben wir zum fünften Mal in Folge die geplante schwarze Null. Eine expansive Ausgabenentwicklung und ausbleibende Konsolidierung nehmen dem Haushalt jedoch die Luft zum Atmen. Zusätzliche Ausgaben und steuerliche Entlastungen sind vorgesehen: Vor allem mit weiteren Leistungsverbesserungen bei der Rente und der Festschreibung einer doppelten Haltelinie sowie zur Unterstützung originärer Länderaufgaben insbesondere im Bereich von Kitas, der schulischen Bildung und der sozialen Wohnraumförderung. Zudem sind bereits im Haushalt 2018 weitere teure Vergünstigungen eingeführt worden, wie das Baukindergeld.  Deshalb empfehlen wir, Ausgaben stets nach ihrer Zielerreichung zu hinterfragen und Maßnahmen möglichst effizient zu gestalten Fördermaßnahmen beispielsweise, die absolut unwirksam sind, sollten eingestellt werden. Unsere Prüfungen zeigen immer wieder Beispiele, wo der Bund sein Geld besser nicht ausgeben sollte, wo die eingesetzten Mittel nicht wirken. Und wir stehen vor einer gewaltigen demographischen Herausforderung. Zwar sind wir da gerade noch im Pausenstatus.  Wenn aber die geburtenstarken Jahrgänge in Rente oder in Pension gehen, steigt der Druck noch mehr auf den Haushalt. Ein Anstieg des Bundeszuschusses, sofern nichts an den Stellschrauben verändert wird, also den Faktoren Renteneintrittsalter, Rentenniveau oder Beitragssatz. 

mi: Wir möchten ihr Augenmerk mal auf das Thema Baukindergeld richten. Da gibt die Regierung viele Milliarden frei, es gibt aber keine klare gesetzliche Grundlage. Das Innenministerium hat uns mitgeteilt, es gebe zusätzlich zu dem Merkblatt, das die KfW veröffentlicht hat, interne Richtlinien, die aber nicht zur Veröffentlichung bestimmt seien. Wohin das führt, zeigt ein aktueller Fall, den uns ein Leser geschildert hat. Er hatte nachgefragt, ob auch ein kernsaniertes Altgebäude förderfähig sei. Das Innenministerium hat das verneint, die KfW hat es bejaht. Entspricht diese Fördermaßnahme Ihrem Verständnis von Transparenz und sehen Sie die Gefahr, das Fördermittel durch die KfW willkürlich vergeben werden?

Scheller: Das Baukindergeld nach der neuen gesetzlichen Grundlage haben wir bisher nicht geprüft. Deshalb kann ich dazu nichts sagen. Ich kann aber den Hinweis geben, den wir auch im Gesetzgebungsprozess gegeben haben. Anhand der Erfahrungen mit der Eigenheimzulage, die wir uns damals angeschaut hatten. Uns war aufgefallen, dass die Mittel nicht immer dort angekommen sind, wo sie ankommen sollten. Es gab Mitnahmeeffekte und steigende Immobilienpreise. Dieses Förderinstrument war nur eingeschränkt wirksam, gerade in seiner Verteilungswirkung. Das lässt mich schon einmal kritisch auf so ein Instrument blicken. Ob die Antragsverfahren für das Baukindergeld im Einzelnen gelingen, die Mittel zweckmäßig verwendet werden und den richtigen Adressatenkreis erreichen, kann ich heute nicht beurteilen. Aber es ist ein Instrument, bei dem manches schlecht laufen kann.

mi: Und was ist mit dem Gebot der Transparenz?

Scheller: Es müsste Ausführungsbestimmungen geben. Wenn richtig ist, was sie sagen, dass die keiner kennt, ist das natürlich nicht gut. Das nehme ich gerne mit.

mi: Lassen Sie uns mal zur Energiewende kommen. Es geht hier nicht darum, wie man sie politisch beurteilt, ob man sie für sinnvoll hält oder nicht. Der Bundesrechnungshof hat das Management der Energiewende durch das Wirtschaftsministerium mehrfach kritisiert. Sie haben es – mit unseren Worten – desolat genannt. 160 Milliarden Euro Kosten sind in den letzten fünf Jahren nach Ihren Erhebungen entstanden. 675 Personen haben sich in Vollzeit in den beteiligten Ministerien und nachgelagerten Behörden darum gekümmert. 34 Referate und 35 Gremien waren damit beschäftigen. 26 Gesetze und 33 Verordnungen gibt es. Wir wollen das alles gar nicht weiter kommentieren. Das kann nicht richtig sein, egal wie man zur Energiewende steht. Wenn das in einem privaten Unternehmen passiert wäre und die interne Revision über mehrere Jahre hintereinander moniert hätte, das Management funktioniere vorne und hinten nicht, dann wären Köpfe gerollt. Haben Sie gehört, dass irgendein politisch Verantwortlicher für diesen Prozess sein Amt verloren hätte? Das muss doch selbst für den Bundesrechnungshof ein bisschen frustrierend sein.

Scheller: Ich finde es erfreulich, dass Sie das ansprechen.  Nach der Veröffentlichung dieses Sonderberichtes haben wir eine enorme Resonanz erhalten, von Bürgern, aus der Politik und auch von vielen Universitäten.  Bei der Energiewende wird ein enormer Aufwand betrieben, der den Bürger über die Stromrechnung auch enorm belastet. In diesem Fall sollte der Bund dann wenigsten auch die Meilensteine seiner Klimapolitik erreichen. Genau das haben wir in unserem Bericht untersucht und dargestellt. Es wird der von Ihnen beschriebene große Ressourcen-Aufwand betrieben, der aber nicht unbedingt viel hilft. Das ist unser Resümee. Wir haben uns zudem auch einzelne Förderprogramme angeschaut, etwa das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Da erhält die KfW beispielsweise eine zu hohe Vergütung.  Jetzt haben die Abgeordneten des Bundestages Gelegenheit, mit unseren Erkenntnissen zu arbeiten, Debatten zu führen und der Bundesregierung Fragen zu stellen. Das kann die Öffentlichkeit übrigens auch. a Dass Sie da so wachsam sind, freut mich sehr.

mi: Das ist wirklich abendfüllend, das wollen wir gar nicht ausweiten. Wir haben schon sehr viel darüber geschrieben. Helmut Schmidt hatte mal Anfang der 80er Jahre gesagt, er verstehe seine Stromrechnung nicht mehr. Er bezog das aber darauf, die Behördensprache sei zu kompliziert geworden. Wer sich heute seine Stromrechnung anschaut, kann sich nur wundern, für was wir alles Abgaben zahlen. Wir können Sie nur ermuntern, das immer wieder aufzugreifen.

Scheller: Strom, Wärme, Mobilität. Das sind im Grunde die Bereiche, die tief in alle Lebensbereichen der Wirtschaft und der Bürger hineinwirken. Deshalb ist das Thema Energiewende so wichtig. Deutschland hat sich gegen Atomkraft entschieden und in der Praxis auch gegen Kohle, so dass im Grunde nur noch die Erneuerbaren Energien bleiben. Die müssen daher verlässlich sein, dahin müssen wir kommen. Ich sage das, ohne es zu bewerten. Dabei geht es auch um Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Vielleicht brauchen wir emissionsarme Zwischentechnologien, vielleicht Gas. Das weiß ich nicht. Aber die Bundesregierung hat Klimaziele vereinbart und kann jetzt nicht einfach sagen,  wir halten sie nicht ein.

mi: Machen wir noch einmal einen Themenwechsel und kommen wir zur Finanzierung der Bundestagsfraktionen. Der Bundesrechnungshof selbst hat sich damit beschäftigt, was im Falle der Liquidation einer Bundestagsfraktion gilt. Dafür gibt es keine ausdrücklichen Regeln. Wir hatten diesen Fall zweimal, einmal bei der PDS, heute Die Linke, und einmal bei der FDP. Vom Grundsatz her passiert das aber eigentlich am Ende jeder Legislaturperiode, weil das Abgeordnetengesetzes vorsieht, dass die neue Fraktion nur Rechtsnachfolger der alten wird, wenn sie sich dazu erklärt. Uns interessieren zwei andere Fragen: Wo kommt eigentlich das Geld her und was wird mit dem Geld gemacht? Auffällig ist, dass die Fraktionen sehr hohe Rücklagen bilden, aber nur sehr niedrigere Rückstellungen. Das hat im Fall der FDP dazu geführt, dass sie am Ende eine Forderung des Versorgungsträgers, bei dem ihre Fraktionsmitarbeiter versichert waren, nicht mehr erfüllen konnte. Interessanterweise hatte sie aber ausgerechnet im letzten Jahr sehr viel Geld ausgegeben. Aus unserer Sicht findet das alles in einem quasi rechtsfreien Raum statt. Es sind Haushaltsmittel, die zugewiesen werden, und die Wirtschaftsprüfer segnen die sehr übersichtlichen Bilanzen ab. Sind Sie der Meinung, dass es nicht nur für die Liquidation, sondern auch für die Bilanzerstellung und -prüfung ausdrücklicher Regelungen bedarf? Denn das Problem ist, dass der Geldgeber, die Bundestagsabgeordneten, selbst die Begünstigten sind.

Scheller: Das ist ein ganz interessanter Aspekt. Denn häufig haben wir es mit zu viel Regelungen und Vorschriften zu tun, wie bei der Energiewende. Bei der Liquidation von Bundestagsfraktionen haben wir – mal ganz anders - vielleicht zu wenige Vorschriften. Zu wenig Regelung, Klarstellung der Abwicklung von Fraktionen, die nicht mehr existieren. Da sind dann aber noch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für die es vielleicht noch Sozialleistungen zu bedienen gibt. Und ihre (Arbeits‑)Verträge müssen abgewickelt werden. Das muss bewältigt werden, ist aber  im Abgeordnetengesetz nicht geregelt. Deshalb haben wir das zum Anlass genommen, dem Parlament sozusagen den Spiegel vorzuhalten und ihm unsere Erkenntnisse aus begleitenden Prüfungen der Liquidationen von zwei Fraktionen gegeben. Wir haben Vorschläge gemacht, um den Rechtsrahmen zu verbessern und die Defizite, die wir festgestellt haben, abzustellen. Der Gesetzgeber sollte die Lücken im Abgeordnetengesetz durch klare Regelungen schließen und so das Liquidationsverfahren beschleunigen. Als Fraktionsdirektor der CDU/CSU Bundestagsfraktion habe ich ja auch einmal auf der anderen Seite gesessen. Gerade deshalb liegt mir daran, dass die Fraktionen Regeln haben und diese Regeln auch einhalten, sonst hätten wir im parteipolitischen Wettbewerb eine Schieflage.

mi: Warum fördert der Staat eigentlich einseitig die Elektromobilität, warum machen wir das nicht technologieoffen? Wer weiß denn, was in zehn, 15 oder 20 Jahren die CO2-freundlicheste Technologie ist? Wenn wir einen Stifterpreis ausloben würden über 100 Millionen Euro für die beste Techniklinie von morgen, dann würden wir mehr erzielen als einseitig zu sagen, was wir haben wollen. Warum muss der Staat immer alles vorschreiben?

Scheller: Wenn der Staat sich aus allem raushalten würde, dann gäbe es vielleicht sogar mehr Regelverletzungen. Und hätten wir weniger  Vorgaben, dann hätten wir vielleicht noch weniger Entwicklung im Bereich batterieangetriebener oder mit anderen Energieträgern ausgerüsteter Maschinen und Antriebssystemen. Das ist sehr, sehr schwer zu beurteilen. Ich glaube nicht, dass wir ohne Gesetzgebung und -begleitung zum Ziel kommen. Aber es gibt sicherlich Felder, die überreguliert sind.

mi: Das Ausmaß an Regelverletzungen kann sehr empörend sein. Das Gegenteil kann auch empörend sein, ein Übermaß von Regeln. Empörend im Sinne von Ausgaben. Welche Ausgaben sind sinnvoll für das Gemeinwesen und wo schlägt es um ins Gegenteil? Wir haben nicht nur die Themen, die Sie vorhin genannt haben, Strom, Wärme und Mobilität, sondern wir haben auch das Thema Compliance. Nur ein Beispiel von vielen ist da der Datenschutz. Die Datenschutzbehörden werden derzeit personell massiv aufgerüstet Es gibt inzwischen hunderte von Mitarbeitern, die nur für den Datenschutz zuständig sind. Und wer bezahlt das Ganze? Das zahlen Unternehmen, das zahlen die Bürger. Es geht dabei auch um den Bereich der Gesetzesevaluierung, um den Bereich der Gesetzesfolgeabschätzung. Und da kommen Sie ins Spiel.

Scheller. Da sind wir in Teilen dabei, weil wir diese Sachverhalte bewerten und dem Gesetzgeber so während des Gesetzgebungsprozesses unsere Ergebnisse zuliefern können.

mi: Wir wollen Sie nur gerne einladen, sich das Thema Compliance noch einmal anzuschauen. Wir vernichten volkswirtschaftliche Werte im Bereich der Überregulierung, weil wir inzwischen glauben, symbolisch gesprochen, es wäre ein Kapitalverbrechen, bei Rot über die Ampel zu gehen. Der Datenschutz ist so ein Fall.

Scheller: Ich stimme Ihnen im Grundsatz zu. Die Verwaltung sollte nicht über das Ziel hinausschießen. Regulierung darf nicht übertrieben werden, so wie sie das angedeutet haben. Ausgangspunkt ist aber immer der Auftrag, den der Gesetzgeber für die Verwaltung formuliert. In Bereich der Finanzkontrolle sprechen wir von Haushaltsgrundsätzen, Prinzipien guter Haushalts- und Wirtschaftsführung. Sehr wichtige Grundsätze. Einer ist die Wirtschaftlichkeit. In diesem Zusammenhang muss sich der Staat immer fragen, was er selbst leisten kann oder muss, und was er an Externe geben kann. Wenn er Dritte beauftragt, muss er die Kontrolle behalten. Hoheitliche Aufgaben wie Gesetze muss er selbst übernehmen und sich vor Einflüssen einzelner Interessengruppen schützen. Für seine Kernaufgaben braucht der Staat den objektiven neutralen und gut ausgesuchten und geschulten Beamten, und g nicht Berater, die für ihr Beratungsunternehmen verdienen und staatliche Kernaufgaben mitmachen. Denn da habe ich nicht mehr automatisch das Neutralitäts- und Objektivitätsversprechen. Diese Thematik zieht sich durch alle Ministerien. Mit unseren Hinweisen haben wir in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass hier mehr Transparenz in die Bundesverwaltung kommt.

mi: In den Bemerkungen 2018 ist uns aufgefallen, dass dort steht, die Tendenz zu einer Töpfchenwirtschaft im Bundeshaushalt, also die Bewilligung von Haushaltsmitteln außerhalb des Kernhaushaltes, schreite voran. Das haben sie letztes Jahr auch schon kritisiert. Ist es also noch einmal mehr geworden?

Scheller: Töpfchen sind Sonderfonds, Sondervermögen, und die erzeugen Intransparenz. Wenn der Bundesfinanzminister immer neue Fonds bildet - aktuell gibt es um die 25 -, vor kurzem wurde ein Digitalfonds neu eingerichtet – sind diese Mittel nicht mehr im Kernhaushalt abgebildet. Das ist nicht gut. Auch hier gibt es Grundsätze. Vollständigkeit, Haushaltswahrheit und -klarheit. Die sind nicht Selbstzweck, sondern dienen der Transparenz. Denn der Abgeordnete, der Haushälter sollte den Kernhaushalt im Blick behalten und nicht irgendwelche Nebengaragen öffnen müssen. Rechenschaft muss über alles abgelegt werden, weshalb Transparenz zentral ist. Man könnte auch mal Sondertöpfe tilgen. Wir haben z. B. einen Investitions- und Tilgungsfonds, der 2009zur Überwindung der Wirtschaftskrise 19 Milliarden Euro bereitgestellt hat. Die stehen heute noch in den Büchern, obwohl die Bundesregierung damals ankündigte, die Schulden dieses Sondervermögens in wirtschaftlich guten Zeiten zu tilgen. Den hätte man z. B. mit der Asylrücklage tilgen können, die man in der bisherigen Höhe nicht mehr braucht. Dann hätten wir weniger Schulden und ein deutliches Signal für eine nachhaltige Finanzpolitik. Das ist das Töpfchenthema.

mi: Herr Scheller, ganz herzlichen Dank, dass Sie sich so viel Zeit genommen haben, mit uns zu diskutieren.