Wie der nette Thorsten Schäfer-Gümbel seinen Traum realisiert

Thorsten Schäfer-Gümbel (TSG) gilt in der SPD, und darüber hinaus selbst beim politischen Gegner, als ehrliche Haut. Zudem umweht ihn so etwas wie Tragik. Gleich dreimal ist er in Hessen angetreten, um das ehemals rote Hessen für die SPD zurückzuerobern. Und dreimal ist er gescheitert. 2009 kam die SPD unter TSG nur auf magere 23,7 Prozent. Ein Jahr zuvor hatte Andrea Ypsilanti bei der Landtagswahl 2008 noch 36,7 Prozent der Stimmen geholt (CDU: 36,8 Prozent). Sie wollte dann allerdings entgegen ihrer Aussage im Wahlkampf eine Regierung mit den Linken bilden, was scheiterte. Unter diesen Voraussetzungen wollte keiner TSG für das Wahlergebnis in Haftung nehmen. 2013 schien lange ein Sieg möglich, aber 30,7 Prozent reichten nicht zur Bildung einer rot-grünen Landesregierung. Ausgerechnet der vermeintliche Law-and-Order-Mann Volker Bouffier, der für die CDU 38,3 Prozent holte, bildete mit Bündnis 90/Die Grünen die erste schwarz-grüne Landesregierung in einem Flächenstaat (2008 hatte dies bereits Ole von Beust in Hamburg praktiziert). 2018 landete die SPD schließlich mit 19,8 Prozent gleichauf mit Bündnis 90/Die Grünen hinter der CDU, die immerhin noch auf 27 Prozent kam, nur noch auf Platz 3. Damit war klar, dass die Karriere als Ministerpräsident in spe für TSG beendet war.

Konsequenterweise hätte er am Wahlabend von seinen Parteiämtern zurücktreten können. Aber pflichtbewusst wie er ist, wollte TSG erst einmal das Feld der neuen geschrumpften SPD-Landtagsfraktion bestellen. Zudem wäre zugegebenermaßen auch statt der knappen Ein-Stimmen-Mehrheit für Schwarz-Grün nach der endgültigen Auszählung der Stimmen auch noch eine knappe Mehrheit für Rot-Grün denkbar gewesen. Dass TSG sich allerdings fast ein halbes Jahr Zeit ließ, um am 19. März 2019 seinen Rückzug von allen Parteiämtern für den Herbst anzukündigen, war dann schon etwas überraschend. Allerdings nur, sofern man nicht auf seine weitere Lebensplanung schaut. Freimütig bekannte er nämlich am 19. März, zum Oktober als Arbeitsdirektor in den Vorstand der GIZ, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, wechseln zu wollen. Ein typisches Beispiel für die Haltung, sich nach anstrengenden Jahren der Parteiarbeit auch einmal etwas gönnen zu wollen. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Zuletzt hatten wir beispielsweise über den gescheiterten Coup des früheren Fraktionsvorsitzenden der Kölner SPD, Martin Börschel, berichtet (vgl. Mi 11/18).

Was Schäfer-Gümbel für die von ihm geplante Tätigkeit bei der GIZ befähigt, erschließt sich auf den ersten Blick nicht. Die GIZ wickelt bei einer Bilanzsumme von 1,5 Milliarden Euro ein Geschäftsvolumen von rund 2,6 Milliarden Euro ab und hat weltweit 19.500 Beschäftigte. Nach einer halbjährigen Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Europäische Integration am Institut für Politikwissenschaft der Universität Gießen war Schäfer-Gümbel von 1998 bis 2001 Referent des Sozial- und Jugenddezernenten der Stadt Gießen. Von 2002 bis zu seiner Wahl in den Landtag 2003 arbeitete er erneut als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dezernat II der Stadt Gießen. Er selbst erklärte, der Wechsel sei eine „Rückkehr“ zu seinen beruflichen Erstwünschen, denn schon „bei Aufnahme meines Studiums der Agrarwissenschaften“ habe er „Entwicklungshelfer werden wollen“. Er wird im Vorstand der GIZ auf Tanja Gönner und Dr. Christoph Beier treffen. Gönner agierte bis 2012 im Bundesvorstand der CDU und war von 2004 bis 2011 Landesministerin in Baden-Württemberg (zunächst Soziales, dann Umwelt). Seit Juli 2012 ist sie Vorstandssprecherin der GIZ. Für die GIZ sitzt sie u. a. im Präsidium der hessischen Unternehmerverbände. Beier war zu Beginn seiner Karriere im saarländischen Wirtschaftsministerium tätig, wechselte dann in Forschung und Lehre und trat 2000 in die GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) ein, die wiederum in der GIZ aufgegangen ist. Seit 2011 ist er stellvertretender Vorstandssprecher der GIZ. Gönners Gesamtvergütung betrug 2017 immerhin 280.630 Euro, Beier brachte es auf 260.257 Euro. Noch lukrativer sind die Pensionsansprüche. Für die 2017 aktiven vier Vorstände beliefen sie sich auf 5.041.114 Euro.

Mit derartiger Ausstattung als Vorstand arbeiten zu wollen, ist ein verständlicher Wunsch. Allerdings ist die Berufung in den Vorstand einer Gesellschaft kein Wunschkonzert. Vor allem, sie ist Aufgabe des Aufsichtsrates. Der war nach Auskunft eines Sprechers des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit gegenüber Mi seit April 2018 mit „der Suche eines Vorstandsmitglieds für die vakante Stelle des Arbeitsdirektors befasst. Er hat zu diesem Zweck einen Unterausschuss mandatiert, mit Unterstützung eines Headhunters geeignete Kandidatinnen und Kandidaten zu suchen und dem GIZ Aufsichtsrat einen Personalvorschlag zu unterbreiten“. Man darf einmal vermuten, TSG stand anfangs nicht auf der Liste, wollte er da doch noch Ministerpräsident in Hessen werden. Vorsorglich hat TSG bei seiner Pressekonferenz anlässlich der Ankündigung, seine Parteiämter niederzulegen, auch erwähnt, sein Wechsel stehe unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Aufsichtsrats.

Wenn ihm dies bekannt war, warum hat er dann seinen Wechsel schon vorab hinausposaunt? Weil er endlich auch einmal eine Erfolgsmeldung für sich verkünden wollte? Was denkt der Aufsichtsratvorsitzende der GIZ, Staatssekretär Martin Jäger aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, über den neuen Vorstand und Arbeitsdirektor? Wie und weshalb wurde er ausgewählt? Jäger selbst äußerte sich nicht gegenüber Mi, schickte dafür einen Sprecher des Ministeriums vor. Der teilte uns mit, die Kandidatenauswahl sei „im Rahmen eines geordneten Verfahrens nach Eignung und Befähigung“ erfolgt. Für die Stelle habe es „eine Vielzahl potenzieller Kandidatinnen und Kandidaten“ gegeben. Die Auswahl obliege dem Aufsichtsrat, der sich am 9. April erneut damit beschäftige. Und warum wurde die Stelle nicht offen ausgeschrieben? „Eine öffentliche Ausschreibung ist nicht erfolgt, da dies in den Regularien der GIZ nicht vorgesehen ist.“ Das Leben kann manchmal einfach sein!

Thorsten Schäfer-Gümbel war bisher unverdächtig, Politik nur als Mittel zum Zweck der eigenen Bereicherung zu begreifen. Sein aktuelles Verhalten ist daher umso unverständlicher. Konnte oder wollte ihn niemand in der SPD oder seinem persönlichen Umfeld davor bewahren, sich derart dämlich in der Öffentlichkeit zu positionieren? Und da wir gerade bei den Fragen sind: Warum stellt offenbar niemand außer Mi diese Fragen zu diesem Wechsel? Nur weil TSG eine so ehrliche Haut ist und bisher so viel Pech hatte? – Nachbemerkung: Der Aufsichtsrat hat TSG erwartungsgemäß zum
Arbeitsdirektor berufen.