Scheller: „Das Bohren dicker Bretter ist Teil unseres Geschäfts“

Als Kay Scheller, Präsident des Bundesrechnungshofes (BRH), am 20. November den Redaktionskonferenzraum des 'markt intern'-Verlages betrat, bedeutete dies einerseits eine Premiere und andererseits ein Finale. Premiere deshalb, weil zuvor noch kein Rechnungshofpräsident Gast der Gesamtredaktion war, und Finale, weil der Verlag Ende des Jahres neue Räumlichkeiten an anderer Stelle in Düsseldorf bezieht und Scheller somit der letzte Redaktionsgast in diesen Räumen war. Scheller hat beide Herausforderungen bestens bestanden. Erstens hat er die Institution Bundesrechnungshof und ihre Aufgaben gut 'verkauft' und zweitens hat er Lust darauf gemacht, ihn irgendwann auch in neuen Räumlichkeiten wieder einzuladen.

Wer als Journalist Rechnungshof-Präsidenten einlädt, der muss gewisse Einschränkungen akzeptieren, wozu sich der Redaktionsgast äußern darf und in welcher Art er sich äußern wird. Der BRH ist nicht der Gesetzgeber, er ist der Berater des Gesetzgebers und der Verwaltung. Er hat die Einhaltung der Gesetze zu prüfen, ob ihre Abwicklung, die Arbeit der Verwaltung ökonomisch erfolgt, ob das Ausgabeverhalten ordnungsgemäß ist und ob benannte Förderzwecke auch mit den aufgewendeten Mitteln erreicht werden. Aber der BRH hat weder politische Entscheidungen als solche zu kritisieren noch solche zu fordern. Entsprechend zurückhaltend sind daher auch manche zitierfähigen Antworten Schellers ausgefallen.

Während 'markt intern' häufiger den Eindruck hat, Verwaltung und Gesetzgeber nähmen die Berichte des BRH nicht ausreichend ernst, fiel Schellers Bewertung nicht ganz unerwartet anders aus: „Manchmal brauchen wir einen langen Atem. Ich kann Ihnen aber auch von vielen Fällen berichten, wo man uns folgt. Ein Beispiel ist der Steuervollzug im Onlinehandel. Das ist für Ihre Leser sicherlich ein wichtiges Thema. In vielen Fällen folgt man uns, bei anderen bleiben wir hartnäckig. Das Bohren dicker Bretter ist Teil unseres Geschäfts. Aber zur Wahrheit gehört auch: Wir leben in einer Demokratie. Die externe Finanzkontrolle gibt keine Weisungen, sondern muss durch Argumente überzeugen.“ Ein aus Sicht des BRH anschauliches Beispiel, wo sein Wirken letztlich Erfolg gezeigt hat, ist die ordnungsgemäße Besteuerung der Onlineumsätze. Dem Thema widmet sich der BRH und seit einiger Zeit auch sein Präsident mit großem Engagement:

„Wir haben es hier mit großen finanziellen Dimensionen zu tun. Auf diese Steuerausfälle haben wir die Politik immer wieder hingewiesen. Und siehe da, es tat sich etwas. Wir sind jetzt am Ende eines Gesetzgebungsprozesses mit einer entsprechenden Regelung, die ab Januar 2019 in Kraft treten soll. Für den fairen Wettbewerb ist es Gift, wenn Unternehmen aus Drittstaaten die Umsatzsteuer einfach nicht in Rechnung stellen. Sie haben damit um 19 Prozent günstigere Verkaufspreise und dem Staat entgehen diese Einnahmen. Mit unseren Empfehlungen, dieses Problem anzugehen, haben wir die Diskussion sicherlich mitangeschoben. Wir thematisieren das Thema übrigens auch auf europäischer Ebene im Kreis der Rechnungshofkollegen aus den 28 EU-Ländern, da es ja ein internationales Problem ist.“ 'mi' kann den BRH nur ermutigen, hier nicht nachzulassen. Die Wettbewerbssituation des stationären Einzelhandels ist angespannt genug. Ohne eine gerechte Besteuerung aller Marktteilnehmer wird sie unerträglich.

An anderer Stelle gehen die Bewertungen dagegen durchaus in unterschiedliche Richtungen. So hat 'mi' massiv kritisiert, dass die Einführung elektronischer Registrierkassen mit teilweise aufgebauschten Meldungen zum Umfang der Steuerhinterziehung erfolgt ist. Dass es in manchen Bereichen der Gastronomie und des Handels unzulässige Steuerverkürzung gibt, ist unstrittig, allein der Umfang ist nach wie vor unbekannt. Auch der BRH hat keine eigenen Erkenntnisse, wie hoch tatsächlich die Steuerausfälle im Handel und der Gastronomie aufgrund lückenhafter Belegaufzeichnungen sind. Scheller hat insoweit aber auch einen anderen Ansatz: „Uns interessiert das System, nicht so sehr die politische Bewertung etwaiger Volumina.“ Deshalb sei der BRH seit 2003 unterwegs und fordere eingriffssichere moderne elektronische Kassensysteme, die möglichst nicht manipulierbar sind. Natürlich gebe es auch offene Ladenkassen, wo das alles sehr schwierig umzusetzen sei. Gleichwohl habe der BRH keine Prüfungsergebnisse, die belegen würden, dass „große Anbieter im Einzelfall oder auch in großem Maße Umsatzsteuer hinterziehen. Wir sind aber nicht die 'Finanzpolizei', sondern interessieren uns für Fehler im System.“ Würde der BRH darauf verzichten, sich ohne konkrete Zahlen die Systeme anschauen, „hätten wir ein Problem. Denn im Steuerbereich gibt es viele Dunkelfelder, bei denen wir nicht wissen, wie hoch der Ausfall tatsächlich ist. Unsere Prüfer machen bei der Auswahl der Prüfungsthemen Bewertungen, wo die Risiken besonders hoch sind, ohne immer genau zu wissen, ob dem Staat zwei, drei oder fünf Milliarden Euro entgehen.“

Breiten Raum nahm auch die Diskussion ein, wie es um das Ausgabeverhalten des Staates bestellt ist. Der BRH moniert selbst, es werde zu wenig investiert, es erfolge keine ausreichende Schuldentilgung und gleichzeitig würden neue Belastungen aufgebaut. Da stellt sich logischerweise die Frage, ob nicht tatsächlich deutlich mehr eingespart werden müsste als bisher. Scheller räumt in Teilen unverständliche Ausgaben ein. Gleichzeitig gebe es einen politischen Wettbewerb „um die begrenzten finanziellen Ressourcen, denn der Druck auf den Haushalt wächst“. Deshalb empfehle der BRH, „Ausgaben stets nach ihrer Zielerreichung zu hinterfragen und Maßnahmen möglichst effizient zu gestalten. Fördermaßnahmen beispielsweise, die absolut unwirksam sind, sollten eingestellt werden“. In den Bemerkungen 2018 des BRH findet sich im Übrigen der Hinweis, der Bundeshaushalt sei inzwischen zu 90 Prozent mit festen Ausgaben belegt. Lediglich zehn Prozent stehen noch zur Disposition des Bundestages.

Ein Feld, auf dem auf jeden Fall hoher Verbesserungsbedarf besteht, ist das Management der Energiewende. Aktuell hat der BRH zum wiederholten Mal kritisiert, das federführende Bundesministerium für Wirtschaft habe keinen Plan, wie die Energiewende gemanagt werden soll, ja schlimmer noch, es fehle ihm trotz zahlreicher Datenquellen der exakte Überblick. Unglaubliche 165 Milliarden Euro sind nach Erkenntnissen des BRH in den letzten fünf Jahren in die Energiewende geflossen. Gelder, die von den Unternehmen und den Bürgern stammen, die sie mit ihrer Stromrechnung oder ihren Steuergeldern bezahlen. Scheller räumt ein, dieser Zustand sei auch für den BRH unbefriedigend, weshalb man mit diesen Erkenntnissen auch an die Öffentlichkeit gegangen sei. Man freue sich, eine enorme Resonanz erfahren zu haben, „von Bürgern, aus der Politik und auch von vielen Universitäten. Jetzt haben die Abgeordneten des Bundestages Gelegenheit, mit unseren Erkenntnissen zu arbeiten, Debatten zu führen und der Bundesregierung Fragen zu stellen. Das kann die Öffentlichkeit übrigens auch. Dass Sie da so wachsam sind, freut mich sehr.“ Mi fügt hinzu: Bei jedem privaten Unternehmen hätte es naturgemäß längst personelle Konsequenzen gegeben. In den Ministerien, bei den verantwortlichen Politikern? Fehlanzeige!

Schließlich wollten wir mit Scheller auch ein Thema erörtern, das wir zuletzt intensiv aufgearbeitet haben: die offenbar unzureichende Kontrolle der Finanzen der Bundestagsfraktionen. Der BRH hat sich jüngst dazu in einem Sonderbericht geäußert. Er hat sich aber auf einen Teilausschnitt beschränkt: die fehlenden gesetzlichen Regelungen zur Insolvenz. Aus unserer Sicht wäre aber die gesamte Rechnungslegung verbesserungsbedürftig. Scheller bekennt, der BRH wünsche sich hier durchaus mehr Transparenz. Deshalb seien die Prüfungsergebnisse sehr wichtig. „Häufig haben wir es mit zu viel Regelungen und Vorschriften zu tun“, betont Scheller, aber bei der Liquidation von Bundestagsfraktionen „haben wir vielleicht zu wenig Vorschriften. Zu wenig Regelung, Klarstellung der Abwicklung von Fraktionen, die nicht mehr existieren.“ Das habe man zum Anlass genommen, „dem Parlament sozusagen den Spiegel vorzuhalten und ihm unsere Erkenntnisse aus begleiteten Prüfungen der Liquidationen von zwei Fraktionen gegeben. Der Gesetzgeber sollte die Lücken im Abgeordnetengesetz durch klare Regelungen schließen und so das Liquidationsverfahren beschleunigen.“ Was das Parlament daraus macht, obliegt nicht dem BRH. Scheller kann und darf sich nicht dazu äußern, wie die Politik reagieren wird. Wir schon! Wir vermuten mal, sie wird gar nichts ändern. Das liegt in der Natur der Sache. Da die Parlamentarier die Begünstigten dieser Regelung sind, ist es unwahrscheinlich, dass sie sich ihren Vorteil nehmen. Dafür muss die Bevölkerung schon selbst sorgen, indem sie immer wieder ihre Abgeordneten befragt, wie sie es mit der Finanzausstattung der Fraktionen und der Kontrolle der Mittelverwendung halten.

Das vollständige Redaktionsgespräch mit Kay Scheller können Sie auf unserer Webseite hier nachlesen: www.markt-intern.de/scheller. Dort erfahren Sie beispielsweise auch, was er über das neue Baukindergeld und dessen Abwicklung oder die Förderung der Elektromobilität denkt. Sie können nachlesen, in wessen Auftrag der BRH tätig wird und was Scheller zu möglichen Überregulierungen zu sagen hat. Zudem können Sie sich dort auch ein Videointerview anschauen, das wir mit ihm im Anschluss an die Diskussion geführt haben.