Dienstag, 17. Oktober 2023

ifo Institut sieht dramatische Entwicklung beim Wohnungsbau

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Es ist noch nicht lange her, da erlebte die deutsche Wohnungsbauwirtschaft eine Phase des Booms. Niedrige Zinsen und der akute Wohnraumbedarf in den großen Ballungszentren sorgten für eine florierende Nachfrage. Institutionelle Investoren wie auch Familien träumten vom deutschen Betongold. Die Preise für Wohnimmobilien stiegen von Monat zu Monat. Dies zeigte sich auch in den monatlichen ifo Konjunkturumfragen. 2018 und 2019 verzeichnete der Klimaindikator für den Wohnungsbau entsprechend Höchststände: In der Spitze lag er oberhalb der 30-Punkte-Marke – erstmals seit Beginn der Zeitreihe 1991.

Vier Jahre später hat sich die Situation aus Sicht der Forscher des ifo Instituts vollständig gedreht. In einer aktuellen Untersuchung kommen sie zu bedrohlichen Ergebnissen für die Wohnungsbauwirtschaft. Die Stimmung im Wohnungsbau ist aktuell am Tiefpunkt. Die Genehmigungszahlen für neue Wohneinheiten lagen im ersten Halbjahr 2023 sagenhafte 27,2 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Im September 2023 markierte der Klimaindikator in der Bauwirtschaft mit –54,8 Punkten einen neuen Tiefststand seit Beginn der Erhebung durch das ifo Institut.

Zwar habe, so die Autoren der Studie, schon die Corona-Pandemie für erhebliche Engpässe beim Baumaterial gesorgt. Gleichwohl habe sich die Bauwirtschaft seinerzeit als robust erwiesen. Trotz Pandemie sei es auf den deutschen Baustellen vorangegangen. Doch damit ist seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine vorbei. Zunächst beeinträchtigte der Krieg die Materialbeschaffung, da Russland wie die Ukraine wichtige Lieferanten waren. Hinzu kamen die hohen Preise für Energieträger. Verschärft wurde dies durch hauseigene Probleme Deutschlands: Die durchschnittliche Dauer von der Genehmigung bis zur Fertigstellung einer Wohneinheit verlängerte sich seit Beginn der Lieferkettenstörungen um etwa zwei Monate, von durchschnittlich 20 Monaten (2020) auf 22 Monate (2022).

Zwar, so die Münchner Forscher, habe sich die Versorgungslage beim Baumaterial wieder entspannt. Doch dafür seien neue Probleme hinzugekommen: die steigende Zinsbelastung der Bauherren. Seit Mitte 2021 ist die Inflationsrate sprunghaft angestiegen, bis sie im Oktober und November 2022 mit 8,8 Prozent ihren Höhepunkt erreichte. Daraufhin stiegen die Zinsen für Baugeld aufgrund der massiven Zinserhöhungen der Europäische Zentralbank (EZB) seit Juli 2022 in bisher unbekanntem Tempo. Die Effektivzinssätze für Wohnungsbaukredite an private Haushalte mit einer Zinsbindung über fünf bis zehn Jahre sind seit dem Tiefpunkt der Niedrigzinsphase auf derzeit 3,81 Prozent geklettert und haben sich damit mehr als verdreifacht. Gleichzeitig sind laut ifo die Baukosten für Wohngebäude seit Beginn der Pandemie um mehr als 40 Prozent gestiegen.

Von der Branche selbst werden neben den gestiegenen Materialkosten insbesondere hohe Nachhaltigkeitsstandards sowie langwierige und kostspielige Genehmigungsprozesse als Kostentreiber genannt. Zusätzlich wurde die Förderkulisse für den Neubau in der Zwischenzeit deutlich gestrafft: Waren bis Anfang 2022 beispielsweise noch Neubauten mit der Effizienzhaus-Stufe 55 förderfähig, sind derzeit nur noch Neubauten mit der Effizienzhaus-Stufe 40 mit deutlich höheren Gestehungskosten förderfähig.

Die Konsequenz liegt auf der Hand: Bauprojekte, die noch Anfang 2022 rentabel waren, sind heute oftmals nicht mehr finanzierbar. Diese Entwicklung sei jedoch aufgrund der langen Projektlaufzeiten bisher kaum in den Fertigstellungszahlen sichtbar. Die Zahl der im Jahr 2022 fertiggestellten Wohnungen lag nur knapp 4 Prozent unter den Fertigstellungen im Jahr 2020. Verglichen mit 2021 stieg die Zahl der Fertigstellungen sogar um 1 Prozent. Im Rahmen der monatlichen ifo Konjunkturumfragen war allerdings bereits seit Frühjahr 2022 auffällig häufig von Auftragsstornierungen die Rede. Im April 2022 meldeten erstmals über 10 Prozent der Befragten stornierte Projekte. Dieses Niveau sei seit Einführung der Frage im Januar 2012 noch nie beobachtet worden. Diese Entwicklung setze sich bis zum jetzigen Zeitpunkt fort und verstärke sich dabei. Der Indikator für die Bautätigkeitsbehinderung durch Auftragsstornierungen lag im September bei 21,4 Prozent und damit erheblich über dem langfristigen Mittel von 3,5 Prozent.

Auch bei den Baugenehmigungen sei inzwischen ein dramatischer Einbruch erkennbar. 2022 wurden 6,9 Prozent weniger Wohnungen genehmigt als im Vorjahr. Im ersten Halbjahr 2023 ging die Anzahl genehmigter Einheiten verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um 27,2 Prozent zurück. Besonders im Hinblick auf das von der Bundesregierung ausgewiesene Ziel von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr bezeichnen die Münchner die aktuelle Entwicklung als „dramatisch“. Sowohl Wohnungsbauinvestitionen als auch die Zahl der jährlich fertiggestellten Wohneinheiten würden nach aktuellen Schätzungen zukünftig schrumpfen. Die Gemeinschaftsdiagnose prognostiziert für 2023 einen preisbereinigten Rückgang der Wohnungsbauinvestitionen gegenüber dem Vorjahr um 2,1 Prozent. 2024 werde der Rückgang mit 3,6 Prozent voraussichtlich noch stärker ausfallen. Erst im Jahr 2025 rechnet die Gemeinschaftsdiagnose mit einer leichten Erholung der Wohnungsbauinvestitionen. Die Zahl neuer Wohnungen werde bis 2025 voraussichtlich auf ungefähr 200.000 schrumpfen.

Einziger Lichtblick aus Sicht der Autoren: Die Krise im Wohnungsbau habe gegenwärtig noch keine größeren Auswirkungen auf die Beschäftigung. Die Beschäftigungserwartungen für das Baugewerbe insgesamt lägen leicht im negativen Bereich. Der entsprechende Indikator sinke aber seit Monaten kontinuierlich. Es bestehe die Gefahr, „dass einmal abgebaute Kapazitäten in der Wohnungsbauwirtschaft nicht wieder aufgebaut werden können und dadurch ein potenzieller Wiederaufschwung ins Stocken gerät“. Mittelfristig, so ihr Fazit, werde vor allem entscheidend sein, wie sich die Leitzinsen entwickeln.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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