Richtsatzsammlung: Nachschätzungen von Betriebsprüfern ohne belastbare Grundlage
Düsseldorf, 26.09.2018. Das Bundesfinanzministerium (BMF) veröffentlicht jährlich eine sogenannte Richtsatzsammlung. Diese enthält eine Auflistung von Roh- bzw. Reingewinnen verschiedener Branchen. Stellt ein Betriebsprüfer fest, dass ein Unternehmen erheblich niedrigere Gewinne ausweist als nach den Branchendaten der Richtsatzsammlung plausibel, kommt es bei Vorliegen weiterer Indikatoren regelmäßig zu Zuschätzungen. Wie der bei ʹmarkt intern‘ in Düsseldorf erscheinende Informationsbrief ʹsteuerberater internʹ jetzt berichtet, sind jedoch Zweifel angebracht, ob die Daten der Richtsatzsammlung aktuell und repräsentativ sind. Dies ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des Bundestagsabgeordnete Stefan Keuter/AfD, die ʹsteuerberater internʹ vorliegt.
Auf die Frage, wie die Pauschbeträge für unentgeltliche Wertabgaben ermittelt werden, antwortete das BMF für die Bundesregierung, diese Beträge beruhten auf „Erfahrungswerten“. Grundlage bilden die Aufwendungen privater Haushalte für Lebensmittel, die vom statistischen Bundesamt alle fünf Jahre im Rahmen einer Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erhoben werden, also unternehmensferne allgemeine statistische Erhebungen, die nichts darüber aussagen, wie hoch die Sachentnahmen z. B. in Gaststätten oder Bäckereien sind, die völlig andere Einkaufsmöglichkeiten und ein anderes Konsumverhalten haben.
Im Jahr 2017 fanden zur Überprüfung der Richtsätze insgesamt 4.779 Betriebsprüfungen statt; dies entspricht rund 250 Betrieben je Klasse. Wie viele Unternehmen je Gewerbeklasse es gibt, weiß das BMF nicht. Da eine Gewerbeklasse erst ab 10.000 Betrieben Aufnahme in die Richtsatzsammlung findet, dürfte der Anteil der Unternehmen, deren Werte in die Richtsatzsammlung eingehen, deutlich unter 2 % liegen. Die Frage nach der Auswahl der geprüften Betriebe wird vom Ministerium damit beantwortet, die Auswahl beruhe auf den Vorschriften zur Außenprüfung nach den §§ 193ff Abgabenordnung (AO). Die AO enthält jedoch keine Vorschrift darüber, wie die zur Prüfung vorgesehenen Betriebe auszuwählen sind, zudem müssen verlustträchtige Betriebe selten mit einer Betriebsprüfung rechnen. In der Antwort betont das BMF, eine besondere Auswahl der Betriebe z. B. nach der Ertragslage mit der Zielstellung, die Festsetzung der Richtsätze zu beeinflussen, erfolge nicht.
Die Daten der Betriebe mit Verlusten gingen nicht in die Richtsatzsammlung ein, so das BMF. Zusätzlich werden jeweils 10 Prozent der Betriebe mit den höchsten und niedrigsten Gewinnsätzen herausgefiltert. So bleiben Verlustbringer und Schlusslichter unberücksichtigt.
Die Richtsatzsammlung ist auch unter dem Gesichtspunkt der Aktualität problematisch. Für einige Gewerbezweige wurden die Richtsätze zuletzt mit der Ausgabe 2014 aktualisiert. Betriebsprüfungen erfassen jedoch nur zurückliegende und veranlagte Jahre, weshalb die Auswertung auf Wirtschaftsjahren beruht, die noch weiter zurückliegen.
ʹsteuerberater internʹ-Chefredakteur Günter J. Stolz sieht seine Zweifel an der staatlichen Datensammlung bestätigt: „Die in der Richtsatzsammlung enthaltenen Werte werden durch die Betriebsprüfung der Finanzämter ermittelt. Schon die Auswahl der zu prüfenden Unternehmen lässt Zweifel daran aufkommen, dass repräsentative Werte ermittelt werden. Betriebe in der Verlustzone, bei denen der Prüfer kaum ein Mehrergebnis erzielen kann, werden erfahrungsgemäß weniger geprüft. Selbst wenn einmal ein Verlustbringer vom Finanzamt kontrolliert wird, so gehen die dort ermittelten Werte nicht in die amtliche Richtsatzsammlung ein. Außerdem bleiben 10 % der Betriebe mit den höchsten und niedrigsten Ergebnissen bei der Ermittlung der Durchschnittswerte unberücksichtigt. Hinzu kommt, dass nur eine überschaubare Anzahl von Betrieben geprüft wird.“
Ferner dürften viele Werte in der Richtsatzsammlung trotz jährlicher Veröffentlichung veraltet sein, so Stolz. Es ist nicht auszuschließen, dass manche dort genannten Werte auf Ergebnissen beruhen, die vor fünf oder mehr Jahren erzielt wurden. Zwischenzeitliche Veränderungen der Rahmenbedingungen bleiben damit unberücksichtigt.
ʹsteuerberater internʹ -Chefredakteur Günter J. Stolz empfiehlt daher Betroffenen, Zweifel an der Aktualität und Repräsentativität der Richtsatzsammlung anzumelden, sollte ein Betriebsprüfer sich hierauf berufen oder gar Schätzungen auf deren Grundlage vornehmen. Die Antwort des Bundesfinanzministeriums auf die parlamentarische Anfrage liefert jedenfalls ausreichende Argumente hierfür.
Den vollständigen Text aus ʹsteuerberater internʹ 20/18 finden sie hier: www.markt-intern.de/richtsatzsammlung
Pressesprecher