„Digitale Wunderwaffe“ der Finanzverwaltung?
Ein Kommentar von Günter J. Stolz, Chefredakteur von 'steuerberater intern'
Unter der Überschrift „Zasterfahndung“ berichtete ein großes Wirtschaftsmagazin über die computerunterstützte Bearbeitung von Steuererklärungen. Am Beispiel einer Finanzbeamtin in Wuppertal-Elberfeld wird erläutert, wie beim ‚Anklicken‘ einer elektronisch eingereichten Erklärung sofort („in Sekundenbruchteilen“) eine Liste mit gleich acht Warnhinweisen erscheint.
Mit dabei: Handwerkerkosten in Höhe von 3000 €, 50 km Entfernung zur ersten Tätigkeitsstätte, stattliche Ausgaben für Arbeitsmittel. Gerade diese Beispiele machen jedoch deutlich, dass es hier keineswegs um ein ausgeklügeltes System zur Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten geht, sondern schlicht um Bearbeitungshinweise, die anzeigen, worauf der zuständige Beamte achten sollte. Dies ist auch nicht neu. Schon zu Zeiten, als Steuererklärungen in Papierform eingereicht, manuell erfasst und in Rechenzentren verarbeitet wurden, gab es elektronische Bearbeitungshinweise, falls einzelne Kostenpositionen oder die Steuererstattung selbst außerordentlich hoch waren.
Im Beitrag wird auch erläutert, warum es diese Hinweise gibt. Handwerkerkosten in Höhe von 3000 € seien ungewöhnlich hoch, die Kilometerangabe womöglich großzügig aufgerundet und bei hohen Ausgaben für Arbeitsmittel handle es sich ohnehin um einen beliebten Steuertrick. Schon mit bescheidenen Ansprüchen an Lebensnähe weiß man, dass selbst bei überschaubaren Reparaturen am Haus oder in der Wohnung Kosten im mittleren vierstelligen Bereich anfallen können. Arbeitswege von bedeutend mehr als 50 km sind für viele Arbeitnehmer Realität. Mit der Aussage, dass Arbeitsmittel gerne mit überhöhten Beträgen angesetzt werden, stellt der Artikel alle Steuerzahler unter Generalverdacht. Dieses nur für den Autor neue System führe zu „mehr Detektivarbeit und weniger Beamtenroutine“.
Dabei war es gerade die Routine, die in der Vergangenheit die Bearbeitung von Steuererklärungen effektiv und professionell gestaltet hat. Aus der Steuerakte ging hervor, dass der Steuerzahler in den letzten Jahren immer wieder sein Einfamilienhaus renovieren ließ und sich seine Arbeitsstelle im weit entfernten Automobilwerk befindet. Auch die regelmäßig hohen Arbeitsmittel mancher Berufsgruppen müssen nicht jedes Jahr erneut infrage gestellt werden. Deshalb hat niemand etwas davon, wenn in Abarbeitung der elektronisch erzeugten Hinweise und teilweise ohne Blick in die Steuerakte immer mehr Steuerzahler mit vermeidbaren Rückfragen zur Steuererklärung überzogen und Nachweise angefordert werden.
Der Urheber des Textes ist von dem Risikomanagementsystem der Finanzverwaltung so begeistert, dass er sich zu der schon sprachlich bedenklichen Bezeichnung als „digitale Wunderwaffe“ hinreißen lässt. Ergänzend hätte er vielleicht auch erwähnen sollen, dass damit in erster Linie Jagd auf kleine Fische gemacht wird, nämlich auf Arbeitnehmer, die versuchen, mit der berechtigten Geltendmachung haushaltsnaher Dienstleistungen und tatsächlich angefallener Werbungskosten ihre Steuerlast wenigstens geringfügig zu senken. Den Boden der sachlichen Berichterstattung verlässt der Autor mit der Aussage, für Steuertrickser werde die Luft dünner und die Zeiten, in denen Steuerfahnder kaum eine Chance hatten, Großbetrüger zu schnappen, seien endgültig vorbei.
Fernöstliche Händler, die über das Internet Millionenumsätze in Deutschland generieren, ohne die Umsatzsteuer abzuführen, oder kriminelle Vereinigungen, die mit Umsatzsteuerkarussellen gleich in mehreren Ländern unberechtigt Vorsteuerbeträge im sechs- bis siebenstelligen Bereich ergaunern, werden von dem Kontrollsystem nicht erfasst. Dieses trägt lediglich dazu bei, dass Steuererklärungen von Arbeitnehmern mit noch größerem Misstrauen begegnet wird und diese selbst schlüssige Ausgaben erläutern und bis auf den letzten Euro nachweisen müssen. Wie hilflos der Staat gegenüber wirklich großen Steuersündern ist, zeigten die ‚Cum-cum‘-Geschäfte mancher Investoren unter Zuhilfenahme von Großbanken. Es dauerte Jahre, bis dieses Schlupfloch geschlossen wurde, und es ist bis heute fraglich, ob der entstandene Steuerschaden jemals ausgeglichen wird - trotz des Risikomanagementsystems der Finanzverwaltung.
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