Formalismen beherrschen das Steuerrecht

Formalismen beherrschen das Steuerrecht Stellen Sie sich vor, Sie halten mit Ihrem Fahrzeug vorschriftsgemäß vor einer roten Ampel und erhalten dennoch ein Bußgeld, weil Sie keine 'Verfahrensdokumentation über das Halten vor roten Ampeln' im Handschuhfach mitführen. Im Straßenverkehr ist das undenkbar. Im Steuerrecht sieht dies jedoch ganz anders aus, wie unser erster Text über die Verfahrensdokumentation zur Kassenführung zeigt. Manchmal scheint nicht mehr die materielle Richtigkeit der Buchführung oder der Gewinnermittlung im Vordergrund zu stehen, sondern formale Anforderungen, z. B. an die Kassenführung oder die eines Fahrtenbuchs. Der Grund hierfür liegt auf der Hand. Gelingt es, die formale Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ganz oder teilweise anzuzweifeln, ist völlig überzogenen Schätzungen Tür und Tor geöffnet. Diese bescheren dem Prüfer ohne größeren Aufwand ein sattes Mehrergebnis und dem Fiskus neben den Steuern Nachzahlungszinsen in sittenwidriger Höhe. Sogar beim einzelnen Beleg steht häufig der Formalismus im Vordergrund, wie die überbordenden Regelungen im § 14 UStG zeigen. Selbst wenn feststeht, dass der in der Rechnung genannte Gegenstand geliefert, bezahlt und für das Unternehmen des Empfängers bestimmt war, wird der Vorsteuerabzug versagt, falls nur eine der geforderten Angaben fehlt. Auch wenn der einzelne Betrag im Verhältnis zum Gesamtumsatz des geprüften Unternehmers lächerlich gering ist, müssen wir uns nicht nur eine Kürzung des Vorsteuerabzugs gefallen lassen, sondern zuweilen sogar einen oberlehrerhaften Vortrag des Betriebsprüfers zu formalen Anforderungen an Rechnungen, manchmal sogar mit dem Hinweis an den Mandanten, dass sein Steuerberater ihn doch hierauf hätte hinweisen müssen. Betroffene Unternehmer können meist nur den Kopf schütteln und wir als Steuerberater müssen uns um die Schadensbegrenzung kümmern, was nicht immer gelingt. Gewinner ist in jedem Fall der Fiskus, weshalb wir nicht ernsthaft damit rechnen können, dass es in Zukunft weniger formale Anforderungen gibt. Eher das Gegenteil wird der Fall sein. Und: Die Verfahrensdokumentation für das Halten vor roten Ampeln sollten wir vorsorglich schon einmal vorbereiten, für den Fall, dass der Staat das Einnahmepotenzial einer diesbezüglichen Vorschrift erkennt.