Zwischenahner Dialog — Vernetzung, Nachwuchs, Bedürfnisse

Nach einer Pause von dreieinhalb Jahren startete am vergangenen Donnerstag und Freitag, 17./18. November, endlich der Zwischenahner Dialog in seine nunmehr sechzehnte Folge. Veranstalter ist der Landesapothekerverband Niedersachsen. Zu dieser Netzwerkveranstaltung des LAV und des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises Nordwest der Forschenden Arzneimittelhersteller (GPA-NW) sind neben den Vertretern der Pharmafirmen u. a. die Bezirksapotheker von LAV, Vertreter der LAVen und Kammern, Partner des Gesundheitswesens wie Vertreter der Medizin, Krankenkassen sowie Politiker des Gesundheitsausschusses des Niedersächsischen Landtages eingeladen. Die Veranstaltung soll eine Plattform für den interdisziplinären Austausch zwischen allen Beteiligten des Gesundheitswesens bilden. So sehen wir eine illustre Teilnehmerliste aus dem Kreis der 18 Pharma-Unternehmen, die mit ihrem Beitrag die Veranstaltung fördern. Letztlich eine übersichtliche Truppe, die in der Wandelhalle in Bad Zwischenahn (mit Blick auf das Zwischenahner Meer) tagte.

Zur Diskussion wurden die Herausforderungen für das Gesundheitswesen der 20er Jahre dieses Jahrhunderts gestellt. Klar, die ersten Jahre standen unter den Einflüssen der Corona-Pandemie. Doch welche weiteren Veränderungen und neuen Herausforderungen stehen für das Gesundheitswesen an? Dabei sollten insbesondere der Fachkräftemangel, die Bedeutung bereichsübergreifender vernetzter Dienstleistungen und die Weiterentwicklung von digitalen Strukturen intensiv betrachtet werden. Die Liste der ­Referenten klang vielversprechend und weckte das Interesse der Redaktion.

Berend Groeneveld, Vorstandsvorsitzender des LAV, er­öffnete die Veranstaltung, die von ABDA-Pressesprecher Dr. Reiner Kern moderiert wurde: „Die Leistungserbringer des Gesundheitswesens stehen vor vielen Herausforderungen, die die Pandemie noch einmal verschärft hat. Es bringt uns nicht weiter, gegeneinander zu arbeiten, sondern wir müssen gemeinsam Lösungsansätze ausloten, um den neuen Herausforderungen des Gesundheitssystems zu begegnen und die Gesundheitsversorgung in den niedersächsischen Regionen für die Patienten weiterhin sicherzustellen.“ Natürlich vergaß Groeneveld nicht, auf die Belange der Apothekerschaft hinzuweisen. Über die gesamte Pandemiezeit hinweg seien immer mehr Leistungen für das gleiche Geld von den Apothekern erbracht worden. Nach Verabschiedung der Spargesetze würde jetzt für die gleichen Leistungen sogar weniger gezahlt.

Als erster Referent trat Rechtsanwalt Dr. Joachim Kasper ans Pult. Sein Thema lautete: „Ist der Rechtsrahmen im Gesundheitswesen für die zukünftigen Herausforderungen ausreichend?“ Natürlich, wie könnte es anders sein, führte der Jurist Beispiele dafür auf, wie Kooperationen von Apotheken mit anderen Leistungserbringern durch Rechtsnormen verboten werden. So verhindert § 11 Apothekengesetz als Ausgangsnorm, im Zusammenspiel mit weiteren Vorschriften, zahlreiche ­Kooperationsmöglichkeiten, selbst wenn diese in der Praxis noch so viel Sinn machen würden. Dabei muss nicht einmal, wie im Gesetzestext erwähnt, eine Absprache zur Lieferung oder Fertigung von Arzneimitteln getroffen werden. Kooperationsvereinbarungen, die eine bestimmte Form von Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern regeln, etwa eine fachliche Aufteilung bestimmter Tätigkeiten, die zu besseren Ergebnissen bei der Versorgung der Patienten führen würden, sind bereits kritisch zu betrachten. Ein sehr unterhaltsamer Vortrag, dessen juristische Details wir Ihnen ersparen.

Claudia Schaa, Unternehmensbereichsleiterin Arzneimittel­management der AOK Niedersachsen, nahm die pharmazeutischen Dienstleistungen in der Apotheke ins Visier. Die aufgeworfene Frage nach der „Lösung aller Probleme?“, musste sie auf Basis der vorliegenden Zahlen negativ beantworten. Seit 2016 werden die Ärzte für die Erstellung und Pflege von Medikationsplänen honoriert. Seit März 2017 können auch niedersächsische Apotheken infolge einer Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung, der AOK und dem Apothekerverband diese Beratungsleistungen in Niedersachsen abrechnen. Ernüchternd: 31 niedersächsische Apotheken haben überhaupt eine solche Leistung in 64 Fällen abgerechnet. 33 Beratungen zur Inhalationstechnik erfolgten. Wie wenig dies insgesamt ist, hob Claudia Schaa anhand einer Schätzung hervor: Rund 1 Mio. Betroffene, die honorierte pharmazeutische Dienstleistung in Anspruch nehmen könnten, gibt es in Niedersachsen. Ein großes Potenzial, das ungenutzt bleibt!

Wie die Zusammenarbeit, wenn auch mit manchen Hindernissen, funktionieren kann, erklärte Dr. Maren Preuß in ihrem Vortrag 'Gesundheitsregion Niedersachsen – vernetzte Versorgung mit Zukunft'. Die Fachreferentin der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen koordiniert mit weiteren Kollegen die Zusammenarbeit in den Regionen. So lassen sich beispielsweise Probleme lösen, die durch fehlende Haus­ärzte oder mangelnde Geburtszentren entstehen können. Zum Start beteiligten sich drei Landkreise, inzwischen sind es 38 Landkreise und kreisfreie Städte in 30 Regionen, die gemeinsam Projekte angehen. Dabei spielen monetäre Anreize keine Rolle. Bei rund 20 Gesundheitskonferenzen pro Jahr werden die niedersächsischen Projektbeispiele vorgestellt. Eine Neuausrichtung der öffentlichen Gesundheitsdienste, die Kooperation bzw. verbesserte Zusammenarbeit der Gesundheitsregionen können und sollen vorangetrieben werden. Aus dem Plenum wird die Frage gestellt, warum Apotheken bei keinem der bisherigen Projekte dabei waren. Bedeutet die Antwort, dass eine Beteiligung nicht vorgesehen war, schlicht und ergreifend, dass man sie vergessen hat? Wir sind uns sicher, da wird Berend Groeneveld nachhaken!

Der zweite Tag startete mit einem herausragenden Beitrag von Dr. Christian Hönemann, Chefarzt des Marienhospital Vechta und Vorstandsmitglied des Hartmannbundes Niedersachsen. 'Ärztemangel auf dem Land – helfen Vor-­Ort-Projekte bei der Bewältigung dieser Herausforderung?' lautete das Thema. Zunächst hören wir statistische Daten. So waren 2021 so viele Ärzte zugelassen, wie nie zuvor, nämlich rund 548.000. Im Jahr 1990 waren es noch 288.000 – doch ändert dies nichts an der Quote für die Versorgung der Patienten, weil immer mehr Ärzte in der Industrie, Verwaltung oder sonstigen Bereichen tätig sind. Von knapp 99.000 zur Wende schmolz die Zahl der Studienplätze auf 78.500 im Jahr 2007 und stieg dann langsam bis zum Jahr 2021 wieder auf rund 105.000 an. Für das, was ­Hönemann kurz als „Akquise von Ärzten“ bezeichnet, feuern er selbst und sein Team ein regelrechtes Feuerwerk ab. Die meisten Ärzte wollen nach dem Abschluss des Studiums möglichst in der Nähe des Studienortes praktizieren. Deshalb stellen Hönemann und Team sich bereits bei Informationstagen in den Universitäten vor, bieten Praktikumsplätze und Facharztausbildungen – immer mit dem Ziel vor Augen, später Kollegen interessieren und halten zu können. Stipendien in Verbindung mit ausländischen Universitäten, Fachvorträge, Teilnahme an (wissenschaftlichen) Veranstaltungen – man hat das Gefühl, Dr. Hönemanns Tag hat mehr als 24 Stunden. Und wir merken: Er brennt für die Gewinnung von Ärzten für sein Team und 'sein' Krankenhaus.

Daran schließt Tanja Bimczok, Pressereferentin des LAV Niedersachsen, mit der Vorstellung von Nachwuchsprojekten an. Auch der LAV setzt auf eine Vielzahl von Ansatzpunkten, bei denen die Zusammenarbeit mit den Apotheken vor Ort eine besondere Rolle spielt. Ein Referentenpool von gut 135 Pharmazeuten wird aktuell unterstützt. Das breit aufgestellte Konzept beginnt bei der Kontaktaufnahme zur Landesschulbehörde und einzelnen Schulen mit dem Angebot zur Teilnahme an Berufsorientierungsveranstaltungen. Sind Apotheken und Schulen zusammengebracht, werden die Kollegen mit Präsentationen, Informationsmaterialien, Postern und Give-­aways unterstützt. Die Kollegen sind auf großen Messen unterwegs, dürfen dabei auch ganz naheliegende Fragen wie „Was verdient man denn so?“, beantworten.

Das Fazit der beiden zuletzt aufgeführten Beiträge:  Um Nachwuchs zu gewinnen sind zahlreiche Aktivitäten, von Bundes- über Landesverbände bis hin zu Initiativen vor Ort notwendig  Das Bespielen der Social-Media-Kanäle macht für eine einzelne Apotheke nur wenig Sinn, da eine Landes- oder Bundes-Organisation mehr ­Reichweite erzielen kann  Ein Bewerber kann sich allerdings nur für Ihr Unternehmen entscheiden, wenn Sie dieses entsprechend vorstellen. Sei es im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis. Und in den Schulen der Gemeinde. Dazu gehört selbstverständlich auch Praktika anzubieten, erst recht für Pharmazeuten, die ihr Studium gerade abgeschlossen haben und auf dem Weg zur ­Approbation sind  „Ich würde heute nicht mehr Apotheker werden wollen“, hören wir aktuell des Öfteren – bei der Mitarbeitersuche wenig hilfreich  Weitere Beiträge des sehr informativen, abwechslungsreichen Zwischenahner Dialogs werden wir in die folgenden Apotheke/Pharmazie-Branchenbriefe einfließen lassen.