'Sold by Amazon': Rausverkauf der unternehmerischen Freiheit

„Zur Beendigung unseres Verfahrens wird Amazon seine Geschäftsbedingungen für die auf dem Marketplace tätigen Händler für den deutschen Marktplatz amazon.de, für alle europäischen Marktplätze (amazon.co.uk, amazon.fr, amazon.es, amazon.it) sowie weltweit für alle seine Online-Marktplätze einschließlich der amerikanischen und asiatischen Marktplätze anpassen“, verkündete Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, vor einem Monat mit breiten Schultern. Dass das von den Kartellwächtern ausgehandelte Abkommen – anders als öffentlichkeitswirksam dargestellt – mehr leidiger Kompromiss als tatsächliche Knallhart-Vorgabe für den Online-Giganten ist, lässt sich an der neuerlichen Ansage Amazons erkennen, die mitunter in unmittelbarem Zusammenhang mit den Bestrebungen der Bonner Behörde gesehen werden dürfen, sich als globaler Marktwächter aufzuspielen: 'Sold by Amazon', kurz SBA, lautet die Reaktion aus Seattle auf Kritik sowohl aus den USA als auch Europa. Wie zuerst das US-Medienunternehmen CNBC berichtet, sichert sich Amazon mit diesem Programm die Preiskontrolle über Warenbestände von Marktplatzhändlern – und zwar langfristig! Demnach erlauben Händler, die sich für SBA registrieren, Amazon, eigenständig die Preise für einzelne Produkte festzusetzen. Im Gegenzug erhalten die Händler einen Mindestbruttoerlös (MGA; Minimum Gross Proceed), auch wenn der Artikel unterhalb der vereinbarten Untergrenze verkauft wird. Das Programm ist zunächst in den USA
gestartet und gilt vorerst nur für solche Marken,
bei denen der Händler auch Markeninhaber ist – demnach also z. B. Handelsmarken, aber eben auch Hersteller.

Der radikale Angriff auf die Mechanismen der freien Marktwirtschaft hat bei Amazon Tradition: Preisparitätsklauseln, wonach Marketplace-Händlern verboten wurde, die auf dem Marktplatz verkaufte Ware anderswo im Netz günstiger anzubieten, wurde von den Kartellbehörden gekippt. Das FBA-Programm, mit dem sich Amazon direkten Zugriff auf Händlerware gewährte und diese damit teils in den Rechtsbruch trieb, ist weiterhin in Kraft und lebendiger denn je: Genau diese FBA-Händler, die den Amazon-Fulfillment-Dienst nutzen, sind es nun auch, die auf SBA upgraden können. Die volle Tragweite dieser Strategie wird deutlich, wenn man sich die Bedeutung Amazons für den hiesigen Gesamtmarkt – nicht nur im E-Business – anhand aktueller Zahlen vor Augen führt:

Der Studie 'Gatekeeper Amazon – Vom Suchen und Finden des eigenen Erfolgswegs' des IFH/Köln zufolge generiert Amazon Wachstumsimpulse vor allem aus dem Marktplatzgeschäft, während das Eigenhandelsvolumen 2018 'nur' um 2,2 % gewachsen ist. Doch ist Amazon kein reines Online-Phänomen, der Einfluss des Online-Giganten auf die gesamte deutsche Handelslandschaft ist enorm und wächst weiter: Rund 31 % aller Umsätze im Nonfood-Bereich – egal ob online oder stationär – sind schon heute von Amazon abhängig! Ganze 7 % sind Umsatz des Handelsriesens selbst, die übrigen 24 % entfallen auf Umsätze, die direkt von Amazon beeinflusst werden, zum Beispiel durch die Informationssuche auf der Onlineplattform Durchschnittlich 60 % der Online- und 27 % aller stationären Käufe geht eine Recherche bei Amazon voraus.

'mi' meint: Diese Flächenwirkung eines einzelnen Unternehmens auf ganze Volkswirtschaften lässt die häufig gemutmaßten Tankstellen- und Bierkartelle wie Klosterschüler dastehen Unter diesen Voraussetzungen würde die avisierte totale Preiskontrolle – für den Anfang reichen einige wenige strategische Marken einer Warengruppe – komplette Industriezweige in die Knie zwingen Im Unterschied zu z. B. einmalig festgelegten Abgabepreisen im Zuge einer Werbemaßnahme einer Kooperation oder eines Verbunds sichert sich Amazon mit SBA dauerhaft die Preishoheit, kontrolliert die Handelsspanne und dadurch wiederum dessen Disposition beim Hersteller! Der Online-Gigant aus Seattle hat sich einen Machtzirkel erschaffen, der nur durch entschlossenes Vorgehen der Behörden durchbrochen werden kann Die Feststellung, ob Amazon „über eine marktbeherrschende Position verfügt oder nach deutschem Kartellrecht relativ marktmächtig ist“ – Voraussetzung für eine Verfolgung missbräuchlicher Verhaltensweisen –, ließ das BKartA im Zuge des Verfahrens „aufgrund der frühzeitig erklärten Kooperationsbereitschaft von Amazon“ übrigens offen!