Händler wollen Verfassungsbeschwerde gegen Öffnungsverbote einlegen

Wir haben in früheren Ausgaben bereits über einige Klagen und Urteile berichtet, mit denen Einzelhändler sich gegen die anhaltende weitgehende Schließung ihrer Geschäfte wehren, die zudem aufgrund der Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) noch lange anhalten dürfte. Aktuell wollen wir auf zwei Verfahren etwas näher eingehen. Da ist zum einen eine Klägergemeinschaft, der Unternehmen wie Intersport, Rose Bikes oder auch ANWR Group angehören. ANWR hatte bereits das sensationelle Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) erstritten, wonach Schuhfachgeschäfte in Bayern öffnen dürfen, weil sie als „sonstiges für die tägliche Versorgung unverzichtbares Ladengeschäft“ anzusehen seien. Den letzten Anstoß, Verfassungsbeschwerde zu erheben, gab den Unternehmen die Einführung der Corona-Notbremse im Infektionsschutzgesetz, die im Prinzip den Rechtsweg nach Karlsruhe eröffnet hat.

ANWR-Vorstand Fritz Terbuyken nennt als Begründung für diesen Schritt gegenüber dem Handelsblatt: „Da es bei vielen Händlern zwischenzeitlich um Existenzen geht, sind wir bereit, alle Rechtswege zu beschreiten.“ Deswegen hat sich die Klägergemeinschaft auch mit der Initiative 'Das Leben gehört ins Zentrum' zusammengeschlossen, der wiederum beispielsweise das Filialunternehmen Deichmann sowie der Shoppingcenter-Betreiber ECE angehören. Alexander von Pren, Vorstandsvorsitzender der Intersport, erklärt gegenüber dem Handelsblatt, alle Schritte zielten darauf ab, „eine Perspektive zu bekommen, dass unsere Läden öffnen dürfen – selbstverständlich unter strengen Hygienekonzepten“. Juristisch wird es darum gehen, die Karlsruher Verfassungsrichter davon zu überzeugen, dass die Maßnahmen gegenüber dem Einzelhandel gleichheitswidrig und unverhältnismäßig sind. Und dafür gibt es wahrlich gute Gründe. Auch 'mi' hat sie in seinem Offenen Brief angesprochen: Beispielsweise die Tatsache, dass Lebensmittelmärkte Nonfood-Artikel verkaufen dürfen, die betroffenen Nonfood-Handelsunternehmen aber nicht, was epidemiologisch keinen Sinn ergibt. Auch die Tatsache, dass in Büros weiter gearbeitet werden darf, aber in epidemiologisch weniger gefährlichen großen Ladengeschäften unverändert nicht eingekauft werden darf, ist ein solches Beispiel. 'markt intern'-Herausgeber Olaf Weber hat in einem aktuellen Kommentar dies erneut thematisiert und die Unterstützung des Verlages für Verfassungsbeschwerden angeboten (lesbar auf miDIREKT unter Themen Mittelstandspolitik).

Nicht vor dem Bundesverfassungsgericht, wohl aber vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg wehrt sich der 'mi'-Ehrenredakteur Gerhard Hämmerle für sein Geschäft EP:Elektro Hämmerle in einem Normenkontrollverfahren gegen die baden-württembergische Corona-Verordnung. Seinen Prozessvertreter, Rechtsanwalt Alexander Rödel, bringt besonders auf die Palme, dass sich das Land Baden-Württemberg gegen die beantragte Einstweilige Aufhebung der Maßnahmen, die allein mit dem Überschreiten des Inzidenzwertes begründet werden, mit der Formulierung wendet: „Andere, gleich aussagekräftige Faktoren (als den Inzidenzwert, Anm. d. Red.) gibt es schlicht nicht.“ Das ist für Rödel bloße Willkür. Wörtlich heißt es dazu in seiner Erwiderung gegenüber dem VGH: „Das einzige Argument, das die Antragsgegnerin für das Beschränken und/oder Wegsperren des Unternehmens der Antragstellerin vorbringt, ist der Inzidenzwert. Sie bestätigt selbst, dass sie auch nach weit über einem Jahr der Pandemie nach wie vor sonst schlicht nichts hat. Das Argument, dass man sonst nichts habe, ist offensichtlich nicht damit gleichzusetzen, dass es eben deshalb inhaltlich stimmen müsse, weil man ja sonst nichts habe. Diese Art der Beweisführung hält vor keinem deutschen Gericht Stand. Das Argument, die Entscheidungsgrundlage ist richtig, weil man sonst keine habe, ist keines.“

Rödel argumentiert, das Schließen nicht privilegierter Geschäfte bei Offenhaltung der privilegierten sei zur Infektionsabwehr ungeeignet. Insbesondere gelte dies für Vollsortimentsgeschäfte, wie Verbrauchermärkte, die unverändert sowohl Food- wie Nonfood-Artikel verkaufen dürfen. Verkaufsströme würden dadurch nicht entzerrt, sondern im Gegenteil, die Verkaufsströme in den privilegierten Geschäften würden verstärkt. Aus dem gleichen Grund sei diese Ungleichbehandlung auch nicht erforderlich und zudem unverhältnismäßig. Der VGH hat den Antrag auf vorläufige Außerkraftsetzung der beanstandeten Normen am 15. April abgewiesen. Zwar sei der Ausgang des Hauptverfahrens – die Frage nach der Zu- bzw. Unzulässigkeit der getroffenen Maßnahmen – offen, aber eine einstweilige Außerkraftsetzung nicht dringend geboten.

Dies begründet er damit, die Regelungen würden sich voraussichtlich im Hauptverfahren als verhältnismäßig herausstellen. Die Zweifel an der Belastbarkeit der Inzidenzwerte teilt der VGH nicht. Immerhin betont er mehrfach, die Maßnahmen seinen „(noch) verhältnismäßig“ oder es liege „gegenwärtig noch kein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht“ des ausgeübten Gewerbebetriebs vor. Der VGH sieht in der unterschiedlichen Behandlung der Einzelhandelsbetriebe, die öffnen dürfen, und derjenigen, die schließen müssen, keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes. Sie sei aufgrund „gewichtiger Belange des Gemeinwohls“ gerechtfertigt. Es klingt zwar gut, dass der VGH Antragsteller Hämmerle attestiert, die „mit den Beschränkungen des Betriebes einhergehenden Nachteile“ seien von „erheblichem Gewicht“. Es nutzt ihm aber nichts, weil der VGH gleichwohl zum Ergebnis kommt, „den ebenfalls gravierenden Folgen für Leib und Leben einer Vielzahl vom Coronavirus Betroffener und der damit verbundenen Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems Deutschlands“ komme gegenwärtig „noch ein größeres Gewicht“ zu.