Wann entschuldigen sich Angela Merkel und die CDU-Führung aufgrund des BVerfG-Urteils zur EZB bei Klaus-Peter Willsch?

Gäbe es die Coronakrise nicht, dann hätte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel wahrscheinlich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 5. Mai zur teilweisen Verfassungswidrigkeit des EZB-Staatsanleihenprogramms ihren Hut nehmen müssen. Zumindest hätte sie sich wahrscheinlich massiverer Kritik an ihrer alternativlosen Euro-Rettungspolitik erwehren müssen, als sie nach dem Urteil des BVerfG erfolgt ist. Doch, Corona sei Dank, Merkel erlebt gerade wieder Stunden der Bewunderung ihrer Krisenfähigkeit. Wie tönern diese ist, hat zwar das BVerfG-Urteil gezeigt, nur wollen das alle, die ihr unverändert zujubeln, nicht wahrhaben. Und mit ihr müssten sich auch einige aus der Führungsspitze der Union die Frage gefallen lassen, wann sie sich eigentlich bei Klaus-Peter Willsch oder beispielsweise Dr. Peter Gauweiler entschuldigen, die massiven Anfeindungen der Kanzlerin und der Führungsspitze der Union ausgesetzt waren, weil sie genau die Kritik an den Beschlüssen zum EZB-Staatsanleihenprogramm geäußert haben (vgl. nur Mi 08/13, 16/15 oder 12/17), die jetzt das BVerfG zur Feststellung gebracht hat, dieses Programm sei in Teilen verfassungswidrig. Ja, man hatte sich seitens der CDU nicht einmal gescheut, Willsch, der von 2002 bis 2013 Mitglied im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags, ab 2009 dort sogar Obmann seiner Fraktion war, 2013 stattdessen in den Wirtschaftsausschuss zu 'versetzen' (vgl. Mi 02/14). Und das, obwohl Willsch seit 1998 direkt gewählter Abgeordneter ist, dessen Erststimmenanteil selbst bei der letzten Bundestagswahl weit über dem der Kanzlerin und etlichen ihrer Gefolgsleute lag.

Doch Angela Merkel denkt naturgemäß nicht im Traum daran, sich bei Willsch zu entschuldigen. Sie hat sich öffentlich nicht einmal zum BVerfG-Urteil geäußert. In diesem Fall muss man ihr zugestehen klugerweise. Denn was hätte sie sagen sollen? Dass alles das, was das BVerfG zur Begründung der Verfassungswidrigkeit festgestellt hat, schon vor und während des laufenden Ankaufprogramms von vielen Kennern der Materie genauso gesagt wurde, beispielsweise von Willsch oder Gauweiler? Oder dass deutsche Steuerzahler trotz aller sybillinischen Gegenrechnungen über den Wert der gemeinsamen europäischen Währung für die Exportnation Deutschland Milliarden aufgrund dieser in Teilen verfassungswidrigen Aktion verloren haben? Wo bleibt da eigentlich die Kritik an den politisch Verantwortlichen von denen, die die Kritiker vorher reihenweise abgestraft haben? Wer das alles nicht glauben will, dem empfehlen wir einen Blick in das von Klaus-Peter Willsch zusammen mit Christian Raap verfasste Buch 'Von Rettern und Rebellen' (vgl. Mi 22/15). Die beiden haben dort all die Schweinereien und rechtlich mehr als zweifelhaften Aktionen akribisch aufgearbeitet, die im Zuge der Euro-Krise von Merkel, ihrem Adlatus Dr. Wolfgang Schäuble und Volker Kauder (für die, die vergessen haben, wer das ist: der frühere langjährige Faktionsvorsitzenden der Union im Bundestag) verantwortet wurden.

Und was sagt eigentlich Ronald Pofalla, der als Kanzleramtsminister meinte, Wolfgang Bosbachs„Fresse“ nicht mehr sehen zu können, weil der als weiterer namhafter Kritiker immer gegen die Euro-Rettungspolitik wetterte, zum BVerfG-Urteil? Nichts, ach ja, er ist seit längerem Bahnvorstand und braucht sich mit solchen Widrigkeiten nicht mehr zu beschäftigen. Bisher unbekannt ist übrigens, wessen „Fresse“ er bei der Bahn nicht mehr sehen kann, weil es auch dort manches am Management zu kritisieren gäbe und, so ist zu hören, auch intern kritisiert wird. Aber das ist ein anderes Thema. Zum Glück für alle diejenigen, die sich in der Vergangenheit massiv für die Alternativlosigkeit der Euro-Rettung und des Anleihenkaufprogramms ausgesprochen haben, verhindert nicht nur die Coronakrise, sondern auch ein anderer Aspekt des Urteils, dass sich die Öffentlichkeit einmal massiv damit beschäftigt, warum diese offensichtlich fatalen Maßnahmen keine Konsequenzen für diejenigen haben, die sie beschlossen haben. Die Kritik am Staatsanleihenkaufprogramm durch das BVerfG tritt nämlich öffentlich hinter dessen Kritik am Europäischen Gerichtshof (EuGH) zurück. Bereits im Januar 2014 hatte das BVerfG das damalige Anleihenkaufprogramm als für nicht mehr vom EZB-Auftrag gedeckt angesehen, die endgültige Entscheidung darüber aber kompetenzgemäß dem EuGH überlassen. Der hatte dann wenig überraschend gegenteilig entschieden. Dem beugte sich im Juni 2016 noch das BVerfG und erklärte die damaligen Verfassungsbeschwerden für unzulässig. Zu seinem jetzigen Urteil konnte das BVerfG nur kommen, weil es das Urteil des EuGH zum neuen Ankaufprogramm, bei dem der EuGH wiederum keine Kompetenzüberschreitung erkennen konnte, für nichtig erklärte, weil er, so das BVerfG, damit seine Befugnisse überschritten habe, denn sein Urteil sei „schlechterdings nicht mehr vertretbar“. Das bietet den Kritikern der Kritiker des Anleiheprogramms die Gelegenheit, alle Fragen dazu mit dem Argument abzuwimmeln, das BVerfG habe sich im Ton gegenüber dem EuGH vergriffen. Es habe das gemacht, was es der EZB vorwerfe: Politik, und sich damit selbst über die eigenen Befugnisse hinweggesetzt.

Nehmen wir das mal so hin. Dann bleibt aber immer noch die Frage, die wir eingangs in unserer Überschrift formuliert haben: Wo bleibt die Entschuldigung der Führung der Union bei den Kritikern der Euro-Rettungspolitik? Denn denen ist jetzt ja vom höchsten deutschen Gericht attestiert worden, richtig gelegen zu haben. Akribisch hat das BVerfG aufgelistet, zu welchen Konsequenzen das Anleihenkaufprogramm führt, und dabei der EZB vorgeworfen, bisher nicht erklärt zu haben, ob sie diese Folgen selbst gesehen und beachtet hat, geschweige denn diese Überlegungen je kommuniziert zu haben. Selbst wenn man diese politische Auffassung nicht teilt oder dem BVerfG, wie es viele tun, vorwirft, dabei nicht beachtet zu haben, die EZB dürfe nicht nur die Folgen in Deutschland berücksichtigen, dann geböte es dennoch der Anstand, sich bei denen zu entschuldigen, denen man lautere Argumente quasi abgesprochen hat („Ich kann Deine Fresse nicht mehr sehen“). Wir hegen nicht die Hoffnung, dies werde noch geschehen. Warum allerdings in so gut wie keinem auflagenstarken Medium auch nur ansatzweise einmal diese Frage aufgeworfen wird, überrascht uns dann doch. Wir wollten deshalb zumindest von Willsch erfahren, ob er eine gewisse Form der Genugtuung aufgrund des Urteils empfindet und was er von seinen Kritikern in der Union erwartet. Er hat Größe gezeigt und darauf verzichtet, mit gleicher Münze zu antworten:

„Es ist natürlich schön, wenn die eigene Sicht der Dinge vom höchsten deutschen Gericht bestätigt wird. Viel wichtiger ist aber, dass Bundestag und Bundesregierung nunmehr im Interesse des deutschen Souveräns handeln.“