Kann Amazon den Bundesanzeiger kaufen?

Ende Februar berichtete das Fachmagazin 'Horizont' über Pläne des Kölner Verlagshauses DuMont Schauberg, sich von seinen sämtlichen Zeitungstiteln trennen zu wollen, um sich auf zwei Geschäftsbereiche zu konzentrieren: Marketing Technology und Business Information. Zu Letzterem gehört der Bundesanzeigerverlag. Wer mit der Materie nicht vertraut ist, mag sich darüber zunächst wundern. Das Verlegen einer amtlichen Publikation soll erfolgreicher sein als das Verlegen von Tageszeitungen? Okay, Tages- und Wochenzeitungen durchleben seit Längerem schwere Zeiten. Die klassische Abonnentenstruktur bricht weg und neue ertragreiche Formen des digitalen Journalismus sind rar gesät. Der Axel Springer Verlag löst das Problem über Einnahmen möglichst reichweitenstarker Plattformen, die er betreibt. Diese Erträge aus Bereichen, die mit dem ursprünglichen Geschäftsmodell nichts zu tun haben, subventionieren die auch bei Springer defizitären Zeitungen. Doch der Bundesanzeigerverlag ist, obwohl der Name es nicht vermuten lässt, tatsächlich mindestens so ertragreich wie Immobilienvermittlungs- und Fahrdienst-Plattformen. Den eigenen 'Goldesel' hat DuMont Schauberg bereits vor mehr als zehn Jahren im Wege der Privatisierung des Bundesanzeigerverlages erhalten. 1998 hat der Bund zunächst die Hälfte seiner Mehrheitsbeteiligung abgegeben, 2006 dann die restlichen Anteile. Der Name Bundesanzeigerverlag klingt zwar wie ein staatliches Unternehmen, dort werden auch öffentliche Register geführt und das Bundesgesetzblatt verlegt, er ist aber tatsächlich ein rein privates Unternehmen.

Wie es dazu gekommen ist, wollte der Bundestagsabgeordnete Dr. Diether Dehm (Die Linke) von der Bundesregierung wissen. Ganz konkret fragte er, welche Erwägungen die Bundesregierung leiteten, „als sie entschied, den Bundesanzeiger, neben dem Bundesgesetzblatt offizielles Verkündigungs- und Bekanntmachungsorgan von Bundesbehörden, im Jahr 1998 teil- und 2006 voll zu privatisieren“. Zudem wollte Dehm wissen, ob es auch für den Bundesanzeiger Pläne wie beim Bundesgesetzblatt gebe, ein „kostenfrei zugängliches Bürgerportal“ zu errichten. Staatssekretär Christian Lange ließ Dehm für die Bundesregierung zunächst wissen, diese Frage stelle sich gar nicht. Der Bundesanzeiger werde vom „Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz elektronisch herausgegeben. Gemäß § 6 Absatz 1 und Absatz 2 des Verkündungs- und Bekanntmachungsgesetzes ist der amtliche Teil des Bundesanzeigers für jedermann frei zugänglich und Veröffentlichungen im amtlichen Teil des Bundesanzeigers können von jedermann unentgeltlich ausgedruckt und gespeichert werden. Auch die weiteren im Bundesanzeiger bekanntgemachten Informationen können bereits jetzt von jedermann zu jeder Zeit kostenlos abgerufen und ausgedruckt werden.“

Das klingt aus staatsbürgerlicher Sicht beruhigend. Wer sich jedoch fragt, woraus sich bei dieser Ausgangslage ein wirtschaftlich tragfähiges Konzept für DuMont Schauberg ergibt, dem sei gesagt, dass die Einnahmen beim Bundesanzeiger von ganz anderer Stelle kommen: Von den Unternehmen, die dort ihre Pflichtveröffentlichungen gegen teures Geld einstellen müssen! Und das, obwohl es mit dem Unternehmensregister ein EU-weit vorgeschriebenes amtliches Register gibt, das wesentlich preiswerter ist. Aber das ist ein anderes Thema, mit dem wir uns seit Jahren beschäftigen. Zuletzt haben wir in Mittelstand darüber 2016 kritisch berichtet (vgl. Mi 20/16). Heute wollen wir uns auf die Ausgangsfrage von Dehm beschränken: Wie und warum ist es zur Privatisierung des Bundesanzeigers gekommen? Staatssekretär Lange hat da eine erstaunliche Antwort parat: Hintergrund sei gewesen, dass die Bundesregierung „in regelmäßigen Abständen“ überprüfe, „ob und inwieweit die Beteiligungen des Bundes noch erforderlich“ seien. Die Bundeshaushaltsordnung (BHO) schreibe für diese Fälle in § 65 vor zu prüfen, „ob ein wichtiges Interesse des Bundes“ für die staatliche Tätigkeit noch vorliege oder „ob sich der vom Bund angestrebte Zweck besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen“ lasse. Dieses Interesse habe man damals verneint.

Was ist an der Antwort erstaunlich? Nun, der Staatssekretär zitiert die falsche Vorschrift! § 65 BHO betrifft Fälle, in denen der Bund ein neues Unternehmen gründen oder sich an einem bestehenden beteiligen will. Der Fall der Aufgabe des Staatseigentums, der Privatisierung, ist in § 63 der BHO geregelt. Man muss wohl Absicht bei der Nennung der falschen Vorschrift unterstellen, denn die Voraussetzungen der beiden Vorschriften sind ganz unterschiedlich. In § 63 BHO heißt es, Vermögensgegenstände des Bundes „dürfen nur veräußert werden, wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben des Bundes in absehbarer Zeit nicht benötigt werden“. Das ist etwas ganz anderes! Es wäre damals daher nicht zu fragen gewesen, ob sich der Zweck der Veröffentlichung amtlicher Äußerungen besser oder wirtschaftlicher durch ein privates Unternehmen erreichen lässt, sondern es hätte gefragt werden müssen, ob der Bund den Bundesanzeigerverlag benötigt, um die Wirksamkeit seiner Gesetze zu gewährleisten.

markt intern-Justiziar Dr. Gregor Kuntze-Kaufhold kommentiert dieses Vorgehen so: „Die Voll-Privatisierung des Bundesanzeigers im Jahr 2006 war aus Sicht der Bundesregierung angeblich kein Problem. Das kann nur bedeuten, dass der Bund entweder kein Interesse daran hatte, die Wirksamkeit beschlossener Gesetze zu gewährleisten, oder aber glaubte, auf den Bundesanzeiger nicht angewiesen zu sein, um Gesetze zu verkünden. Das eine ist so abwegig wie das andere. Was passiert denn, wenn die Bundesanzeiger GmbH insolvent wird? Wird dann das Bundesgesetzblatt im 'Bananenblattanzeiger' veröffentlicht? Und was passiert, wenn ein zweiter Jeff Bezos die Mehrheitsanteile an der Bundesanzeiger Verlag GmbH erwirbt? Ich habe bislang noch nirgends gelesen, dass der Bund ein Vorkaufsrecht an den Anteilen des Bundesanzeigerverlags hätte. Nach der Auskunft der Bundesregierung ist das auch kein Problem, denn: Der Bund braucht den Bundesanzeiger gar nicht! Sponsored by Amazon könnte also demnächst auch unter deutschen Gesetzen stehen.“

Nebulös bleiben auch die Begleitumstände der damaligen Privatisierung: DuMont Schauberg erwarb den zur Goldader aufgeblähten Bundesanzeigerverlag just in dem Jahr komplett, in dem die Kölner der SPD-eigenen DDVG 50 Prozent ihrer Anteile an der finanziell arg gebeutelten Frankfurter Rundschau (FR) abnahmen. Die DDVG wiederum war erst 2004 bei der FR eingestiegen, nachdem diese 2003 nur noch durch eine Bürgschaft des Landes Hessen gerettet werden konnte. Mit der FR haben die Kölner allerdings kein Glück gehabt. 2013 musste die Zeitung Insolvenz anmelden. Im Zuge der Insolvenz stieg die FAZ bei der FR ein. Die veräußerte ihre Anteile 2018 wiederum an die Zeitungsholding Hessen. Die Übernahme des Bundesanzeigerverlages ist im Vergleich dazu ein Geniestreich!