Wie unliebsame Erbfolgen entstehen und wie sie vermieden werden können

Viele potenzielle Erben sind sich ihres vermeintlichen Erbanspruchs über viele Jahre sehr sicher – zu sicher, wie sich oft nachträglich herausstellt. Allein das geduldige Abwarten bis zum Eintritt des Todes des nahen Angehörigen begründet entgegen der Ansicht vieler ursprünglich unerfahrener, nun aber gereifter 'Fast-Erben' noch keinen tatsächlichen Erbanspruch. So wie sich auch in eine langjährige stabile Beziehung nahezu unbemerkt ein unliebsamer Dritter einschalten kann, läuft dies gar nicht so selten in Erbfällen. Der Ruf nach juristischer Hilfe tönt dann nach der Beerdigung und der Verteilung des Nachlasses oftmals umso lauter. Wie also kommt es zu einer solch überraschenden Situation und was kann man tun, um ein buchstäblich böses Erwachen möglichst zu vermeiden?

Dazu exemplarisch ein nachfolgend in Umrissen geschilderter Praxisfall: Eine reiche, aber alleinstehende, alte und kranke Witwe (W) aus Dortmund mit einem in Münster lebenden Neffen (N) als nächsten Angehörigen, musste plötzlich ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ein unerwarteter Schlaganfall war die Ursache. Im Krankenhaus entwickelte Frau W. eine sog. Post-Stroke-Depression, die medikamentös behandelt werden musste.

Zu ihrem Neffen hatte sie zeitlebens ein gutes, aber dennoch distanziertes Verhältnis, was in erster Linie an der doch schwierigen Art der W lag. Die Verwandtschaft traf sich ein- bis zweimal im Jahr zum Geburtstag oder zu Weihnachten und man telefonierte ab und zu. Bei einem dieser Telefonate, wenige Wochen vor der Einlieferung ins Krankenhaus, hatte Frau W. ihrem Neffen auch von ihren Beschwerden im Bein berichtet. Sie werde deshalb kurzfristig einen Orthopäden aufsuchen. Für N war dieses Thema damit erledigt. Nicht so für W.

Was nun folgte, lässt sich recht gut rekonstruieren: Der Orthopäde, 42 Jahre alt, verstand sich mit seiner 80 Jahre alten Patientin auf Anhieb sehr gut. Irgendwie schaffte er es, schon bald das Vertrauen der ansonsten recht schwierigen Patientin zu gewinnen. Nach und nach erzählte sie ihm von ihrer Villa, den verschiedenen gut gefüllten Konten, ihrer Sammlung moderner Künste und den vielen Reisen, die sie noch mit ihrem vorverstorbenen Ehemann hatte machen wollen. Als der Orthopäde von dem Krankenhausaufenthalt der W. erfuhr, fuhr er kurzerhand dorthin – 'bewaffnet' mit deren Lieblingspralinen –, las ihr Gedichte vor und kümmerte sich aufopferungsvoll um seine davon entzückte Patientin. Nebenbei organisierte er auch einen Termin mit einem flexiblen Notar, der im Krankenhaus nur wenige Tage später ein neues Testament der W. beurkundete. Selbstredend widerrief sie sogleich alle bisherigen letztwilligen Verfügungen und bestimmte – oh Wunder – den umtriebigen und fürsorglichen Orthopäden als Alleinerben.

Wie es der Zufall wollte, verstarb die alte Dame nur zwei Tage später, als die Tinte unter der Urkunde gerade einmal getrocknet war. Sie vererbte einen Nachlass im Wert von über 4 Mio. €. Der Neffe, der die Nachricht des Todes seiner Tante nicht nur mit bedrückten Gefühlen vernahm, war ursprünglich mit seiner Kenntnis in dem früheren Testament als Alleinerbe bestimmt worden. Entsprechend groß war nun seine Erwartungshaltung. Von dem neuen Testament wusste er ebenso wenig wie von der fehlenden Erwähnung seiner Person. Da er nur der Neffe der W. war – und nicht ihr Sohn – hatte er zu seiner großen Überraschung noch nicht einmal einen Anspruch auf 'seinen' Pflichtteil.

Ist ein Kind des Verstorbenen durch dessen Testament enterbt, so kann es von dem Erben den Pflichtteil verlangen. Der Pflichtteil ist wertmäßig gleichzusetzen mit der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Beispiel: Vater, verheiratet, ein Kind, stirbt. Der gesetzliche Erbteil des Kindes beträgt ½, der Pflichtteil ¼.

Die Bestürzung bei N war groß. In das ungläubige Zur-Kenntnis-Nehmen mischte sich bei näherer Untersuchung der Rechtslage zunehmend auch ein Gefühl der Ohnmacht und Wut. Erbrechtlich beraten, erklärte der Neffe vor Gericht, dass seine Tante bei Abfassung des neuen Testaments aufgrund ihrer medikamentös behandelten Depression und der vielen Grunderkrankungen testierunfähig gewesen und das Testament deshalb unwirksam sein müsse.

Testierunfähig ist jemand, der wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen. Jeder über 16-Jährige gilt so lange als testierfähig, bis die Testierunfähigkeit von der Partei, die hiervon profitieren würde, bewiesen wurde.

Ein kosten- und zeitintensives medizinisches Gutachten reihte sich an das nächste, doch der Nachweis der Testierunfähigkeit wollte auch nach vier Prozessjahren nicht gelingen. Den Orthopäden, dem man intern den Spitznamen 'Erbschleicher' gegeben hatte, freute dies umso mehr. Nur weil er sich zu sicher war, schlug er Vergleichsverhandlungen mit dem Neffen aus. N berief sich schließlich darauf, das Testament sei nichtig, weil es gegen die guten Sitten und insbesondere gegen die ärztliche Berufsordnung verstoße. Nach § 32 (Muster-) MBO ist es Ärztinnen und Ärzten nicht gestattet, von Patientinnen und Patienten oder Anderen Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern oder sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung werde beeinflusst.

Im Verlauf weiterer zwei Jahre konnte mit Hilfe zahlreicher Befragungen des Krankenhauspersonals sowie der Angestellten in der Praxis des Orthopäden mühsam nachgewiesen werden, dass dieser jedenfalls nicht primär das Wohl seiner Patientin, sondern nahezu ausschließlich seinen eigenen Vorteil im Auge hatte, als er seinerzeit eilig den Notar zur Beurkundung des neuen Testaments der W herbeirief. Ungünstig wirkte sich für ihn aus, dass das Gericht von der Spielsucht des Arztes und auch von seinen Zahlungsschwierigkeiten gegenüber dem Finanzamt erfuhr …

Letztlich bekam der Neffe sein lang ersehntes Erbe. Allerdings nur, weil er in diesem außergewöhnlichen Fall tatsächlich imstande und bereit war, über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren einen zermürbenden und nervenaufreibenden Rechtsstreit mit erheblichen finanziellen Risiken zu führen. Ausschlaggebend waren schließlich seine Hartnäckig- und Risikofreudigkeit sowie das Engagement seines rechtlichen Vertreters für den final erkämpften Erfolg.

Bereits aus diesem Fall wird ersichtlich, dass gleich mehrere Komponenten für den Eintritt einer solchen Situation ursächlich sein können:

1. Fehlender familiärer Zusammenhalt

2. Erkennen einer ausnutzbaren Distanz durch einen Dritten

3. Empfänglichkeit des potenziellen Erblassers für menschliche Zuwendung

4. Zupackendes Ausnutzen der menschlichen Schwächen des Erblassers durch den gewieften Dritten

5. Eigennützige Vorschläge des Dritten, die als solche vom Erblasser nicht erkannt werden

6. Zementieren der neuen letztwilligen Verfügung durch einen Notar

Gleichgültig, ob vermeintliche Erbaussichten in der Familie bereits als sicher eingestuft werden oder nicht: Nur stetige Aufmerksamkeit und engagierte Zuwendung zu einem geliebten Familienmitglied bedienen dessen Erwartungen und Hoffnungen. Ein 'Erberfolg' kann allerdings auch dann nicht garantiert werden. Schließlich schützt das im Bürgerlichen Gesetzbuch verbriefte deutsche Erbrecht nur den tatsächlich letzten Willen des Erblassers, nicht aber den vorletzten oder vorvorletzten. Wer sich also um Mutter, Vater, Tante, Onkel usw. kümmert, kann durch eine werthaltige Erbschaft belohnt werden. Im anderen Fall werden sehr schnell einmal andere bedacht!